Hallo AsiaHarry!
nach meinen Recherchen liegt es tatsächlich daran, dass unsere Gesellschaft verschiedene Rollen für Männer und Frauen vorsieht. Die Rolle der Frau beinhaltet trotz aller feministischer Emanzipatorik auch heute noch, dass Mädchen/Frau schön und begehrenswert zu sein habe -- Männer haben diesen Teil nie übernommen. Dementsprechend leben auch viele Frauen diese Anforderung aus.
Männer hingegen werden immer noch in der Pflicht gesehen, als verlässlicher und fleißiger Familienversorger aufzutreten. Demnach kleiden sie sich auch. Das Attribut 'sexy' stünde einem solchen Anspruch im Wege. Grundlage der Männermode ist hierbei immer noch der bürgerlich-pietistisch-calvinistische Stil von Bescheidenheit, Demut, Unauffälligkeit und Fleiß und der proletarisch-bäuerliche Stil von Pragmatismus und Zweckgebundenheit. Modische Freiheit und Freizügigkeit für Männer wird es wohl nur zu ökonomisch sichereren Zeiten geben. Es wird ja immer vielfach auf die größere Modefreiheit der Männer bis zu Anfang der 1980er verwiesen, eine Zeit also, wo das Abendland eine Phase ökonomischen Wachstums und Wohlstands durchmachte.
Verallgemeinert lässt sich sagen, dass modische Freiheit und Finesse nur denen zugestanden wird, denen keine ökonomische Leistung abverlangt wird. Waren es vor der französischen Revolution die Aristokraten, so waren es danach die Frauen. Als Weiterentwicklung und Zwischenergebnis der Frauenbewegung sehen sich heute auch viele Frauen dem Druck zu maßvoller Garderobe ausgesetzt, die bestenfalls mit Reizen akzentuiert wird. Es gibt durchaus einige Frauen, die sich über ihre Wahrnehmung in ihrem Freundes- & Bekanntenkreis auslassen, dass sie dort zu 'weiblich' aufträten, ebenso wie es Männer gibt, die verwundert feststellen, dass viele Frauen zu der gleichen öden Jeans- & T-Shirt-Kombination greifen wie Männer. Das Phänomen habe ich mir also nicht ausgedacht.
Im Gegensatz zu Männern gibt es aber traditionelle Schutzzonen, wo Frauen nicht nur noch 'weiblich' auftreten können, sondern es sogar gewünscht wird -- praktisch alle gesellschaftlichen Anlässe, wo es also ums Sehen und Gesehen-Werden geht, Bälle, Verleihungen, Partys usw.
Man kann das Schaugeschäft als Schutzzone auffassen, wo auch Männer sich um auffällige und ausgefallene Garderobe bemühen können. Aufmerksamkeit ist dort die Währung des Erfolgs. Filme hingegen werden durchaus als Fiktionen wahrgenommen, zumindest wenn der Filminhalt erkennbar an der Lebenswirklichkeit vorbeigeht. Interessanter wäre ein Film, wenn er im Hier & Jetzt spielte und die Männer da entsprechend auffällig aufträten, geschmückt, geschminkt mit ausgefallener Garderobe -- ohne jedoch einer wie auch immer gearteten Subkultur anzugehören.
Das wahre Problem sehe ich darin, dass es Männern verübelt wird, wenn sie modische Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Da abseits der männlichen Garderobe alles Vorstellbare bereits von Frauen genutzt wird, wird jede Abweichung vom Gewohnten als 'weiblich' wahrgenommen, wenn es nicht erkennbar traditionell oder Tracht ist.
Ich jedenfalls sehe keine andere Lösung für besagtes Problem als im Zuge der Gleichberechtigung und Emanzipation die Vorstellungen von 'Männlichkeit' und 'Weiblichkeit' zu dekonstruieren. Für mich gehört dann dazu, eine andere Skala der Bewertung von Outfits zu finden als 'der männlichen oder der weiblichen Rolle entsprechend', weswegen ich mich der Ästhethik zugewandt habe, die in großen Teilen tatsächlich sogar nachvollziehbaren Regeln folgt. Ironischerweise erfüllen schwarze Anzüge mit weißem Hemd und Krawatte die Anforderungen beider Kriterien --'männlich' und ästhetisch--, weswegen wir die wohl nie los werden.
LG
Masin
PS: Ich find's immer noch toll, dass Tokio Hotel offen einen anderen Stil propagiert. Davon brauchen wir mehr.