Autor Thema: früher  (Gelesen 18679 mal)

Online JJSW

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früher
« am: 08.07.2021 05:38 »
"früher war alles besser", hört man immer mal die Leute sagen. Dies hört man nicht nur heute, sondern das haben die Leute auch schon früher gesagt.

Ich bezweifel das früher alles besser war..
Denn früher konnte ich mir nicht vorstellen, mal Röcke oder Kleider zu tragen. Heute ist das für mich selbstverständlich.

Wann war eigentlich genau "früher"?

Vor zehn Jahren?
Vor fuffzich Jahren?
Vorletztes Jahrhundert?

Als Köln noch so aussah?

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Colonia_Claudia_Ara_Agrippinensium#/media/Datei%3ARoman_Cologne%2C_reconstruction.JPG

Grüßle
Jürgen


Laßt Euch nicht von Zweifeln plagen
und genießt das Röcketragen

Offline doppelrock

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« Antwort #1 am: 08.07.2021 05:56 »
"früher" dürfte für die meisten bedeuten die Zeit der Jugend, als man erstes Geld verdient hatte, die erste eigene Wohnung, mit Moped oder Auto mobil war, noch reichlich naiv und unerfahren und vor der ersten großen Partnerschaft. Meist war man da ja auch sportlich, gesund und trinkfest. Kurz gesagt, man dachte, es gehört einem die Welt.
Dass man sich zuerst an die positiven Eindrücke erinnert ist nicht weiter verwunderlich. Das wird wohl verstärkt, wenn in der neueren Zeit Druck und Tempo zunehmen, der Neoliberalismus stärker wird und die Gesellschaft beginnt zu zerfallen oder immer neue Absurditäten und Skandale ans Tageslicht kommen, an die man früher nie gedacht hätte.
Da ich seit nun fast 30 Jahren Röcke öffentlich in der Freizeit trage, gibt es zumindest in diesem Punkt eine Konstante.

Offline high4all

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« Antwort #2 am: 08.07.2021 07:55 »
Das menschliche Gedächtnis sortiert die Erinnerungen aus und behält überwiegend die positiven Dinge im Gedächtnis. Erst wenn man sich Mühe gibt, fallen einem auch die weniger guten Dinge wieder ein.

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Offline MAS

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« Antwort #3 am: 08.07.2021 08:48 »
Früher, als Köln noch so aussah, als Colonia Claudia Ara Agrippinensum, hättest Du sicher Kleider getragen, lieber Jürgen, bzw. Tunicae oder Togae, also zumindest als Römer.

Wann genau früher war, hängt vom Kontext des Sprechers*der Sprecherin ab. Manche meinen ihre Kindheit, manche die Zeit ihrer Großeltern, manche ddas 19. Jh. oder das Mittelalter oder die Antike oder die Steinzeit oder die Zeit der Saurier oder die Zeit, als die Welt noch jung war und Sauron noch den Ring besaß.

LG, Micha
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Offline Skirtedman

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« Antwort #4 am: 08.07.2021 10:52 »
Es ist genau eine Mischung aus beidem, was Hajo und Doppelrock beschreiben.

Übrigens sehr gut beobachtet und beschrieben, Doppelrock, angereichert mit speziellen, sehr persönlichen Empfindungen des aktuellen Zeitgeistes.

Nicht umsonst sind Säugetiere, gerade wir Menschen, noch so von der Muttermilch und von der Beherbergung in einem Familienwesen weit nach unserer Geburt abhängig, um eben sehr flexibel uns auf die Bedingungen der Umwelt, in die wir hineingeboren werden, einstellen zu können. Bei uns Menschen ist das ein jahrelanger Prozess, der fast ein Viertel unseres Lebens ausmacht.

Und gerade der Schritt der Abnabelung von der - idealerweise - Behütung durch das Elternhaus und das sich auf die eigenen Beine stellen, genau der geschieht in einer von uns gelernten und wahrgenommenen Umgebung, die wir im Nachhinein als die heile Welt empfinden.

Je nachdem, was unsere Eltern vermochten, uns auf den Weg zu geben, verorten wir diese 'heile Welt' eher kurz bevor wir uns auf uns uns selbst angewiesen sind, oder - am idealsten - kurz nachdem wir auf uns selbst angewiesen sind und feststellen, dass wir ohne die bisherige Behütung wunderbar klarkommen.

Das Gefühl, 'die Welt gehöre uns', lässt im Laufe der weiteren Lebensjahre irgendwann mal nach, vor allem, wenn sich ein bestimmter Trott im Leben einstellt, wo die Herausforderungen an uns sich nicht mehr nennenswert verändern. Dann beginnt allmählich das 'früher war alles besser' zu dämmern.

Zuvor hat man diese Redewendung auch benutzt, aber praktisch nur um unsere Großeltern oder Eltern zu persiflieren. Irgendwann beschleicht uns dieses Gefühl jedoch auch - eine relativ automatische Wandlung, bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger.

