"Mit Sicherheit sind aber auch Männer dabei, die sich bisher einfach noch nicht trauten, das selbst so oder so ähnlich zu machen."
Oder einfach nur welche die es zwar an anderen stimmig finden weil es zur Figur oder optisch passt aber das selber nie tragen würden.
Ja, diese Männer wird es sicherlich auch dabei geben.
Mir kam es aber auf die Männer an, die sich noch nicht trauten. Und das werden bestimmt mehr sein, als hier im Forum davon anzutreffen sind.
Es geht eben um Schwellenängste. Und dieses Stichwort hätte auch in meinem Thread gestanden, als ich beinahe zum Antworten auf
culture skirt's (Jule's) letzten Post eben einen neuen Thread aufgemacht hätte.
Forumskollege
noch_so_einer hat ja dankenswerterweise auf den Artikel in der britischen GQ hingewiesen. Und ich dachte, wenn ich jetzt auf Jules letzten Post reagiere, führte das die Diskussion rund um den Artikel zu weit weg. Aber der Threadtitel (wegen der UTF-Zeichenumsetzung steht da ein fehldeutbares 2019 drin, der Artikel ist aber aktuell aus 2021) hier im Thread drückt eigentlich genau sehr sinngemäss aus, wozu auch die Inhalte meiner jetzigen Antwort prima passen.
Zum Glück bewegen wir uns mit diesem Thread auch ausserhalb des geschützten Mitgliederbereichs, so dass jeder angemeldete Benutzer ohne 25 Eigenbeiträge hier nun auch mitlesen kann. Vielleicht auch die unangemeldeten, das weiß ich jetzt nicht. Denn für sie wird unser Gedankenaustausch mit Sicherheit mindestens genauso interessant sein, wie für die alten Hasen, die schon lange die Einstiegshürde von 25 Eigenbeiträgen genommen haben.
Ja, auch da sind wir thematisch auch schon wieder womöglich bei einer Art Schwellenangst.
Was für Ängste haben eigentlich Verwandte? (kein Partner). Dass sie abgeschleppt werden oder was?
Ja, Ängste. Auch Schwellenängste. Und die sind nicht nur beim potentiellen Hosenaussteiger (potentiellen Rockträger) da und eben ein Hemmnis, die sind auch bei den Verwandten da. Und weil man weiss, dass diese Ängste bei den Verwandten (oder anderen Menschen des Umfelds, am stärksten vermutlich aber i.d.R. bei Verwandten) da sind, erzeugen diese gedachten/vermuteten/gespürten/tatsächlich ablesbaren Ängste der Verwandten beim potentiellen Rockträger wiederum Ängste, sie verstärken also die eigenen Ängste.
Und die Schwelle, diese inneren Ängste und äußeren Ängste zu überwinden, ist für manche noch immer sehr, sehr oder viel zu hoch.
Ja, Jule, was sind das für Ängste, die die Verwandtschaft hat?
Du hast klugerweise schon den eigenen Lebenspartner bei Deiner Frage ausgenommen, weil da bestimmt noch ein ganzes Bündel weiterer Ängste mitschwingen kann. Aber auch dieses Bündel der weiteren Ängste kann in etwas abgeschwächter Form bei dem Rest der Verwandtschaft (oder bei einigen, es wird bestimmt auch coole Verwandte geben) wirksam sein.
Denn die Verwandtschaft wünscht sich natürlich für das Familienglück, in dem der rockliebende Mann beheimatet ist, alles gute, und eben auch, dass ein unbeschwertes Familienleben möglich ist und die Familie auch sozial und vor allem finanziell abgesichert ist.
Rocktragen muss damit längst nichts zu tun haben, wie viele von uns (inzwischen) wissen, dass jenes Familienglück gefährdet sein muss. Die Ängste der Verwandtschaft wird aber vor allem auch dorthin gehen, weil unkonformes Verhalten schnell als Grund gesehen wird, dass der Unkonforme im Job gemobbt wird, sich Karrierechancen verbaut, bis hin zu Jobverlust.
