Lieber Hirti, Joachim und alle anderen,
die Wörter in der Überschrift sind ja nicht eindeutig. Man kann sie alle sehr verschieden verstehen und verwenden.
Ich verwende das Wort "Rechtfertigung" meistens im Sinne einer Begründung und einer Überprüfung, ob ich etwas vor meinen moralischen oder ethischen Maßstäben vertreten kann. Und das Rocktragen kann ich in diesem Sinne rechtfertigen. Wenn ich es vor den Maßstäben anderer Menschen rechtfertigen will, muss ich deren Maßstäbe kennen und kann dann schauen, ob es auch meine sind. Mein Rocktragen zu rechtfertigen kann dann auch bedeuten, meine ethischen Maßstäbe zu rechtfertigen.
"Egoismus" verstehe ich manchmal als ein Eigeninteresse, kann aber auch im Sinne von "Rücksichtslosikeit" verstanden werden. Vor meinen ethischen Maßstäben überprüfe ich also, ob mein Eigeninteresse rücksichtslos gegenüber anderen ist, aber auch, ob deren Ansprüche an mich rücksichtslos gegenüber meinem Eigeninteresse sind. Ob etwas rücksichtslos ist, kann ich prüfen, indem ich schaue, ob ich jemandem schade oder ob jemand mir schadet. Dazu muß ich dann definieren, was ein Schaden ist. Das wiederum ist nicht immer gleich zu beantworten, sondern vom Kontext abhängig. In den meisten Fällen komme ich zu dem Schluss, dass ich niemandem schade, wenn ich einen Rock trage, es sei denn, ich gefährde seine Sicherheit, z.B. wenn ich mit einem ungeeigneten Rock in die Speichen meines Fahrrades komme und einen Unfall verursache, in den auch andere verwickelt sind. Über die Ethik des Rockkaufes (Ökologie, Nachhaltigkeit, Fairtrade, ...) spreche ich jetzt nicht. Oft liegt zumindest ein Stück des Schadens, den ein Mensch evtl. an sich wahrnimmt, auch bei ihm selbst, wenn er z.B. ein Geschlechter-Kleidungs-Verständnis pflegt, welches bewirkt, dass er sich beim Anblick eines Mannes im Rock unwohl fühlt. Da ist die Frage, wie viel Rücksicht auf dieses Verständnis eines anderen Menschen von mir verlangt werden kann.
Ich glaube, lieber Hirti, in diesem Sinn kannst Du Dein Rock- oder Kleidtragen auch problemlos rechtfertigen.
Natürlich kann man auch kritisch nachfragen, ob wir sorgfältig mit unserer Lebenszeit umgehen, wenn wir so viel Energie in etwas stecken, nur weil es uns damit gutgeht. Indes ist die Freude, die unsere Mitmenschen innnerhalb und außerhalb der Familie mit uns haben, so wie Deine Familie mit Dir, Hirti, zumindest ein guter Kolateralnutzen.
LG, Micha