Patriarchat hin oder her...
Ja, es gibt einige Gedankenansätze, die Zeiten vor hundert oder mehr Jahren, aber auch selbst noch die Zeiten vor wenigen Jahrzehnten als patriarchal zu deuten. Ich will das jetzt auch gar nicht in Frage stellen oder bewerten.
Sprache ist etwas lebendiges, sie entwickelt sich, ist ständig im Fluss. Wie schnell geht es, dass neue Wörter, gerade aus dem technischen Bereich, vor allem aus dem Computerwesen sich als Selbstverständlichkeit in unsere Sprache integriert haben.
Oftmals sind es neue Bedeutungen (Produkte, Eigenschaften, Dienstleistungen, Erfindungen etc.), die eben neue Wörter brauchen. Manche Bezeichnungen und Redewendungen gehen vergessen, weil zum Beispiel 'das Fräulein vom Amt' aus verschiedenen Gründen nicht mehr zeitgemäss ist - das Vergessen dauert aber viel länger. Und vieles, was man noch in seinen frühen Kindheitstagen gelernt hat, ist aber so tief und fest verankert im eigenen Sprachsystem, dass ein völliges Umprogrammieren des Kernsystems sehr schwer bis gar nicht funktioniert.
Und viele, Menschen bezeichnenden Wörter entstammen noch einer Zeit, wo diese Bezeichnungen einzig oder überwiegend auf Männer angewandt wurden. Nämlich aus Zeiten, die man nach heutiger Lesart als zutiefst patriarchale Zeiten erkennen kann.
Da gab es nicht die Frau Lehrer, da gab es nicht die Frau Bergarbeiter, da gab es nicht die Frau Doktor. (Oder wenn doch, dann hat sie in dieser Wortfügung die Berufsbezeichnung ihres geldverdienenden Mannes angeheftet bekommen, was ja inzwischen längst aus der Mode gekommen ist - verständlicherweise, weil es heute viel zu verwirrend wäre.)
Die sicherlich geniale Idee, dem Deutschen ein Utrum zu verschaffen, um Menschen beiderlei Geschlechts (oder weiterer Geschlechter) allumfassend einzubinden, gab es noch nicht in einer Zeit, in der die Personenbezeichnungen entstanden sind. Denn sie war de facto gar nicht nötig. Die Rollen waren ja klar verteilt (man kann das für patriarchal halten) und im allgemeinen waren die Frauen im familiären Innendienst tätig, die Männer draussen. Und aufgrund der Vielzahl von unterschiedlichen Aufgaben, die es draussen zu bewältigen gilt, ergaben sich (wahrscheinlich schon lange vor unserer heute für uns verständlichen Sprache) erste Berufsbezeichnungen, die sich im Laufe der Zeit immer weiter ausdifferenzierten, spezialisierten.
Viele Frauen waren auch in Diensten und halfen vor allem als Dienstmädchen und waren wiederum überwiegend im 'Innendienst' tätig. Da war es nun nicht wichtig, genau zu beschreiben, dass sie z.B. auch den Ofen bediente. Der Begriff 'Heizerin' war also gar nicht nötig, geschaffen zu werden. Während - in einer leicht anderen Betätigung - 'draussen' der 'Heizer' nötig wurde, als Dampfmaschinen in Betrieb gingen, vor allem auch im Zuge der technischen Errungenschaft der Eisenbahn. Der tat dann auch praktisch nicht viel mehr als das, was seine Bezeichnung war: er scheppte (ich glaube hochdeutsch heisst es 'schöpfen') Kohlen mit der Schippe in den Brennraum (oder wie auch immer das dann heisst, bin kein 'Eisenbahner'). Dass da jemals eine Frau stehen könnte, um diese Arbeit zu verrichten, war sicherlich undenkbar.
So entwickelten sich viele z.B. Berufsbezeichnungen daraus, dass diese Tätigkeiten fast ausschließlich oder wirklich einzig von Männern ausgeführt wurden. So ist es kein Wunder, dass das deutsche Sprachsystem mit den typischen Wortveränderungen aus bestimmten Tätigkeiten dann ein Wort erschuf, um die Person, die diese Tätigkeit ausübt, schlüssig bezeichnen zu können:
Backen - Bäcker; Lehren - Lehrer; Mahlen (in der Mühle) - Müller; Arbeit - Arbeiter; (die Firma) dirigieren - Direktor usw. usf. Das Abbild der Tätigkeit zu einer Bezeichnung, die den Mensch beschreibt, die diese Tätigkeit ausübt, geschah in Betrachtung dessen, dass diese Tätigkeit ein Mann ausübte. Deswegen ergaben sich die männlichen Bezeichnungen für diese Berufe bzw. Personenbenennungen.
