Eine gute Freundin von mir findet meinen Nagellack und meine Röcke ziemlich cool. Als sie mich das erste Mal mit Nagellack sah, meinte sie: "Das hätte ich nicht von dir gedacht.", um dann bei der ersten Begegnung im Rock zu sagen: "Bei dir überrascht mich seit dem Nagellack gar nichts mehr."
Letztens erzählte sie mir dann von ihrem allerersten Freund, den sie mit 15 oder 16 hatte. Er war eins, zwei Jahre älter als sie und gehörte der Gothicszene an. Deswegen war er komplett schwarz gekleidet mit Band-Shirts, Stiefeln und meistens trug er Röcke, manchmal aber auch eine Hose. Zudem waren seine Fingernägel schwarz lackiert und er nutzte Eyeliner. Sie sagte, dass sie das als Teenager sehr anziehend fand, weil er dadurch so selbstbewusst wirkte und sein Ding durchzog. Deswegen blickte sie zu ihm auf und war Hals über Kopf in ihn verliebt. Es war das Rebellische, was sie an ihm liebte. Irgendwann kippte dieses Gefühl, sagte sie mir. Es wurde ihr nach einer Zeit zu viel, weil er irgendwann gar keine Hosen mehr trug, sondern täglich seine schwarzen Röcke anzog. Sie sagte zu mir, dass sie sich nicht mehr weiblich fühlte. "Da zog er jeden Tag Röcke an, als ob er das Mädchen wäre. Dabei war ich doch das Mädchen! " Natürlich sei sein Auftreten und sein Style maskulin gewesen, aber das änderte nichts an ihrem Gefühl. Sie zog sich dann bewusst "femininer" an, wechselte auch häufiger von Hosen auf Röcke, um dieses Mangelgefühl auszugleichen, aber das konnte schlussendlich nichts mehr ändern, sodass sie sich von ihm trennte.
Mich brachte das sehr ins Grübeln. Am Anfang war der Rock noch ein Attraktivitätsmerkmal für sie, das den Freund im Gesamtpaket selbstbewusst und cool wirken ließ. Mit der Zeit entwickelte es sich aber genau ins Gegenteil und der Rock wurde zum Störfaktor, bis er letztendlich sogar zum Trennungsgrund wurde (wobei ich glaube, dass der Rock nicht der einzige Grund gewesen sein wird). Mich überraschte dieser Umstand, weil sie sich immer für Ausbrechen aus Gendernormen stark macht und sie mit einem Mann verheiratet ist, den sie selbst als "femininen Mann" bezeichnet.