Hallo Matthias!
Mir ist es noch nie bewußt geworden, dass ich irgendwelchen Idealen nachlaufe. Ich habe vor gut 10 Jahren beschlossen, Röcke zu tragen weil ich festgestellt habe, dass sie bequem zu tragen sind, dass ich mir selbst am besten in Röcken gefalle, dass ich ausserdem anderen Menschen in meinen Röcken gefalle, dass ich für sie interessant werde, weil ich damit aus dem Elend des grauen, langweiligen Pinguin-Einheitsbreies heraustreten konnte und auch weil ich meine körperliche Gefühlswelt in den luftigen Röcken so richtig erleben und genießen kann. Und jetzt das Allerwichtigste: Das alles ging, ohne daß ich mich in eine Frau verwandeln mußte. Ich konnte das bleiben was ich immer war, und dennoch alles genießen.
Damit ist mir klar geworden, in welchem Rollenklischee-Gefängnis ich jahrzehntelang gelebt habe, ohne diesen Zustand als für mich unzumutbar zu bemerken. Ich kannte es ja nicht anders. Es ist wirklich so wie bei einem guten Wein, dessen Qualität man erst bemerken kann, wenn man ihn wenigstens einmal probiert hat. Rückblickend glaube ich eine ähnliche Erfahrung gemacht zu haben wie damals die seefahrenden Entdecker, die es wagten, über die Straße von Gibraltar hinaus in die Zone vorzudringen, in der man befürchtete, vom Rand der Erdscheibe in die ewige Verdammnis herunterzufallen. Stattdessen entdeckten sie neues, unbekanntes paradiesisches Terrain, Länder voll Sonnenschein, Wärme und Wunder an Pflanzen und Tieren, die Südseeparadiese beispielsweise, in denen auch Männer die Kleidung tragen können, die ihnen gefiel und zusagte. Hätten die Entdecker diese irrsinnigen Ängste gehabt, die Männer heutzutage vor einem harmlosen Allerweltskleidungsstück haben, diese neuen Welten wären nie entdeckt worden.
Ich glaube, dass es sehr viele Männer gibt, die ein nur von Geldgier bestimmtes Leben in Büros von Riesenkonzernen fristen, die meinen, Renditen von 30 % und mehr seien die einzig glücklich machende Seligkeit, die aber bei einem Absinken auf 20% schon dem Herzinfarkt nahe auf den Intensivstationen der Krankenhäuser landen. Aber diese glückbringende Zufriedenheit, die mich nunmehr beherrscht, nur weil ich es fertiggebracht habe, das umzusetzen, was ich mir wahrscheinlich völlig unbewußt schon sehr lange gewünscht hatte, die wird diesen zweibeinigen Aktien im Pinguin wohl auf ewig verschlossen bleiben. So ein Leben möchte ich niemals führen.
Aus diesem Grunde glaube ich nicht, dass es beim Rock am Mann eine ähnliche durchgreifende Revolution geben wird wie bei der Hose für die Frau. Es wird sicher diesen oder jenen Mann geben, der genug Kraft und Willen hat, seine Wünsche nach Röcken umzusetzen, aber die weitaus meisten Männer werden auch weiterhin ihre altbekannten Götzen anbeten, ihnen sklavisch Gehorsam leisten. Ihnen wird das Glück, das ich erfahren konnte, wohl für immer verschlossen bleiben.
Wie heisst es so schön: "Jeder ist seines Glückes Schmied". Ich habe mein Glück vor 10 Jahren sehr erfolgreich geschmiedet.
Schöne Sonntagsgrüße,
Ferdi