Mal ohne Zitation:
Ja, Rockio, Religionen sind menschliche Konstrukte, so wie Wissenschaften, Künste, Techniken, Wirtschaften und alle anderen Bereiche menschlicher Kultur. Gemessen an den jeweiligen Beurteilungsmaßstäben finden sich überall wunderbare und fehlerhafte Merkmale.
Ich weiß nun aber nicht, ob das Wort "Konstrukte" für Dich und mich dieselbe Bedeutung hat.
Bevor ich selber da groß aushole, verlinke ich mal auf ein Interview mit mir von 2011:
http://www.remid.de/blog/2011/09/der-buddha-im-westen-moderne-einmal-anders/ So am Anfang der zweiten Hälfte steht was zu meinem Konstriktivismusverständnis.
Konservativismus ist konkstruktivistisch betrachtet auch nichts per se Schlechtes. Es handelt sich vielmehr um das Bewahrenwollen bewährter Routinen, die einem den Zwang zum Immer-wieder-neu-entscheiden-müssen nehmen. Diese Routinen geben Sicherheit, Gewohnheit, Orientierung und sind so lange gültig oder nützlich, wie sich die Lebensumstände, zu denen sie passen, nicht ändern. Tun sie es aber, müsste man sie in Frage stellen. Viele Menschen tun das aber ungerne, sondern bekämpfen dann lieber die sich ändernden Umstände. Auch das ist nicht per se verwerflich, denn es gibt ja nicht nur gute Änderungen der Umstände. Auch Konservativismus ist also differenziert zu betrachten, will man ihm gerecht werden.
Die Historizität der Aussagen Jesu, Siddharthas, Sokrates, Kung Tses, Lao Tses, Muhammads usw. sind nicht sehr wahrscheinlich, da keiner von ihnen selber geschrieben hat, sondern immer die Anhägner deren Aussagen überliefert haben. Aber sinngemäß werden sie dem schon nahe kommen, was tatsächlich gesagt wurde. Und wenn ich die überlieferten Aussagen lese, kann ich nicht anders, als vieles als revolutionär zu halten. "Liebe Deinen Feind", statt "Liebe Deinen Freund und hasse Deinen Feind" oder Freiheit durch Verzicht, statt Freiheit durch Macht usw. sind doch Einstellungen, die dem, was man normalerweise so denkt, diametral entgegenstehen. Was allerdings sein kann, ist, dass noch viele andere Menschen solche Erkenntnisse oder Idee hatten, von denen aber nichts überliefert ist oder gar, dass das wirklich nichts Neues war, sondern schon immer einige Menschen so dachten, sich aber nicht durchsetzen. Auch die oben genannten Persönlichkeiten haben sich mit diesen Ideen ja noch nicht wirklich durchgesetzt. Das steht noch aus oder aber wird nie passieren.
Kennst Du das Buch "Die maßgebenden Menschen" von Karl Jaspers?
Und doch, auch Sozialismus und Demokratie wollen immaterielle Werte bewahren. Gemeinschaft und Herrschaft des Volkes, statt nur weniger Leute, die über das Volk herrschen. Neulich meinte auch ein Trump-Wähler, die Amerikaner wollten den Geist der Gründerväter der USA bewahren, und dafür stehe auch Trump. Ich würde es anders sehen, aber das hat einer gesagt, und damit eigentlich ganz gut gezeigt, was poltischer Konservativismus auch in Bezug auf das Bewahren einstmals revolutionäre Ideen bedeuten kann, nämlich die von den Gründervätern im 18. Jh. angebahnte Entwicklung nicht weiterdenken, sondern einfrieren.
So, ich habe heute - trotz Sonntag - noch was zu tun, nämlich CD-Rezensionen schreiben.
LG!
Micha