Und doch: Man kann auch etwas dagegen machen, indem man sich selbst neue Herausforderungen sucht, damit der Trott nicht langweilig wird. Oder auch versucht, sehr offen zu bleiben, was die Welt an Erkenntnissen tagtäglich zutage fördert, wohin die kulturellen Errungenschaften inclusive Technik und Meinungs- und Weltbilderströmungen sich entwickeln.

Technik ist ein gutes Stichwort. Denn da trennt sich irgendwann die 'Spreu vom Weizen', will heißen, die aufgeschlossenen und die, die mit den Neuerungen nicht mehr mithalten können oder wollen. Auch was Mode und Lebenseinstellungen betrifft. Irgendwann steigt jeder bei einigen dieser Dinge aus dem Verarbeitungsprozess des Wandels aus und beginnt unweigerlich, die Welt zu vermissen, als sie für einen noch überschaubar und verständlich war.

Und spätestens dann schlägt eben noch Hajos beschriebener Effekt deutlich zu, dass das Erinnerungsabbild vergangener Zeiten deutlich positiver gestaltet wird, als es zur damals durchlebten Phase es sich gestaltete. Besonders das Gute in Erinnerung zu behalten, und die schlechten Erinnerungen abzumildern, gar auszublenden, bis hin zu völlig auszublenden, das ist eine angeborene Überlebensstrategie, die uns innere Kraft und Selbstvertrauen spendet. Nicht erst im höheren Alter, wo es besonders zutage tritt (und manchmal vor lauter Verklärung sogar - von außen betrachtet - ins Gegenteil umschlägt), sondern diese Strategie durchzieht unterschwellig unser gesamtes Leben.

Auch ganz klar, dass im Laufe eines Lebens sich die Koordinaten des allgemeinen Wertesystems sich verschieben. Wenn dieses gefühlt 'nicht mehr im Lot ist', dann wachsen die Verunsicherungen, dann vermisst man die alten Wertekoordinaten.

Und doch, wer wach im Geiste bleibt, der kann sich auch an den neuen Dingen erfreuen, auch wenn der Geist manchmal sich weigert, noch alles an Neuem zu erfassen.

Ich persönlich bin irgendwann ausgestiegen, das, was an Technik hinter dem Internet steckt, genau verstehen zu wollen. Neue Programmiersprachen und Protokolle haben mich einfach nicht mehr interessiert - lass die doch machen, was sie wollen, ich muss nicht alles wissen. Oder damit verbundene Angebote im Bereich Social Media z.B. haben mich irgendwann nicht mehr interessiert, um immer vom Neuesten zu wissen oder dies auszuprobieren. Erst nach und nach erreichen mich ausgewählte Produkte dieses Marktes, mit viel Verzögerung, ja, ich bin also nicht mehr up-to-date, ich gehöre allmählich zu der Generation, die sich fragt 'Wozu?' und sagt 'Das brauchte ich früher doch auch nicht' - dann ist das Urteil 'früher war alles besser' nicht mehr so weit entfernt...

Und doch - ein drittes Mal in meiner Ausführung - gibt es ganz klar Wandlungen, die ich als gut empfinde, die ausreichen zu sagen: "Früher war eben doch längst nicht alles besser!" - Speziell gemünzt auf unser Forenthema muss ich sagen, dass der Zeitgeist von heute deutlich besser geeignet ist, unsere Ziele zu erreichen als noch vor 40 Jahren z.B.

Nur ein letztes Beispiel - auch wenn manche das Thema inzwischen nerven möge. Meine Freundin erzählte mir gestern von einer Studie (oder Umfrage o.ä.), wonach der jüngeren Generation (heute 20, 30 Jahre alt) das Gendern das wichtigste Thema ist, das sie umtreibt.

Insofern, Männers, gedeihen wir hierzulande auf einem günstigen Boden, wo unsere Bedürfnisse deutlich besser verstanden werden als noch vor 20 oder 40 Jahren. Vielleicht rührt auch daher, dass ich in neuester Zeit von auffallend viel jungen Leuten sehr positive Rückmeldungen bekomme.

Früher war eben doch längst nicht alles besser!


chris-s

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« Antwort #5 am: 08.07.2021 12:52 »
Wann ist Früher?
Der SWR1 spielt ja immer 'die größten Hits aller Zeiten'. Es ist im Wesentlichen die Musik der späten 60er bis in die späten 80er. Ich habe dort noch nie 'Alla Turca' oder 'Für Elise' gehört, die für das 18. oder 19. Jahrhundert ganz sicher zu den 'größten Hits' gehörten ;) Im 18. Jhd. waren die Kleider für Männer noch bedeutend abwechslungsreicher wie heute. https://www.youtube.com/watch?v=Cy10pGVmc20

Die Römer blickten nachweislich verächtlich auf die Germanen herab, die ja Röcke trugen. Horrible dictu!!
Für unsere Community wäre es, wie Micha schon bemerkt, sicher besser gewesen!
Aber die letzten Jahre ist doch in Sachen Liberalität doch vieles besser geworden und Mann kann sich heute viel flexibler und an-mutiger (!) kleiden wie noch vor wenigen Jahren

culture skirt

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« Antwort #6 am: 08.07.2021 14:06 »
Wann war eigentlich genau "früher"?

