Eine Woche später fahre ich wieder im kurzen Tennisrock und mit dem Rad und meiner Kamera zur Hafeneinfahrt nach Gushan. Ich will von der etwa sechshundert Meter langen Mole mit dem grünen Seeschifffahrtszeichen Fotos machen von den ein- und ausgehenden Schiffen. Auf der Mole befinden sich viele Angler. Meist sind es Männer mittleren Alters, die sich mit starkem Dialekt unterhalten, während sie ihre Blinker durch das Wasser drillen. Die Reaktionen sind auch hier nicht spektakulär. Man sieht mich, schaut schon mal einen Moment länger hin und beschäftigt sich dann wieder mit dem Angelgerät. Auch hier erlaubt man mir, einen völlig normalen Fotoausflug zu machen.
Und so ist das immer. Auch bei anderen Gelegenheiten und in anderen Röcken von Mini bis Maxi bleibe ich ein Mensch unter vielen, der nur ein wenig auffällt. Einige Leute schwätzen mit mir, andere sehen meine Kamera und fragen, ob sie ein Foto von mir machen sollen. Es tut gut, auch als Individuum willkommen zu sein.
Ich habe gedacht, die Reaktionen werden stärker, wenn ich Röcke probiere, die als besonders sexy gelten. Aber auch das stimmt zu meiner Überraschung nicht. Ich bekomme die Gelegenheit durch Iris. Sie ist der Meinung, sie sei zu dick für einen sehr kurzen Stretchmini und will ihn mir schenken. Ich lehne dankend ab. Aber sie meint nur: „Nimm einfach, der war total billig. Deswegen habe ich ja den Test gewagt. Wahrscheinlich hält der auch nicht lange. Also nimm ruhig!“
Eigentlich mag ich solche Röcke nicht. Das ist nicht mein Stil. Auch vielen Frauen stehen sie nicht. Letztlich nehme ich das Geschenk an, weil ich neugierig auf die Wirkung bin und darüber in meinem Buch schreiben kann. Außerdem ist es ein guter Test, um eine Grenze auszuloten, was innerhalb meines Stils liegt.
Bei einem kleinen Spaziergang stört mich schnell, dass der eh schon superkurze Rock noch weiter hochrutscht. Praktisch ist das nicht. Da der Rock eng geschnitten ist, zieht das Elasthan im Stoff. Das fühlt sich an, als ob eine fremde Macht diskret meine Beine zusammenschiebt. Ganz automatisch neige ich dazu, die Füße enger nebeneinanderzusetzen. Setze ich sie voreinander, als würde ich über einen Catwalk gehen, bleibe ich wieder ganz automatisch durch den Zug des engen Rocks in diesem Schritt. Die Erfahrung ist beeindruckend. Aber mein unbehagliches Gefühl ändert sich nicht. Auch nicht, als ich eine Extra-Runde durch die City gehe. Meine Wirkung auf die Leute berührt das nicht mehr als bei anderen Spaziergängen mit Rock. Die Anzahl der Blicke ist vergleichbar. Aus den Untersuchungen zur Marktforschung aus dem Unterricht in Wirtschaftsdeutsch weiß ich, nicht wenigen Menschen gefällt sogar ein Stretchmini bei Männern. Nur ich bin mir sicher, mein Stil wird es nicht. Da finde ich Hot-Pants aber geeigneter. Vive la différence! Meinen Stil habe ich nach unzähligen Ausflügen, Spaziergängen, Stadtbummeln und Museumsbesuchen gefunden.
Beim Sport und auf dem Rad mag ich es sehr kurz, am liebsten mit eingearbeiteten Shorts, wie es bei Tennisröcken verbreitet ist. Viel Bein zu zeigen, gehört zum Sport. In der Stadt und unter Leuten jedoch fühle ich mich in sehr kurzen Röcken ein wenig nackt. Schon in der Renaissance, als die Männer immer kürzere Röcke trugen, taten sie das in Kombination mit langen Seidenstrümpfen. Grundsätzlich sind kurze Röcke und Strumpfhosen eine sinnvolle Kombination. An Strümpfe und Strumpfhosen mag ich in einem heißen Klima aber nicht denken. Das ist, und ich habe das natürlich ausprobiert, unbequem. Ästhetische Aspekte sind mir in der Strumpffrage von nachrangiger Bedeutung.
