Hi John,
bei Deiner Frage, was Du so schreibst, hab ich viel von mir irgendwie wiederentdecken können.
Ich fing auch mal an. Und brauchte lange, mir Mut beizubringen. Und hatte Fragen, aber Internet gab es da noch nicht. Die Antworten musste ich mir alle selbst erarbeiten.
Bis auf den letzten Satz (Figurtypus) erinnerte mich vieles an meine Anfänge. Ja, rausgefahren bin ich, aufs Land, in den Wald, weit weit weg. Dass möglichst niemand mir begegnet. Und wenn - unvermeidlich doch - die mich mit Sicherheit nicht erkennen.
Langsam tastete ich mich in entfernte Städte vor. Immer auf der Hut, dass nicht doch irgendwelche Bekannte da irgendwie auch wären. Bestimmte Städte also mit höherer Wahrscheinlichkeit einer peinlichen Begegnung waren erstmal lange Zeit tabu.
Auch im Stil tastete ich mich vor. Erst irgendwie stillos. Dann pendelte es sich auf Jeansröcke, gerne auch in beige oder sonstwie anders hell, ein. Schmale Silhouette, nach der ersten Orientierung zunächst ohne Gehschlitz (weil zu "sexy", also "weiblich"), später aber mit: Kompromiss - weil Gehschlitz macht die Silhouette schmaler, passt besser zum restlichen männlichen Outfit - so meine eigene Beurteilung.
Ich erhielt oft Zustimmung, vor allem von Kolleginnen: gekonntes Form- und Farbspiel. Aber immer wieder wurden meine Schuhe kritisiert. Da hatte ich lange Zeit zu wenig Augenmerk drauf. Ich trug immer noch die alten "Hosen"-Schuhe.
Sandalen mochte ich nicht, sehr zum Leidwesen meiner Fußgesundheit. Und so entdeckte ich das, was ich später als "Sneakers" kennenlernen sollte. Das sieht einfach gefälliger aus als gängige andere Männerschuhe.
Mittlerweile trage ich längst Sandalen, auch sehr filigranes Schuhwerk, luftig, sehr zur Freude meiner Fußgesundheit.
Im Winter "zu´ne" Schuhe,
nie ohne Socken,
mittlerweile Feinstrumpfhosen dazu. Das ergibt besseres Mikroklima als ohne FSH oder ohne Socken oder ohne beides. Socken selten höher als zwei Daumenbreit über den Schuhen. Oder bei knöchelfreien Schuhen nie höher als bis Wade anfängt, dicker zu werden. Notfalls ein, zwei Mal umschlagen. Männerkniestrümpfe sieht nicht aus, an mir nicht, und rutschen.
Und meine Haare gehören zu mir. Hab aber auch nicht so dichtes Fell. Und blond. Zum Teil jetzt wohl auch grau. Bei wadenlangen Jeansröcken oder länger oder solchen aus Polyester, ohne Strumpfhosen getragen, werden auch automatisch etliche Härchen über die Wochen hinweg - wenn Du gerne läufst - ausgerissen. Unmerklich. Einfach so. Das reduziert den Pelz. Bei mir jedenfalls.
Da ich im Winter jetzt FSH (Feinstrumpfhosen) trage und im Sommer kaum lange Röcke, ist das inzwischen anders. Beine rasieren aber: nein. Ich wähle, wenn es schick genug sein muss, 30 oder 40 den-Strumpfhosen, am liebsten in Schwarz. Das drückt die Haare platt, und die, die im Lauf des Tages durch die Maschen wandern, fallen nicht auf wegen dem Braunton, der durch die leichte Transparenz entsteht. Und die plattgedrückten Haare verschwinden unter dem Maschenbild.
Drum kann ich mir 3 mm gekürzte Haare an den Beinen in FSH auch gar nicht vorstellen, weil die sich nicht plattdrücken lassen. Die lugen immer hervor.
So auch an der Brust. Die Haare sind fast das einzig männliche, was ich zur Schau stellen kann...
Die hege und pflege ich. Bei Bedarf wird dann mal das ein oder andere 5-cm-Brusthaar gekürzt, wenn es über den offenherzigen Ausschnitt drüberhängt. Aber alles auf wenige Millimeter wegstutzen ist blöd, weil sie sich dann auch nicht mehr unter den Stoff legen, sondern überall wie eine Bürste durch den Stoff rausgucken. Und ganz blank machen, dann hab ich ja noch mehr Hühnerbrust!
Ich bewege mich gerade in einem Umfeld, wo einige Mädels gerne mit mir Waxing machen würden. Brust, Beine. Achseln? Bestimmt eine nette Aktion mit Prickelpotential. Aber will ich die Haare weg? Nein. Sie gehören zu mir. Sie wachsen halt. Ich bin Mann. Ich muss nicht alles tun, um meine Kleidung aus den Damenabteilungen kompatibel zu machen mit dem Bild, was man von dieser Kleidung üblicherweise hat.
Ich interpretiere Röcke und Kleider, auch sonstige Sachen - Spaghettitops im Sommer ungemein angenehm, ich schwitze viel - also ich interpretiere all die Sachen, auch wenn sie aus der Damenabteilung kommen, neu: auf eine männliche Art.
Ich will Freiheit. Und nicht das nachmachen, was andere von mir erwarten.
Mach das auch, John!
Du wirst Dich entdecken! Du wirst Deinen Stil finden. Du wirst experimentieren. Und manches geht schief, manches wird umso besser.
Ich für mich behaupte, ich habe keinen "meinen Stil", keinen durchgängig einheitlichen Stil. Für mich ist "Stil" etwas, was ich jeden Tag neu entdecke, neu definiere. Mein "Stil" ist das Spiel. Das Spiel mit Kleidung, was an mir geht, was nicht. Nur, was mir selbst gefällt, trage ich auch selbstbewusst. Drum frage ich nicht, ob anderen das gefällt. Ich lasse mich auch ungern beraten, denn was mir gefällt, entscheide ich. Mir gefällt, wenn andere sagen, dass ihnen gefällt, was ich trage. Und das klappt am besten, wenn man sich selbst gefällt.
Willkommen im Spiel mit "Stil". Willkommen in der Freiheit!