Das ist eine sehr gute Frage, AsiaHarry! Mir ist das auch schon aufgefallen!
Über das Thema habe ich mich schon vor 15 Jahren mit einer gelernten Schneiderin ausgetauscht. Ihre These lautete:
Die Entwicklung der Herrenmode lief über die Jahrhunderte völlig anders als die Entwicklung der Damenmode.
Bis in den Absolutismus hinein galt bei Männlein wie Weiblein der Grundsatz: "Zeige mir deine Kleider, und ich sage Dir wer du bist". Das heißt: Die Kleidung regelte sich mit mehr durch den sozialen Status als durch das Geschlecht. Der Extremfall sind vielleicht die alten Griechen und Römer: Die tägliche Bekleidung der Menschen war in erster Linie, nach heutigen Maßstäben, ein helles Kleid, bei Frauen länger und bei Männern kürzer. Natürlich gab es auch im Mittelalter kolossale Unterschiede zwischen Männer- und Frauenkleidung, aber diese waren subjektiv noch geringer als die standesbedingten Unterschiede.
Der Quantensprung in der Modegeschichte, der dann alles veränderte, war wahrscheinlich die Französische Revolution. Denn die führte dazu, dass die allgemeine Wehrpflicht für Männer eingeführt wurde. Das hieß, dass alle Männer im wehrfähigen Alter automatisch vom Staat eine schlichte Militäruniform erhielten. Da man seinerzeit auf die Zugehörigkeit im Militär stolz war, orientierte sich fortan die Herrenbekleidung an der Militäruniform. Die Damenmode hat die damit vollzogene Funktionalisierung der Kleidung erst 150 Jahre später vollzogen - ausgehend von der revolutionären Modeschöpferin Coco Chanel, die praktisch das heutige Business-Kostüm entwicklelt hat. Von da aus war es zur kollektiven weiblichen Verhosung in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts nur noch ein relativ kleiner Schritt.
Was hat das nun mit der Fragestellung zu tun? Ganz einfach, wir brauchen uns nur die wenigen Berufsgruppen ansehen, die in der sog. westlichen Kultur beharrlich "einröhrig" tragen. Dies sind im Prinzip einerseits Richter, Anwälte und Staatsanwälte vor Gericht und andererseits Geistliche. Bei diesen beiden Gruppen ist die optische Militarisierung komplett vorüber gegangen, weil das Militär zur Machtausübung für sie keine Rolle spielt. Der Geistliche wird das Militär vielleicht sogar ablehnen und verzichtet auf diese Form von Macht eher. Die "Macht" geht aber nach wie vor vom Militär aus, und kein Militarist der Welt trägt "einröhrig". Selbst Frauen in der Armee (in Israel gilt die Wehrpflicht zum Beispiel auch für Frauen) zeigen sich im Kampfanzug. Ich habe noch nicht einmal etwas vón einer weiblichen Galauniform mit Rock gehört.
Ein besonders schlagendes Beispiel für die kleidungsmäßige Entwicklung der letzten Jahrhunderte findet sich im Dresscode der norwegischen Königsfamilie. Am norwegischen Hof ist nämlich schon vor langer Zeit die Krönungszeremonie und damit auch die Königskrone abgeschafft worden. Damit entfällt auch ein üppiges Krönungsornat, wie es zum beispiel der letzte britische oder auch schwedische König bei seiner Krönung noch trug. Im Prinzip sieht der norwegische König an jedem Tag so aus als ob er ein Präsident einer Republik oder ein Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens wäre. Dementgegen trägt seine Frau ebenso wie auch die Prinzessinnen zu hohen Anlässen nach wie vor Abendgarderobe einschließlich Diadem, welches, wie in jeder anderen Monarchie noch an die Krone einer Königin erinnert. Auch in Norwegen erinnert die Königin äußerlich noch ein Stück an vergangene Zeiten - der König hingegen nicht.
Wenn wir also "Macht" und "Stärke" mit "Einröhrig" in Verbindung bringen wollten, dann müsste es uns folglich gelingen, den Militarismus zurück zu drängen.