Hallo Hirti,
wollte Dir schon früher antworten, hatte aber ein kleines technisches und ein kleines zeitliches Problem.
So, nun aber los. Du bist wirklich etwas neugierig, will Dir aber trotzdem antworten, bzw. es wenigstens versuchen.
Also erfahren habe ich, dass mein Mann Röcke trägt bzw. tragen will, indem ich eines schönen Tages zwei Kleider in seinem Schrank vorfand. Wie ich reagiert habe? Zugegebenermaßen nicht mit großer Freude. Den einen Grund habe ich Dir ja schon ansatzweise erklärt in meinem letzten Beitrag an Dich (welche Chance habe ich als Frau, einen Typen zu halten, der evt. zum "anderen Ufer" hinüberschippert?), ein weiterer lag in der folgenden Fragestellung: Was denken "die Leute" über eine Frau, die mit einem Mann zusammen ist, der (vielleicht) gar kein Mann ist? Ist sie dann vielleicht auch gar keine "richtige" Frau? Denn irgendwie müssen die ja zusammen passen.
Auch wenn mir mittlerweile klar geworden ist, dass Rock am Mann keineswegs identisch sein muss mit "beginnender Bewußtwerdung darüber, dass man(n) im falschen Körper steckt, ja viele hier sogar glaubhaft versichern, dass diejenigen gerade am allerwenigsten in Röcken herumlaufen, bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass dieser Gedanke ziemlich verbreitet ist, und ich bei weitem nicht die einzige bin, die zuerst "daran" dachte. Dazu nur ein kleines Beispiel: Als unsere damals zwanzigjährige Tochter bemerkte, dass ihr Vater Feinstrumpfhosen trägt, sagte sie folgendes: "O Gott, mein Vater eine Transe, das ist ja nur peinlich". Womit wir schon beim nächsten Problem angelangt wären: Unsere Kinder. Unser vierjähriger Sohn läßt sich bisweilen die Fingernägel von seinen großen Schwestern lackieren, weil er das "cool" findet (und weil ihm natürlich auch gefällt, dass seine großen Schwestern ihn "mitspielen" lassen). Wenn er dann mit seinen lackierten Fingernägeln in den Kindergarten kommt, sagen regelmäßig alle anderen Kinder zu ihm, unabhängig vom Geschlecht, dass sich doch nur Mädchen die Fingernägel lackieren und nicht Jungs. Auf meine Frage, warum sich denn nur Mädchen ihre Fingernägel lackieren dürfen und dass ich der Meinung bin, dass das auch die Jungs dürfen, kommt bei den meisten keine Widerrede, allerdings merkt man doch sehr genau, dass schon im zarten Alter von vier oder fünf Jahren klar ist, was - wenn schon nicht normal -so dann doch wenigstens üblich oder gängig ist. Unser Sohn selbst sagt garnichts wenn ihn ein anderes Kind darauf anspricht. Vielleicht, weil er dazu noch keine Meinung hat, vielleicht aber auch, weil er sich als Kind noch nicht gegen solche "Angriffe"/Äußerungen wehren kann, da es ihm dazu noch an der sprachlichen und intelektuellen Fertigkeiten fehlt. An seinem Gesichtsausdruck merke ich zumindest, dass es ihm nicht ganz so paßt, dass er von den anderen Kindern deswegen zumindest belächelt wird.
Wie würden diese Kinder reagieren, wenn sie wüßten, dass sein Vater Röcke trägt? Und wenn die Kinder schon in diesem jungen Alter "wissen", was Mädchen tun und was Jungs tun, woher wissen sie es? Von ihren Eltern? Aus den Beobachtungen ihrer Umwelt?
Hast Du, lieber Hirti, Dich schon einmal gefragt, wie sich ein Kind fühlt, dessen Vater von seinen Freunden oder Spielkameraden belächelt - um nicht zu sagen ausgelacht - wird?
Ich selbst habe das als Kind erfahren (mein Vater trug zwar keine Röcke, gab aber aus anderem Grund genug her, um sich über ihn lustig zu machen), und ich kann Dir sagen, das ist sehr verletzend und fühlt sich außerordentlich "besch..." an.