Patriarchat hin oder her. So lief das eben damals. Eine Müllerin - solange sie nicht ohnehin diesen Namen als Nachnamen führte, war dann am ehesten die Frau von dem Müller. Selbständige Tätigkeiten wurden ja oft auch an Ort und Stelle ausgeführt, wo die Familie lebte - oder umgedreht, die Familie bezog dann die dazugehörigen Räume. Und ja, nicht selten arbeiteten dann auch die Familienmitglieder genau in diesem Betrieb irgendwie mit, ja, dann war die Müllerin eventuell auch schon richtig mit Kopf und Hand dabei, dem Familienunternehmen den Erfolg zu stützen. Ja, da kam es bestimmt auch schon lange vor unserer Lebensspanne dazu, die ein oder andere Tätigkeit auch für die Bezeichnung der diese Tätigkeit ausübenden Frau zu verwenden: z.B. Müllerin. Auch ohne Familienbetrieb manchmal: Malerin. Oder Schriftstellerin.
Seit aber Frauen aufbegehren, aus welchen Gründen auch immer, aus der Rollenzuteilung des überwiegenden 'Innendienstes' auszubrechen, mussten immer häufiger auch die ehedem männlichen Berufsbezeichnungen auf Frauen angewandt werden, bzw. die weiblichen Formen geschaffen werden. Die wunderbare Möglichkeit, dies mit einem zugefügten '-in' am Wortende zu tun, schafft eben ganz komfortabel die Möglichkeit, aus einer männlichen Berufsbezeichnung eine weibliche Berufsbezeichnung zu schaffen.
Ich finde, dass diese gewachsene Struktur verständlich ist. Wieviel man dieser Struktur nun das Wesen eines Patriarchats zuschreiben will, ist von den Gefühlen eines jeden abhängig. Ich denke, man muss da keine diskriminierenden Absichten hineindeuten, sondern sie gehen auf gewachsene Strukturen zurück, die sich in der Zwischenzeit zwar verändert haben. Jedoch ein radikaler Neuanfang des Sprachsystems hingegen ist nicht so leicht zu erwarten, weil in den Köpfen diese Struktur sich von kleinauf verfestigt haben und diese sicherlich auch mehr als nur ein, zwei Generationen strukturell so oder so ähnlich weitergegeben werden.
Durch die Digitalisierung auch der Schulen kann sich da einiges beschleunigen, da bald bestehende Schulbücher nicht mehr komplett neu gedruckt und verteilt werden und gegen die alten ausgetauscht werden müssen - sicherlich ein Faktor, der vor der Digitalisierung ein ganz behäbiger Prozess war.
Und generelle Sprachänderung per Gesetz zu erzwingen, ist in Deutschland auch nicht so einfach - mal sehen, wie lange dieser Gedanke Bestand hat -, weil, wie ich meine, wir in Deutschland - von unintegrierten Zuwandergenerationen abgesehen - alle die Sprache Deutsch als verständliche Verkehrssprache benutzen und praktisch bis auf wenige Minderheiten auch unsere Muttersprache ist.
In Vielvölkerstaaten mit vielen unterschiedlichen und nicht verwandten Sprachen sähe die Situation anders aus. Da gibt es ja genügend Beispiele, wo bestimmte Sprachen, Einheitssprachen, ja Kunstsprachen mehr oder weniger per Gesetz durchgesetzt wurden - von einzelnen politisch motivierten Sprach-, Identitäts- und Völkerunterdrückungen hier mal nicht zu reden. Da ist es einfacher, Sprachveränderungen durchzudrücken, da die Verkehrssprache zu großen Teilen der Bevölkerung nicht deren Muttersprache ist - das heisst, die Verankerung der Verkehrssprache ist in der Regel nicht so tief sitzend wie die Verankerung der Muttersprache(n) und lässt sich also leichter modifizieren.
Ich denke, wir müssen noch eine Weile damit leben, dass wir nicht immer und überall ganz gendergerecht uns ausdrücken können, oder wollen. Da wohl Defizite in der bestehenden Sprache wahrgenommen werden, ist es gut, sich dessen bewusst zu sein, und in entsprechenden Situationen kann man ja versuchen, sich rücksichtsvoll auszudrücken.