Gestern war ich bei einem Freund, zu einem gemütlichen Treffen am Lagerfeuer. Etwa 10 andere Leute, alle ungefähr in meinem Alter waren, von denen ich ein paar kannte, waren auch noch da, zu einem gemütlichen Plausch. Zu meiner Kleidung hatte ich mir nicht besonders viele Gedanken gemacht, leger, gemütlich:
Sneakers, ein wadenlanger Faltenrock in schwarz, ein grau meliertes weites langärmliges Herrentshirt und für die kühleren Phasen einen sehr breiten kuschligen Schal mit grün-schwarzem Karomuster.
Ach ja, und irgendwie hatte ich noch spontan, vor dem Gehen, Lust auf den späteren Gesprächsaufhänger: Lange grün/bunte Ohrringe, die ich vor Jahren einmal in Guatemala gekauft hatte.
Irgendwann kam ich neben einer Frau, durchschnittlicher Typ, Anfang 50, zu sitzen, die mich erst freundlich anlächelte und gleich darauf das Gespräch, nach ein paar Floskeln, mit der Frage eröffnete: „welche Pronomen verwendest Du, du bist doch enby?“
Ich habe vermutlich wie eine Dampflock geschaut und war im ersten Moment mit der Fragestellung überfordert.
Meine anfängliche Ratlosigkeit und Überraschung, kombiniert mit dem Rock (den sie für fast alltäglich an einem Mann hielt) und vor allem den Ohrringen, ließ sie tiefer in das Thema einsteigen.
Wir unterhielten uns eine Weile ganz nett, insbesondere über solche Themen wie den Geschlechts-/Genderausdruck und sie war etwas überrascht, dass ich solche Themen zwar kannte, aus dem Netz, ab noch nie damit im realen Leben konfrontiert wurde. Es war für sie auch neu, dass ich mich einfach normal als Mann sehe, auch wenn ich mich nicht an die Bekleidungsnormen halte. Sie kannte da so noch kaum, aus ihrer beruflichen Praxis. Sie forscht und lehrt wohl an einer Münchner Hochschule zu Genderwissenschaften.
Ja, eines ihrer zwei Kinder lebt (ist?) wohl auch enby und mir unterlief der Lapsus nach dem Geschlecht zu fragen
: „NICHT-BINÄR!
“ wie peinlich…
Es war ein hochinteressanter, akademisch – rotweinangehauchter Abend.
Es blieb irgendwie die theoretische Frage, ob man sich selbst in irgendeiner Weise verorten müsse um bestimmte Kriterien zu erfüllen, oder ob das Erfüllen von Kriterien ausreicht um verortet zu werden.
Jedenfalls kam mir sehr stark in den Sinn, wie abhängig Wahrnehmung und Reaktion von der Person ist, auf die man trifft:
Meine Gesprächspartnerin hätte schwerlich Chris‘ Kappe nach dem Aufheben mit einem despektierlichen Kommentar auf den Boden geworfen.