Autor Thema: Rechtfertigung, Rücksicht, Egoismus, Selbstbewusstsein usw.  (Gelesen 1657 mal)

Offline MAS

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Gude zusammen,

weniger zu "Spaß" als zu "Allgemeines" passt dieser Thread, den ich hier starte.

Ausgehend von diesen Threads:
https://www.rockmode.de/index.php?topic=6728.0
https://www.rockmode.de/index.php?topic=9157.0
https://www.rockmode.de/index.php?topic=9133.msg164206#msg164206
aber auch vielen anderen, möchte ich die Frage in den Raum werfen,

Ab wann ist unsere Kleidungsvorliebe
- rechtfertigungsnotwendig?
- rücksichtsvoll?
- egoistisch?
- ein Zeichen für ein starkes Selbstbewusstsein?
Usw. (Ihr konnt noch mehr Fragen dieser Art hinzufügen.)

Ich habe z.B den von Zareen empfohlenen Artikel  als unsozial bezeichnet und muss mir umgekehrt von Timper vorwerfen lassen, ich sei egoistisch, wenn ich auf einer Beerdigung einen Rock trage.

Ich halte nichst davon, auf die Meinungen anderer Menschen "zu scheißen", aber auch nichts davon, andere Menschen über mein Leben all zu sehr bestimmen zu lassen. Ich suche einen Mittelweg zwischen einer Scheißegalhaltung anderen gegenüber und einer vorausgehorchenden Unterwürfigkeit.

Die älteren Forenmitglieder haben vielleicht meinen Essay "Sozialverantwortlicher Eigensinn" in Erinnerung. Wenn nicht oder wenn Ihr die Erinnerung auffrischen wollt, lest mal hier:
https://www.rockmode.de/index.php?topic=4343.msg43904#msg43904
oder auch hier:
https://www.rockmode.de/index.php?topic=8110.msg134014#msg134014
oder hier:
https://www.rockmode.de/index.php?topic=4967.msg59568#msg59568
oder auch hier:
https://www.rockmode.de/index.php?topic=7065.msg108176#msg108176
oder auch in manchen anderen Threads.

Oder direkt hier:
http://michael-alwis-schmiedel.blogspot.com/2005/03/sozialverantwortlicher-eigensinn.html

Wem das ganz neu ist, weil er zu neu hier ist, nehme sich etwas Zeit dazu, wenn es ihn interessiert.

LG, Micha

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Offline Jean

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Hallo Micha

Ich habe das mit dem rock zur beerdigung noch mal durch den kopf gehen lassen.
Und muss sagen ich habe voreilig reagiert.
Das ist einer meiner fehler oder auch vorteil das ich recht spontan bin.
Hätte ich mir das in ruhe durch den kopf gehen lassen hätte ich das anders gesehen.
Ich habe mir diese nacht dein essay in ruhe satz für satz durchgelesen und gesehen das ich doch schnell mit vorurteilen oder modischen no gos bei der hand bin.
Es gibt in der tat viele möglichkeiten warum man zu einer beerdigung zum beispiel einen rock trägt.
Vielleicht weil man es besonders schön oder passend findet.
Eventuell damit den verstorbenen speziell zu ehren.
Wie auch immer ich weis es nicht und es ist mir auch niemand rechenschaft schuldig.
Und vor allem steht es  mir nicht an das zu beurteilen oder zu werten.
Ganz egal obs jetzt ein mini oder ein eleganter rock wie bei dir wäre.
Das hat auch nichts mit dem geschlecht zu tun denn alle haben das recht zu  tragen was ihnen gefällt oder was sie passend finden.
Klar haben wir wohl alle in sachen mode unsere vorstellungen oder gar regeln, wie ich, aber das gilt nur für mich für meine person.
Eins kann ich sagen ein mann der röcke oder kleider trägt hat courage in meinen augen.
Aber es gibt durchaus auch gute gründe wenigstens in seinen augen auf nummer sicher zu gehen.
Auch das hat für mich platz.

LG, Janna

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Offline MAS

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Ja, liebe Janna, das ist immer oder zumindest meistens gut, sich in Ruhe mit einem Thema, über das man sich eine Meinung bilden will, zu beschäftigen. Danke für das Lesen, "Satz für Satz".

Indes ist dieser neue Thread schon von der Startseite verschwunden und auch auf der Forum-Seite nicht sofort zu sehen.

Hat sich denn sonst noch jemand damit beschäftigt?

LG, Micha
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Offline hirti

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Ja, hier!
Mich beschäftigt das Thema schon.

