bei Deinem Beispiel geht es aber nur um Individualität, also die Unterscheidung von Person X und Y in Bezug auf ihr Verhalten und ihre Willensvorstellungen.
Nein, es geht um viel mehr, auch um Freiheit. Primär geht es auch um die Aktion von Person Y, die anders agiert als Person X, weil Person Y nicht in der Situation ist wie Person X. Und selbst wenn Person Y in einer vergleichbaren Situation wäre, wie Person X, dann ist die Situation von Y nur vergleichbar, aber niemals exakt die identische zu der Situation von Person X. Das geht schon alleine deswegen nicht, weil vermutlich Zeit und Ort nicht identisch sind, und lägen zum identischen Zeitpunkt nur wenige Zentimeter dazwischen, so macht dies schon einen Unterschied.
Die vergleichbare Situation von Y zu der Situation von X ist deswegen auch niemals identisch, weil Y andere Gene hat als X. Weil beide auf nicht identische Erfahrungen zurückgreifen, weil beide unterschiedlich interpretieren, unterschiedlich konstituiert sind, unterschiedliche Interessen verfolgen, untersch... ... ... ...
Ehe ich hier ins Unendliche abgleite: Jeder ist das Ergebnis all seiner Erfahrungen, all seiner Geschichte, all seiner ...
Konsequent zuende gedacht, ist jeder der Agent seiner Geschichte und Umwelt. Jeder agiert zu jedem Zeitpunkt so, weil er einfach so agieren muss. Wieviel Freiheit für einen freien Willen da noch bleibt, ist ein weltanschauliches Thema.
Wenn Du Nachdenken willst, bevor Du handelst, dann deswegen, weil die Bedingungen Dich zwingen, nachzudenken. Nachdenken gehört mit zu den vielen anderen Aktionen, die Du jemals ausgeführt hast und ausführen wrst.
Meine Frage - die mich seit Jahren umtreibt - ist die:
Freiheit definiere ich als das Merkmal einer Bewegung, die keine Ursache außerhalb ihrer selbst hat.
Erster Aspekt: Es gibt Untersuchungen, die beweisen wollen, dass der Körper schon agiert, bevor der Entschluss gefasst wird, zu agieren.
Zweiter Aspekt: Es gibt nichts, was passiert, ohne dass es von sich heraus geschieht, also ohne Ursache von aussen. Ausnahme: der radioaktive Zerfall. Der passiert zufällig, aus sich heraus. Aber vermutlich nur, weil wir noch nicht begriffen haben, welche Auslöser dafür zuständig sind. Vielleicht werden wir (wir Menschen) dies nie begreifen, weil es ausserhalb des für uns Begreifbaren liegt.
Zurück zum ersten Aspekt: Definieren wir so einen Begriff wie Freiheit respektive Freier Wille vielleicht nur deswegen, weil wir viele andere Optionen uns ausdenken können? Vielleicht sind die Optionen nur theoretisch. Die Option, die zum Tragen kam, war vielleicht die einzig mögliche gewesen. Nur weil wir alle Zusammenhänge bis ins letzte Detail nicht (und ich vermute auch niemals) überblicken können, erkennen wir nicht, dass es wirklich nur die einzige und folgenrichtige Option war. Die anderen Optionen also nur scheinbare, aber keine echten Optionen waren.
Weil wir uns als Mensch zu Höherem berufen fühlen, ist es am Ende sogar Eigenschutz um zuzugeben, dass wir in jedem Bruchteil jeder Millisekunde nur Agenten sind an der Spitze all unserer (ich verkürze es mal) Geschichte?
Wenn jede Bewegung in der Natur Ursachen außerhalb ihrer selbst hat, dann gilt dass doch auch für Hirnaktivitäten. Der Wille eines Menschen entseht aber im Gehirn, ist also die Folge von Hirnaktivitäten. Wenn aber Hirnaktivitäten Folgen von Ursachen außerhalb ihrer selbst sind, dann sind sie nicht frei, und somit ist auch der Wille nicht frei.
Konsequent richtig gedacht. Jede Hirnaktivität ist ebenso Aktion, die aufgrund der "individuellen" Geschichte der beteiligten Teile und unter Einhaltung der immergleichen Gesetzmässigkeiten abläuft.
Ich vermute, dass "Freier Wille" eine Bezeichnung ist, die sich auf einen erkennbaren Teil oder einen vermuteten Teil aller Ursachen einer Handlung bezieht, mit der Kenntnis darüber, dass der Blick auf diesen Teil auch andere Optionen hätte bieten können.
Freiheit - ein Begriff, der wie vieles anderes zu der Gruppe der ganz unscharfen Bezeichnungen zählt und die für jeden etwas anderes bedeuten, die aber nötig sind, um gewisse Muster oder Ideen von Person zu Person ansatzweise konkruent vermitteln zu können. Genauso wie Glück, gut, böse, Armut, Reichtum, Wissen, ...
Freiheit, ich meine die innere Freiheit, ist ein Begriff, der in uns zur inneren Beruhigung führt, dass man die Folgen der ausgeübten Freiheit nun ertragen können muss, denn man hätte sich auch anders entscheiden können mit dieser Idee der Freiheit. Freiheit ist ein schönes Wort, um sich selbst die Verantwortung geben zu können. Freiheit ist ein schönes Wort, um auf bessere Entscheidungen in der Zukunft hoffen zu können.
Eigentlich untypisch, ist man doch allgemein bestrebt, die Verantwortung immer ausserhalb von sich zu suchen. Wahrscheinlich ist Freiheit die Idee, vermute ich, die uns an uns selbst und an allem, was passiert, nicht verzweifeln lässt.