Ausserdem ist die Furcht da, der betreffende Mann könnte sich als schwul oder ähnliches entpuppen. Auch da besteht die Furcht, dass die Familie auseinanderbricht. Und die Verwandtschaft wünscht sich auch keiner Frau, dass sie erfahren muss, dass ihr Mann/Freund eigentlich gar nicht auf sie steht. Diese Schmach wünscht sich die Verwandtschaft nicht für die Frau. Und genau hier sind wir an einem mindestens ebenso wichtigen Grund, worin die Ängste der Verwandtschaft sich begründen:
Die Angst vor dem Gerede. Was sagen die Leute, die Freunde, Bekannten, die Nachbarn, die Kollegen, die Vorgesetzten, der Arbeitgeber, das Dorf, die Straße, die Dorfjugend, die Feuerwehr, des Gesangverein, die Bäckerin, die Frisörin...
Neben dem Familienfrieden (mit besonders finanziellem Aspekt) ist eben die Scheu vor dem ganzen Gerede das, was sehr stark die Ängste schürt in der Verwandtschaft. Und je näher die Verwandtschaft zu einem in Beziehung steht, umso mehr ist diese interessiert, dass man als bestmöglicher Mann funktioniert.
Das alles ist eben auch anwendbar auf einen Mann ohne bisherige oder aktuelle Beziehung, dann geht es eben nicht um die eigens gegründete Familie, worauf sich die Ängste konzentrieren, sondern um das persönliche Glück des 'Betroffenen'. Und das Gerede wird da genauso stark gefürchtet.
Und gerade das Gerede hängt ja zum Teil auch damit zusammen, dass, falls nun tatsächlich jemand schwul sein sollte, das ja leider noch immer als Familenschmach oftmals angesehen wird (wie gesagt, nicht unbedingt bei allen Verwandten, aber vermutlich bei den 'lautstärksten' Verwandten), verbunden mit dem Gefühl, man selbst habe im Familien-/Sippenverband und als Verwandter was falsch gemacht, die Angst nicht mehr unbeschwert wegen dem Gerede leben zu können, und auch die zerplatzende Hoffnung auf Nachwuchs.
Darf auch noch so sehr die Homophobie bei den Menschen abgebaut sein, in der eigenen Verwandtschaft sitzen die vielfältigen Vorbehalte noch immer so tief, dass viele eben nicht einen - ich konzentriere mich auf die Männer - Schwulen in der eigenen Sippe haben möchten.
Da gilt es, noch viel Lernarbeit zu leisten, bei einigen Menschen ist es nicht mehr leistbar, bei den jüngeren dürften die Vorbehalte aber längst nicht mehr so tief sitzen.
Ja, den thematischen Seitenausflug auf Homophobie muss ich leider machen, da dies noch immer miteinander vermischt wird, solange das Rocktragen unter Männern nicht so weit verbreitet ist wie ... Barttragen zum Beispiel.
Und einem männlichem potentiellen Rockträger wird eine allgemeinere Akzeptanz von gleichgeschlechtlicher Liebe helfen, weniger Vorbehalten in seinem persönlichen Umfeld begegnen, doch die Überzeugung, dass das eine mit dem anderen längst nichts zu tun haben muss, die wird ihm noch viel mehr helfen.
Das Outing eines nichtschwulen Rockträgers wird vermutlich ähnlich schwer sein wie das Outing eines schwulen Mannes.
Und gegen diese Ängste der Verwandtschaft muss ein potentieller Rockträger eben arbeiten. Jeder auf seine ganz persönliche Weise. Die Arbeit, sich den Kick zu geben, um die Schwelle der Schwellenängste einmal zu überwinden, die muss jeder für sich selbst leisten. Aber Artikel wie der von der GQ können auf diesem Weg unterstützen. Einen selbst. Und auch die Verwandtschaft. Bei dieser Medienpräsenz dürfte auch der kritischsten Tante Liesel das Thema schon mal untergekommen sein.
Der Schritt über die Schwelle ist heute so klein wie noch nie zuvor. Und auch grade die Jahreszeit Sommer (Thema Schwitzen und Luft) hilft ja auch noch mal, genau jetzt den wichtigsten Schritt anzugehen.
Deswegen stimmt ja auch der Threadtitel so perfekt:
"Wenn Du nicht jetzt Röcke trägst, warum nicht?"