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Röcke und mehr... => Artikel und Presseberichte => Thema gestartet von: androgyn am 16.01.2017 22:13

Titel: Die Hose 
spricht. Neues von Barbara Vinken.
Beitrag von: androgyn am 16.01.2017 22:13
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Coco Chanel [..] brauche kein Copyright für ein Kleid. In dem Augenblick, in dem man es auf der Straße sehe, sei es ­ohnehin schon alt und tot. Deshalb kommt man ja immer zu spät. Oder zu früh.
https://www.brandeins.de/uploads/tx_b4/Vinken.mp3 (https://www.brandeins.de/uploads/tx_b4/Vinken.mp3)
https://www.brandeins.de/archiv/2016/geschmack/barbara-vinken-interview-die-hose-spricht/ (https://www.brandeins.de/archiv/2016/geschmack/barbara-vinken-interview-die-hose-spricht/)
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Was stört den Bürger so sehr am eleganten Äußeren?
Historisch setzt sich die bürgerliche Männermode von der Mode des adligen Höflings ab.[...] Männer bei Hofe zeigten ihre wohlgeformten Beine, die Schamkapsel betonte das Geschlechtsteil.[...] Nach der Revolution wurde Mode weiblich. In seinen geschmückten Frauen stellte der Bürger die Kastration, die Entmachtung des Adels aus.

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Imitieren schmucksüchtige meterosexuelle Männer wieder die ­adlige Pracht?
Das ist nur ein sehr schwacher Abglanz. Es wäre ja schön, wenn sich diese Geschlechtermuster auflösen und Männer sich wieder schmücken würden. Es täte den Männern ganz gut, etwas weiblicher zu werden.

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Das nächste Dauer-Phänomen: Crossdressing.
Ja, Crossdressing ist das Herz der Mode des 20. und 21. Jahrhunderts – von Mann zu Frau, Frau zu Mann, Arbeiter zum ­Bürger, Subkultur zur Hochkultur, Krieg zum Frieden. Das ist allerdings fürchterlich banalisiert worden zur Passepartout-­Formel: Chiffon-Kleid mit Parka drüber und Springerstiefeln. Es kommt einem zu den Ohren raus; seit zehn Jahren liest man das in jeder guten und schlechten Modezeitschrift. Ich kann es nicht mehr hören und nicht mehr sehen. Crossdressing ist doch nur interessant, wenn es einen polemischen Wert hat und nicht einfach alles mit allem gemixt wird.

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Sind Hipster die neueste Ausgabe der Dandys?
Ja, wahrscheinlich. In der bürgerlichen Mode-Ordnung gab es immer Männer, die sich ihr entzogen haben. Die hießen dann Gecken, Stutzer, Strizzis, Stenze oder Dandys. Auf die stete Wieder­kehr des Dandys, Zugpferd der Mode, ist Verlass, zum Glück. Ein Mann, der allen Wert der Welt auf seine Kleider legt und dessen einziger Beruf es ist, schöne Kleidung zu tragen und zu gefallen – das ist doch ganz reizend.

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Noch ein Trend: Ist Unisex mehr als ein Schlagwort?
Da gibt es viele Irrtümer. De facto funktioniert das seit Coco ­Chanel als Einbahnstraße von der Männer- zur Frauenmode. Coco Chanel hat von sich gesagt, sie habe nie etwas anderes ­getan, als Männer- in Frauenmode zu übersetzen. Die Pointe scheint mir, dass Unisex die Geschlechter nicht angleicht und ent-­erotisiert, sondern genau das Gegenteil bewirkt. Das beste Beispiel sind die nicht totzukriegenden Boyfriendpants, also Männerhosen an Frauen. Sie erzählen immer auch die ­Geschichte einer Frau, die die Hosen eines Mannes anzieht und damit auf die Straße geht – und er das Haus hüten muss, nachdem sie mit ihm geschlafen hat. Das nivelliert die Geschlechterdifferenz nicht, ­sondern ist ein erotisches Plus. Übersehen worden ist auch, dass nicht systematisch die Männermode der Moderne, sondern die Mode übertragen wird, in der der Mann noch paradieren durfte.

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Weshalb sieht man überall formlose Streatwear?
Die antimodische Aussage, zu ­betonen, dass es auf Äußerlichkeiten nicht ankomme und man Wichtigeres im Kopf habe, ist vom Anzug zu diesen neuen ­Formen von Nicht-Mode der Streetwear gewandert.

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Sie beschreiben diese Nicht-Mode als „aggressive Gleichgültigkeit“ – was ist daran so aggressiv?
Es ist so unhöflich wie narzisstisch: Ich stehe über Äußerlichkeiten, weil ­meine inneren Werte so interessant sind. Gegen die Angst, auf­zufallen und nicht zu gefallen, demonstriert man, dass man gar nicht gefallen wolle. Diese Ideologie des Authentischen hat etwas Verrohtes, Unzivilisiertes. Auf sein Äußeres zu achten, dem ­anderen zu gefallen, ist Lebenskunst.

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Es gibt die Theorie, dass Mode sich von oben nach unten bewege
Ich halte das für einen großen Irrtum.[...] Die zerrissenen Hosen, die auf Verschleiß und Armut verweisen, ­findet man bei den teuersten Labels, der Getto-Style wird überall zitiert. Es gibt Turnschuhe für mehrere Tausend Dollar, ab­gewandelte Jogginghosen bei Chanel und Dior. Die Arschhängerhosen und Turnschuhe ohne Schnürsenkel, das ist Mode, die aus dem Gefängnis in die große Mode gewandert ist. Das Spiel mit der Halbwelt hat in der Mode eine lange Tradition.

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Gab es aber nicht auch eine Bewegung von oben nach unten?
Ja, vor der Moderne. Die Kleidervorschriften, die die Städte im 17. und 18. Jahrhundert erließen, zeigen ex negativo, dass die Bürger den Adel nachahmten. Verboten war Gold an der Kleidung, Silber­schnüre, zu viel Samt und Seide, bestimmte Pelz­sorten: Der Bürger sollte sich nicht kleiden wie der Adel.