Das einzige von den Worten in der Überschrift das mich aus meiner Sicht nicht mehr betrifft,  ist Rechtfertigung. Viele Jahre habe ich wohl für mich selber nach Rechtfertigungen gesucht, sie anderen serviert. Inzwischen brauche ich sie nicht mehr. Mir reicht es dass ich mich in Röcken und Kleidern wohl fühle und glücklich bin und das erkläre ich auch gern.

Das Thema "Egoismus" beschäftigt mich schon mehr.
Ihr kennt ja meine Abendkleid-Geschichte. Eine ordentliche Portion Egoismus ist da sicher dabei. Denn schließlich tue ich es nur für mich, nehme mir Zeit, Energie und auch ein bisschen Geld und erfülle mir meinen Traum mit meinem schönen Abend im schönen Outfit.
Ich frage mich aber ob das schlimm sein muss oder ob es nicht viel mehr jedem angeraten sein sollte, sich auch  ab und zu um seine Träume und sein Glück zu kümmern. In unserem kleinen Ort wurden letzte Woche 2 Männer zu Grabe getragen. Beide haben am gleichen Tag ihrem Leben ein Ende gesetzt und ihre Familien zurückgelassen.
Sie haben es wohl nicht geschafft, sich um ihr Glück kümmern.

Vielleicht täusche ich mich, aber ich glaube es gäbe viel mehr glückliche Menschen, wenn sie viel Selbstbewusstsein und ein wenig Egoismus sammeln und sich ihre Träume verwirklichen würden. Auch die, die man doch nicht verwirklichen kann ... so wie wir das machen.
Dass natürlich die Rücksicht auf die Familie nicht ganz auf der Strecke bleiben sollte, ist klar.

Ich habe aber den Eindruck dass meine Familie einen ganz starken Mann und Papa bekommt, dafür dass ich mir ab und zu den kleinen Traum zwischendurch erfülle.


Offline JoHa

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Lieber Hirti,
nur ein Bruchteil deines Beitrags, aber er hat bei mir eine starke Saite mitschwingen lassen: dadurch, daß du deinen Traum hin und wieder wirklich werden lässt, hat deine Familie den stabilen Menschen an dir? Wenn ich das richtig verstanden habe, habe ich einen "Bruder im Geiste" gefunden.
Erst seitdem ich mich offen zum Rock bekenne, habe ich ein besseres Verhältnis zu meinen Lieben und sie zu mir.
Nicht Johannes. Joachim!

Offline MAS

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Lieber Hirti, Joachim und alle anderen,

die Wörter in der Überschrift sind ja nicht eindeutig. Man kann sie alle sehr verschieden verstehen und verwenden.

Ich verwende das Wort "Rechtfertigung" meistens im Sinne einer Begründung und einer Überprüfung, ob ich etwas vor meinen moralischen oder ethischen Maßstäben vertreten kann. Und das Rocktragen kann ich in diesem Sinne rechtfertigen. Wenn ich es vor den Maßstäben anderer Menschen rechtfertigen will, muss ich deren Maßstäbe kennen und kann dann schauen, ob es auch meine sind. Mein Rocktragen zu rechtfertigen kann dann auch bedeuten, meine ethischen Maßstäbe zu rechtfertigen.

"Egoismus" verstehe ich manchmal als ein Eigeninteresse, kann aber auch im Sinne von "Rücksichtslosikeit" verstanden werden. Vor meinen ethischen Maßstäben überprüfe ich also, ob mein Eigeninteresse rücksichtslos gegenüber anderen ist, aber auch, ob deren Ansprüche an mich rücksichtslos gegenüber meinem Eigeninteresse sind. Ob etwas rücksichtslos ist, kann ich prüfen, indem ich schaue, ob ich jemandem schade oder ob jemand mir schadet. Dazu muß ich dann definieren, was ein Schaden ist. Das wiederum ist nicht immer gleich zu beantworten, sondern vom Kontext abhängig. In den meisten Fällen komme ich zu dem Schluss, dass ich niemandem schade, wenn ich einen Rock trage, es sei denn, ich gefährde seine Sicherheit, z.B. wenn ich mit einem ungeeigneten Rock in die Speichen meines Fahrrades komme und einen Unfall verursache, in den auch andere verwickelt sind. Über die Ethik des Rockkaufes (Ökologie, Nachhaltigkeit, Fairtrade, ...) spreche ich jetzt nicht. Oft liegt zumindest ein Stück des Schadens, den ein Mensch evtl. an sich wahrnimmt, auch bei ihm selbst, wenn er z.B. ein Geschlechter-Kleidungs-Verständnis pflegt, welches bewirkt, dass er sich beim Anblick eines Mannes im Rock unwohl fühlt. Da ist die Frage, wie viel Rücksicht auf dieses Verständnis eines anderen Menschen von mir verlangt werden kann.

