Explizit 2009 war da so eine Krisenphase, fand ich.
Da gab es schon so drei bis fünf Jahre lang keine gescheiten Röcke in den Damenabteilungen, fand ich. Kleider trug ich da de facto noch nicht alltagstauglich. Und die Röcke waren mir für Stand damals alle zu feminin, zu verspielt, mit Volants, Blumenstickereien oder Glitzerstreifen. Und wadenlange, gar knöchellange Röcke für den Nachschub waren praktisch gar keine aufzutreiben - allenfalls in Secondhand-Läden. Denn vor so 2005 war das ganz anders. Da war so jeder vierte Damenrock auch spontan männertauglich. Von daher war so vor meinem inneren Auge, alles, was ich so 2009 an Röcken trug schon irgendwie recht abgetragen und langweilig. Ich muss sagen, das kratzte ein wenig am Selbstbewusstsein. Das Modell 'Damenröcke stehen auch Männern' war bedroht.
In der Zeit zuvor gab es zwei generell wichtige Schübe: Zum einen, dass ich und andere Männer durch den Kontakt zum Internet entdeckten, dass es noch andere Männer gibt, die die gleiche Neigung haben, statt Hosen Rock zu tragen.
Zum anderen das roundabout-Fin-de-Siècle-Phänomen, dass besonders in der Techno-Szene Männer (Jungs) vorwiegend lange Polyester-Röcke trugen, was auch noch kurz nach dem Milleniums-Wechsel anhielt. Ein paar Jahre später zerfiel dieser Trend wieder zusehends - bei den letzten Loveparades (bis 2010) war das leider schon wieder nahezu ausgestorben.
Warum erwähne ich diese meines Erachtens bemerkenswerten Schübe?
Es baute das Selbstbewusstsein auf!
Eigene Entspanntheit und Entspanntheit der anderen haben da meiner Erfahrung nach auch eine positive Rückkopplungsschleife.
Genau. Denn für mich (und viele andere wohl auch) erhöht es die eigene Entspanntheit ungemein, wenn man weiß, dass man nicht der einzige 'Idiot' ist.
Und die Entspanntheit der anderen (der mich Wahrnehmenden) erhöht es ebenso, wenn sie nicht nur mir als Beispiel begegnen, sondern schon andere Männer in Röcken gesehen haben.
Das Fixum 2009 war zwar wegen der damals aktuellen Rockmode schon ein eher krisenbedrohtes Jahr - wie oben beschrieben - es hatte sich aber in der Stimmung der Wahrnehmenden bereits ungemein etwas getan. Verglichen zu 10, 20 Jahren vorher war das insgesamt relativ easy. In den 90ern noch konnte es schnell passieren, dass man auf den Straßen geringschätzende Floskeln nachgerufen bekommen hat. Das kam in den Nullerjahren fast gar nicht mehr vor.
1990 hätte wahrscheinlich noch jeder Dritte insgeheim unsereins in die Therapie schicken wollen. 2009 vermutlich nur noch jeder Zwanzigste. Und 2022 wird es wohl kaum noch jemanden geben (ausser vielleicht die eigene Lebenspartnerin), der wohl ernsthaft der Meinung ist, rocktragende Männer gehörten therapiert.
Und genau so fühlt es sich eben auch im Wandel der Zeit da draussen an, wenn man in Rock oder Kleid rumläuft. Ich habe schon immer oft Zustimmung bekommen von mir unbekannten Dahergelaufenen, insbesondere Frauen. Das ist noch deutlich mehr geworden. Wobei verglichen zu 2009 ich nun 2022 merke, dass die spontane Zustimmungsbekundungen von Fremden in der Häufigkeit wieder rückläufig ist. Ich verspüre, dass es mit einer Erhöhung der Selbstverständlichkeit einhergeht, dass eben ureigene 'Lebensformen' deutlich leichter akzeptiert werden als vor 10 und mehr Jahren.
Ich bin in letzter Zeit auch häufig in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, oft auch mit Gruppen von halbstarken Jugendlichen. Reaktionen, gar verbale oder Lachen, Auslachen, gibt es definitv keine mehr. Tuscheln hinterrücks oder so kann ich auch nicht feststellen. Das läuft allenfalls dann im Stillen in sozialen Netzwerken ab, denn manchmal bilde ich mir ein, dass jemand, dem es langweilig ist, dann schon mal versucht, 'versteckt' von mir ein Foto zu machen. Naja, wer mich sehen darf, darf mich auch fotografieren. So ist das heutzutage.
Bei Menschen, mit denen ich direkt zu tun habe, bekomme ich, falls überhaupt auf meine Kleidung Bezug genommen wird, eine breite Zustimmung zu spüren. Ich werde bestärkt, dass es toll wäre und gut aussähe. Ich habe das Empfinden, von den meisten als eine willkommene Bereicherung aufgefasst zu werden.
Und in den letzten Jahren - sagen wir 5 Jahren - kam es gehäuft vor, dass ich spontan auch von Männern in einem kumpelartigen Sinne zu einem Drink eingeladen werde. Die zwanghafte Abneigung von Männern, die oft noch in den 90ern zu spüren war, ist deutlich einem erhöhten Interesse an mir - und nicht nur meiner Kleidung -, also an mir als Person und Weltenbürger gewichen.
Ich glaube, das ist die wichtigste Botschaft, die mir sicherlich auch im Vergleich von 2009 zu 2022 einfällt, wie sich Reaktionen gewandelt haben: Die Männer sind mir gegenüber deutlich aufgeschlossener. Früher war deutlich mehr die 'Pfui-Deibel'-Haltung noch spürbar.
P.S.: Und - die meisten von Euch wissen das, nur zur Klarstellung - mir geht es nicht darum, besonders gut bei Männern anzukommen, mir geht es darum, besonders gut mit Menschen auszukommen, und da zählen neben Frauen ja auch Männer dazu.