Heute in der Stuttgarter Zeitung:
Immer die alten Klischees
Im Wiener „Tatort“ mordet ein Mann in Frauenkleidung. Nun gibt es Kritik – und das zu Recht. Katrin Maier-Sohn
Stuttgart. Ein Mann in Frauenkleidern als eiskalter Mörder. Thriller-Fans wird die Inszenierung des am Sonntagabend ausgestrahlten Wiener „Tatorts“ bekannt vorgekommen sein. In dem durchaus spannenden und düsteren Film „Die Amme“ ermordete ein drogensüchtiger Psychopath (Max Mayer) zwei Gelegenheitsprostituierte und entführte ihre kleinen Söhne, um ihnen eine bessere Mutter zu sein. Dabei trug der Täter Frauenkleider, Perücke und roten Lippenstift.
Bereits in „Das Schweigen der Lämmer“ von 1991 war es der Psychopath in Frauenkleidern alias Buffalo Bill (Ted Levine), der reihenweise Frauen ermordete und aus ihrer Haut sein Gewand nähte. Fünf Oscars erhielt der Film bei den Verleihungen 1992 und dazu reichlich Kritik von Schwulenverbänden. Die Darstellung des Serienkillers als Mann in Frauenkleidung sei eine Beleidigung für transidente Menschen.
Nun, 30 Jahre später, erinnern die Handlung des Wiener Krimis und die Reaktionen darauf an die Diskussion von damals. „Dieser ‚Tatort‘ ist ein Schlag ins Gesicht jeder Transfrau“, heißt es beispielsweise auf Twitter. „Danke, ARD, dass ihr unser Leben schwerer macht und unsere Akzeptanz in weite Ferne rückt.“ Und die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität protestierte mit einem öffentlichen Schreiben. Der Sender antwortet und versucht, sich in ein besseres Licht zu rücken: „Im Frankfurter ‚Tatort‘ ist zum Beispiel seit Jahren die Mitbewohnerin des Kommissars eine Transfrau, die sehr bewusst nicht in die von Ihnen angesprochenen Klischeekategorien ‚Opfer oder Täter‘ gesetzt wird.“
Der Wiener „Tatort“ wäre weniger Aufreger, wenn die Film- und Medienlandschaft divers genug wäre. Schätzungsweise 500 000 Deutsche sind trans. Doch genauso wie viele andere Minderheiten kommen transidente Menschen verhältnismäßig selten in deutschen Filmen und Serien vor. Wenn die wenigen Rollen, die es gibt, Kinderschänder und Psychopathen darstellen, vermittelt dies eine falsche Vorstellung der Realität. Als beliebtestes deutsches Fernsehformat sollte der „Tatort“ mit einem besseren Beispiel vorangehen und keine Vorurteile schüren – wir schreiben 2021.