Vor zehn Jahren?
Vor fuffzich Jahren?
Vorletztes Jahrhundert?
Alles was in meinem Zeitalter sich abspielte, indem ich (und noch meine Eltern) geboren worden. Also nicht weiter als 1960. Alles davor interessiert mich nicht und hat keinen Einfluss auf mein heutiges Leben, da Menschen vor 1945 auch nicht in meinem Leben sind (die es mitgestalten könnten, außer meine Oma, aber da war sie 4 Jahre).

Was die Römer damals machten und dachten oder nicht, interessiert mich daher schlicht nicht. Es war vor meiner Zeit und meiner Eltern und Großeltern und es sich auch nicht in meinem Lebenszeitalter abspielte.

Früher ist bei mir auch 2010. Es ist einfach eine Vergangenheitsform.

Ich würde schon sagen, dass früher vieles besser war. Also so vor 2000. Man erinnere sich nur an die 90er, wo die Leute unbeschwerter und glücklicher lebten und sich nicht um jeden scheiß einen Kopp machten. Muss man nur mal Dokus darüber angucken. Oder wenn ich das heute mit den heutigen Parties zu damals vergleiche, ohje. so eine lockere Zeit wird nie wieder kommen. Und in Kommentaren auf Youtube Videos liest man das auch sehr oft, dass die 90er das beste Jahrzehnt waren und was die Leute so alles erlebt haben. Das hat auch nichts damit zu tun, dass die schlechten Sachen verdrängt würden. Die könne sich alle gut an ihre Zeit erinnern und da gabs keine täglichen Terroranschläge und verunsicherte Menschen, die bei jedem Koffer gleich die Polizei rufen, oder dass Mütter ihre Töchter nicht mehr Abends alleine durch Städte laufen lassen, wie sie es früher konnten.

Offline high4all

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« Antwort #7 am: 08.07.2021 14:59 »
Zitat
„Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten“
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« Antwort #8 am: 08.07.2021 15:45 »
Zitat
„Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten“
Helmut Kohl

"Was geht mich mein Geschwätz von gestern an?"
Konrad Adenauer (Oder doch nicht: https://falschzitate.blogspot.com/2020/04/was-kummert-mich-mein-geschwatz-von.html)


Aber ja, Jule hat einen sehr kurzen zeitlichen Horizont. Meine Güte, Jule, wie kommst Du nur darauf, dass das, was vor 1960 geschah, keinen Einfluss auf uns heute hätte?

LG, Micha
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« Antwort #9 am: 08.07.2021 15:54 »
Aber ja, Jule hat einen sehr kurzen zeitlichen Horizont.
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Das hast Du sehr freundlich ausgedrückt.
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« Antwort #10 am: 08.07.2021 16:03 »
Aber ja, Jule hat einen sehr kurzen zeitlichen Horizont.
LG, Micha
Das hast Du sehr freundlich ausgedrückt.

Warum sollte ich denn auch unfreundlich sein?

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Offline JoHa

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« Antwort #11 am: 08.07.2021 16:28 »
Früher? Darüber lässt sich nicht gut streiten, da es Sache der Auslegung ist. Auf keinen Fall endet meine Geschichte oder deren Auswirkung auf mich mit meinem persönlichen Erfahrungshorizont. Zu oft wurde mir klar, welche Wirkungen Erlebnisse meiner Groß- und Urgroßeltern auf mein heutiges Denken und Urteilen haben.
Nicht Johannes. Joachim!

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« Antwort #12 am: 09.07.2021 00:11 »
Zitat
„Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten“
Helmut Kohl
Man kann auch die Zukunft gestalten, ohne alles aus der Vergangenheit ständig neu aufzuwärmen und einen Schuldkutlt in die Gehirne einzupflanzen. Das hält sogar von neuen Ideen und Innovationen eher ab.

Offline MAS

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« Antwort #13 am: 09.07.2021 00:15 »
Die Steine, die Dich so begeistern, liebe Jule, sind übrigens vor 1960 entstanden.

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« Antwort #14 am: 09.07.2021 00:21 »
Ja und? Nicht alle. Zum Beispiel Schlackemineralien nicht.
Das hat aber keinerlei Zusammenhang mit irgendwelchen Ansichten aus der Römerzeit in der ich nicht gelebt habe. Sonst würden wir noch in Tunika und Rüstung rumlaufen.


 

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