Ich finde es ja amüsant, wie man sich darüber verzetteln kann, was Mann noch tragen darf, bevor er kein Mann mehr ist. Die Frage ist doch: Wer entscheidet das und auf Basis welcher Kriterien?
Man kann das biologisch sehen: Wer biologisch ein Mann ist, wird das biologisch immer sein, auch im Prinzessinnenkleid.
Man kann das in Bezug auf die Identität sehen: Wer sich selbst als Mann identifiziert, wird immer ein Mann sein, auch im Prinzessinnenkleid und auch mit abweichender Biologie.
Ob wir Mann sind oder nicht, hängt also nicht von der Kleidung ab. Aber es geht gar nicht um das "Mann sein", sondern um das "Als Mann wahrgenommen werden" und da fangen die Probleme an. Denn dann geht es nicht mehr um uns, sondern um fremde Menschen. In deren Augen wollen wir Mann sein, egal, wie männlich wir uns selbst fühlen. Auch wenn wenn wir rational betrachtet genau wissen, dass wir im Prinzessinnenkleid genausoviel Mann sind wie im Holzfälleroutfit - es zählt, was fremde Menschen denken könnten. Denn wir wissen das natürlich nicht - wir vermuten es aufgrund gesellschaftlicher Konventionen, die Teil des Rollenmodells "Mann" sind.
Dieses Rollenmodell spielt eine wesentliche Rolle, denn es gibt uns vor, was noch als männlich durchgeht und was nicht. Wir alle haben diese Grenzen bereits mehrfach in kleinen Schritten verschoben, aber da uns andere bewerten, stehen wir in einem permanenten Konflikt zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Wir müssen uns auf der einen Seite ständig selbst versichern, dass wir auch im Kleid noch Mann sind, denn das hält unsere verschobenen Grenzen an ihrem Platz - und gleichzeitig kämpfen wir gegen das Wissen, dass andere uns gerade deshalb möglicherweise nicht mehr als Mann wahrnehmen. Für andere ist eben schon ein einfacher Rock zu viel und das wissen wir natürlich auch. Das erzeugt Unsicherheit und wirkt wie ein schlechtes Gewissen, das uns permanent bremst und zurückhält. Mit anderen Worten: Wir haben Angst.
Um zur Ausgangsfrage zu kommen: Natürlich können Männer im Kleid gut aussehen. Männer im Kleid können sogar ausgesprochen gut aussehen, so wie jeder Mensch. Das Kleid ist aber nicht das Problem. Das Problem ist alleine unsere Vorstellung wie ein Mann zu sein hat. Mode für Männer hat in Bezug auf die Gesamtmode nur eine ganz geringe Bandbreite, deshalb landen wir schon bei kleinsten Abweichungen im "Nicht-Mann" Bereich und das wollen wir eigentlich nicht. Frauen dagegen haben die ganze Bandbreite zu Verfügung ohne je in den Verdacht zu kommen, keine echte Frau mehr zu sein.
Der Punkt dabei ist: Ohne unsere Angst zu überwinden und die Grenzen zu verschieben, ohne den Mut zu haben für andere ein "Nicht-Mann" zu sein, kommen wir nicht weiter. Nur dann, wenn wir die Unmännlichkeit in den Augen anderer in Kauf nehmen, können wir langsam deren Wahrnehmung verändern, denn sie müssen alle erst lernen, dass der "Nicht-Mann" da im Kleid eben doch ein Mann ist. Einer mit typisch männlichen Eigenschaften, wie dem Mut und dem Selbstbewußtsein, seinen Weg zu gehen - auch gegen Widerstände.