Ich glaube, lieber Hirti, in diesem Sinn kannst Du Dein Rock- oder Kleidtragen auch problemlos rechtfertigen.

Natürlich kann man auch kritisch nachfragen, ob wir sorgfältig mit unserer Lebenszeit umgehen, wenn wir so viel Energie in etwas stecken, nur weil es uns damit gutgeht. Indes ist die Freude, die unsere Mitmenschen innnerhalb und außerhalb der Familie mit uns haben, so wie Deine Familie mit Dir, Hirti, zumindest ein guter Kolateralnutzen.

LG, Micha
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Offline Skirtedman

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Ich will's mal in kurz versuchen:

Es macht für mich einen deutlichen Unterschied, ob

- ich mich vor mir / für mich innerlich rechtfertige (Micha hat's ja schon beschrieben),

- ich mich rechtfertige, weil ich mich in die Ecke gedrängt fühle ("keiner versteht mich"),

- ich mich / es erkläre und jemand anderes wirft mir vor, ich täte mich rechtfertigen.

Die letzte Variante ist für mich die erschreckendste. Da erklärt man was, weil man zuvor nach einer Erklärung gefragt wurde, dann bekommt man als Reaktion darauf unterstellt, man würde sich rechtfertigen.

Erschreckend daran ist, dass der Gesprächspartner gar kein echtes Interesse an der Erklärung hat. Da braucht man in dem Moment auch keine weitere Energie mehr reinstecken zu erklären. Meist kam dem Gesprächspartner bereits die erste Erklärung zu abstrus vor, dass sämtliche potentielle Empathie-Kanäle zugemacht werden.

Bei der zweiten Rechtfertigungs-Art (weil in Ecke gedrängt) ist es ein bisschen ähnlich. Da wurde die erste Erklärung auch nicht empathisch nachvollzogen und die Ungläubigkeit des Gesprächspartners spricht Dir gesundes Urteilsvermögen ab. Dann fängt man an,  sich zu rechtfertigen - eine kommunikative Methode, um vielleicht doch noch ein empathisches Zeichen seines Gesprächspartners zu erwirken.

Ich sehe Rechtfertigung
a) als nicht so schnell erfüllt,
b) als notwendig, wenn man auf Unverständnis trifft,
c) als keine Rechfertigung, auch wenn man mir das unterstellen möchte. Hier liegt eine Unzulänglichkeit nicht bei mir, sondern beim Gesprächspartner vor.

Offline Skirtedman

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Das mit der Rechtfertigung, weil in Ecke gedrängt, halte ich noch für recht interessant:

Meistens hat man als Erklärung ja unterschiedliche Argumentationsebenen zur Verfügung.

Je nachdem, in welcher Relation man mit dem Gesprächspartner steht, gibt man als erste Erklärung entweder

- das emotionalste Argument, das man verfügbar hat (grundehrlich)
oder
- eines der fürsprechenden Begleitargumente, jedenfalls zurückhaltend oder weichgespült auf den Gesprächspartner angepasst. Diese Begleitargumente sind meist emotional distanzierter als das ehrliche, emotionalste Argument es gewesen wäre.

Die erste Erklärung wird von dem Gesprächspartner nicht anerkannt. Also werden weitere Erklärungen nötig. Der Rechtfertigungsdruck steigt, die Rechtfertigung beginnt. Vielleicht geht das über mehrere Runden so. Jedenfalls wird bereits die zweite Erklär-Runde automatisch emotionaler.

Entweder weil
- aus der ersten Erklär-Runde sein eigenes, emotionalstes Argument nicht verstanden wird,
- ich jetzt emotionalere Argumente auftischen muss, wenn die erste Erklär-Runde nur weichgespült war.

Je mehr emotional die Erklärungen vorgebracht werden, desto mehr wird mein Gesprächspartner dies als Rechtfertigung deuten. Das steigert sich also naturgemäß von Runde zu Runde.
Und entweder genießt mein Gesprächspartner wie ich mich vor Rechtfertigung abzappele, oder ich kann allmählich eine Empathie-Ader in ihm erwecken.

Ein Großteil meiner 'Beziehungsarbeit' der letzten Jahre lief nach diesem Schema ab.


 

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