Womit wir schon beim nächsten Problem angelangt wären. Ich hatte nie Probleme intelektuell nachzuvollziehen, dass einem Mann in Punkto Kleiderordnung nicht die selben Rechte zustehen sollten, wie einer Frau. Wenn eine Frau entscheiden darf, ob sie lieber eine Hose oder einen Rock/ein Kleid anziehen will, warum sollte ein Mann das nicht auch dürfen? Trotzdem hatte ich bei dem Gedanken, dass mein Mann in aller Öffentlichkeit im Rock herumläuft ein verdammt "beschi..." Gefühl. Ich bin sehr lange nicht dahinter gekommen warum. Bis mir klar wurde, dass es genau dieses Gefühl war, das ich als Kind empfand, als sich andere Leute über meinen Vater lustig machten. Ich habe dieses Gefühl nicht bewußt in Zusammenhang mit dem Rocktragen meines Mannes gebracht, aber die ganze gesellschaftliche Situation um das Rocktragen meines Mannes herum war hervorragend "geeignet", um von meinem Unterbewußtsein mit diesem Gefühl "fremd" besetzt zu werden. Um es deutlicher zu sagen: Das ganze "Drumherum" war genau so, dass mein Unterbewußtsein ein "deja- vue- Erlebnis" hatte, und mir das "passende" Gefühl dazu sendete. Ich habe mindestens ein Jahr gebraucht, um das heraus zu finden. Seitdem mir aber klar ist, dass das ungutes Gefühl, das ich immer in Zusammenhang mit dem Rocktragen meines Mannes empfunden habe eine Fremdbesetzung mit einer früher erlebten ähnlich gearteten Situation ist, ist es viel leichter geworden für mich die Situation als das zu sehen was sie wohl ist: Als der Versuch eines Mannes, für sich die selben Rechte zu beanspruchen die jede Frau für sich beansprucht, nämlich das zu tragen, was einem gefällt oder worin man sich wohl fühlt, unabhängig davon ob es ein Rock/ein Kleid oder eine Hose ist.
Lieber Hirti, vielleicht sind ja auch die Emotionen Deiner Freundin von einem "deja-vue-Erlebnis" fremdbesetzt. So heftig wie sie bei ihr sind (zumindest Deiner Beschreibung nach) halte ich das nicht für ausgeschlossen.
Nun, lieber Hirti, wie Du Dir nun denken kannst, war nicht immer alles "Friede, Freude, Eierkuchen" bei uns; auch die Tatsache, dass ich auf der intelektuellen Ebene der Argumentation meines Mannes voll zustimmen konnten, andererseits aber dieses "besch..." Gefühl hatte, hat zu manchen zwiespältigen Handlungsweisen geführt: So gingen wir zusammen Röcke kaufen, sogar beiden das gleiche Modell (Partnerlook!), waren auch schon zusammen im Rock unterwegs andererseits gab es auch wieder Situationen, wo ich mir gewünscht hätte, damit nie konfrontiert worden zu sein; ich wollte meinen "alten" Mann zurück haben, ohne Rock versteht sich, und damit basta! Ging aber nicht.
Was mir letztendlich am weitesten brachte war die Tatsache, dass mich diese Kombination zwischen intelektuellem Verstehen einerseits und diesem unguten Gefühl andererseits selbst etwas "stuzig" gemacht hatte, aber bis zur o.g. "Auflösung" des Rätsels waren viele - auch unschöne - Diskussionen notwendig.
In Punkto Röcketragen in der Öffentlichkeit sieht es bei uns im Moment so aus, dass mein Mann Röcke trägt wann immer er (meist alleine)unterwegs ist (und er ist sehe viel unterwegs!), außer in unseren unmittelbaren Umgebung. Zu zweit waren wir schon `ne Weile nicht mehr im Rock unterwegs, kommt sicher aber wieder (hängt vielleicht auch ein Stück weit damit zusammen, dass ich selbst kein übermäßiger Rockfan bin). Da wir, wie gesagt, Kinder haben und die (zumindest die größeren) klar zum Ausdruck gebracht haben, dass ihnen das vor ihren Freunden peinlich ist, und auch viele dieser Freunde öfter bei uns im Haus sind, zieht mein Mann zuhause seine Röcke nur noch im Büro und abends (auch) im Wohnzimmer an, wenn wir zwei dann alleine sind.
Allerdings sind wir alle ja noch im Lernprozess, so dass dieser momentane Zustand ja nicht der letzte Stand der Dinge bleiben muss.
So, jetzt habe ich aber keine Lust mehr, Dir meine "Seelenlage" weiter aufzudröseln. Hoffe es hilft Dir/Euch ein bißchen weiter.
Vorerst mal liebe Grüße von
ANAP