Denn denkt man das konsequent mal zu Ende, so ist unsere Person X in (hier wieder verkürzt gesagt) ihrer Geschichte gefangen und in dem, was ihre Geschichte werden wird. Und Person Y ebenso. Sie können nur tun, was sie tun müssen, sie können nicht anders. Person X und Person Y sind Agenten (wenn man so möchte: gelenkte Agenten). Ich auch. Du auch. Merkel, Napoleon, Kater Murr auch, alle. Zu jeder Millisekunde.
(Noch ein Seitenblick auf "gelenkt": Nein, es braucht keinen Lenker, es braucht keinen Vordenker, vermutlich ist das gar nicht möglich, weil all die unzähligen Vorereignisse und Nebenbedingungen nicht vorauskalkulierbar sind. Nein, sie geschehen einfach, aufgrund der immergleichen (?) Gesetzmässigkeiten. Wir sind zu jedem Zeitpunkt die Spitze unserer Geschichte. Wir erleben was aus ihr wird. Und wir erleben, was aus der Geschichte der anderen wird.... Der Lenker ist das Unabdingbare)
Bei Freiheit kann man auch unterscheiden zwischen der Freiheit von etwas und der Freiheit zu etwas. So kann ich frei sein von Alhoholsucht (Freiheit von etwas) und somit frei, sieben Wochen ohne Alkohol auszukommen (Freiheit zu etwas). Also gibt es für uns Menschen zwar keine absolute Freiheit im Sinne des obigen Satzes, aber eine relative Freiheit.
So. Will mal versuchen, weniger abgehoben das anzugehen und mich den lebensnäheren Denkräumen wieder anzunähern.
Ganz wichtig finde ich, jetzt zu der Freiheit, die wir besprachen, auch ganz plastisch die politische Freiheit zu erwähnen. Totale Freiheit kann es nicht geben. Es braucht immer Rahmen, die gesteckt werden, will man vernünftig ein Leben führen. Dazu sind Staaten sehr hilfreich. Demokratien scheinen hier ein recht gutes Gebilde zu sein - hatten wir schonmal an anderer Stelle. Über die Welt hinweg gibt es aber Staaten, die die Freiheiten eines Menschen ganz unterschiedlich auslegen und zulassen. Aus unserer Sicht gibt es Staaten, die die Freiheiten von Menschen stark einengen.
Was macht das mit Person X, um bei meinen obigen Bildern zu bleiben? Politische Beschneidung von Freiheiten rammt einen starken permanenten Keil in die (auch hier wieder verkürzt gesagt) persönliche Geschichte der Person X und in die Geschichte, die Person X in Zukunft entwickeln wird. Da mischen die politisch gesetzten Bedingungen ganz deutlich mit bei vielen Aktionen/Handlungen unserer Person X.
Wieder hin zur inneren Freiheit. Lieber Micha, Du sprachst die Sucht an. Nehmen wir jetzt Person Y. Y ist süchtig. Ist Sucht nicht etwas, was wir als Aussenstehender (will heissen als nicht Y Seiender) der betrachteten Person Y zuschreiben? Vielleicht empfindet Y dies gar nicht als Sucht. Vielleicht stülpen wir Y Erwartungen über, die Y nicht erfüllen kann. Wenn wir Y wären, dann könnten wir auch nicht anders (Ich rede nicht von der vergleichbaren Situation, sondern von der identischen Situation, d.h. wir=Y).
Lasst uns jetzt mal Person Y sein. Wir sind süchtig. Nehmen wir an, wir kommen im Verlauf unserer Geschichte zu der Erkenntnis, dass wir süchtig sind. Vielleicht aufgrund unserer Vorbildung. Vielleicht, weil eines der vielen Helferlein, die auf einmal auf uns zu kommen, uns soweit beeinflusst (also mit dem Lauf unserer individuellen Geschichte interagiert), dass wir erkennen, dass wir süchtig sind. Im weiteren Verlauf hängt es davon ab, wie stark die inneren und äusseren Interaktionen sind, dass die folgerichtige Option jene ist, die unsere Sucht beherrschbar macht.
Es ist die Summe aller Interaktionen, und da schliesse ich Napoleon, den Ausbruch des Krakatau, Schlacht von Stalingrad, Frau Merkel, unsere Eltern, all die Helferlein und das Schnitzel von gestern mit ein, was dazu führt, welchen Weg wir als süchtige Person Y gehen.
Wenn Person MAS sieben Wochen ohne Alkohol auskommt, dann liegt das an der individuellen Geschichte von MAS, an der Summe aller Interaktionen, eingeschlossen Napoleon, Krakatau, Stalingrad, den Veggieburger von 2016 und all die Informationen darüber, wie ungesund Alkohol doch sein kann. Du kannst nicht anders. Du musst sieben Wochen auf Alkohol verzichten. Auch wenn es Dir vorgaukelt, es würde Dir schwerfallen. Auch wenn es Dir vorgaukelt, Du hättest Dich frei dazu entschieden.
Und noch ein allerletzter Gedanke: Er gilt denjenigen, die als gelenkte, getriebene Agenten ihrer Geschichte sehr oft zu der Aktion Nachdenken neigen und sich Vorwürfe mache, dass alles doch ganz anders sein könnte als die jetzige Situation. All denjenigen sei zum Trost gesagt: Is nich. Die Entscheidungen, wie sie gefallen sind, sind nun einmal gefallen, egal mit Freiheiten oder als getriebener Agent seiner eigenen Geschichte. Geschichte kann man nicht mehr ändern. Das, was noch nicht Geschichte ist, ist jeweils der kommende Moment...
Puh...ich hoffe, das liest einer...
Wolfgang