Strumpfhosen schätze ich vor allem bei eisiger Kälte, natürlich in Kombination mit einer dicken Hose. Als Kind mussten meine Brüder und ich in kalten Wintern immer Strumpfhosen anziehen. Ich erinnere mich an dunkelblaue, rote und grüne Strickstrumpfhosen mit einem Zopfmuster auf der Innen- und Außenseite der Beine. Wenn es knackig kalt war, hielten die total warm. Mir wurde nie kalt. Auch bei langen Schneeballschlachten blieben selbst die Hände warm und beweglich, weil gut gewärmte Beine und Zehen warmes Blut zu den anderen Extremitäten in Arme und Hände zurückführten. Mit einer einfachen Jeans bekam ich erst kalte Oberschenkel und Füße und dann klamme, steife Finger. Jedoch mit einer dicken Jacke obenrum und Strumpfhosen untendrunter habe ich mich wohlig warm gefühlt wie eine Robbe im Eismeer. Jungs trugen Strumpfhosen nur in strengen Wintern. Mädchen hingegen zogen sie auch schon im Herbst zu Röcken oder kurzen Hosen an. Ich sehe keine Notwendigkeit diese Unterschiede aufrechtzuerhalten.
Deswegen überlege ich derzeit, ob ich es den Basketballern nachmachen soll, zu Sportshorts Leggings anzuziehen. Ich finde schon, dass man im milden taiwanischen Winter zu Bermudas auch Leggings oder blickdichte Strumpfhosen anziehen könnte. Auch in Deutschland sind kurze Beinkleider in Kombination mit längerer Strumpfware eine naheliegende Über¬gangslösung im Frühling und Herbst. Nur, mein Interesse an Röcken lässt schlagartig nach, wenn es kälter wird. Ich schätze nur bei Hitze den wogenden Stoff auf nackter Haut. Deshalb sind im Winter Strumpfhosen für mich kein wirklicher Anreiz, um einen Rock anzuziehen.
Die Rocklänge, die ich in den meisten Standardsituationen bevorzuge, und dazu würde theoretisch auch das Unterrichten gehören, bedeckt die Knie. Und immer müssen Röcke weit geschnitten oder ausgestellt sein, aus dünnen, gerne auch flatternden Stoffen. Der Stoff soll möglichst weit schwingen. Er soll die Beine umfließen. Tellerröcke und Bahnenröcke eignen sich sehr gut. Faltenröcke mit einseitig gelegten Falten, so wie die meisten Schulröcke in Taiwan, sind perfekt. Aber das Bügeln ist langwierig und gerade bei schmalen Falten umständlich. Die Falten sollten abgenäht sein, sonst kaufe ich sie nicht. Faltenröcke mit Plisseefalten mag ich besonders, weil die vielen kleinen Fältchen pflegeleicht und aus einem dünnen Stoff gearbeitet sind.
Bitte einloggen oder registrieren um das Bild zu sehen.Abb. 26: Ich im nicht zu engen Jeansrock
Gerade geschnittene, glatte Röcke mochte ich anfangs weniger. Das sind nicht die typischen sommerfröhlichen Wohlfühlröcke. Aber gerade sie sind in schlichter Ausführung gut für Männer tragbar. Das gilt speziell für Jeansröcke. Denim hat so etwas Universelles, dass jedem steht. Wenn es dann noch Taschen gibt, in die ich meine Hände lässig stecken kann, finde ich das sehr bequem. Auch der optische Eindruck überzeugt. In keinem Rock sehe ich männlicher aus als im Jeansrock. Deswegen trage ich den abgebildeten Rock (Abb. 26) am liebsten, wenn ich Überzeugungsarbeit für eine Männerrockkultur leisten will. Letztlich ist auch die Bewegungsfreiheit überzeugend. Als ich darin für einen Fototermin im Hafen von Kaohsiung einige hohe Zäune überwinden musste, gelang das problemlos, ohne den Rock hochzuschieben. Überraschend war das nicht wirklich. Mit allen nicht zu engen Röcken kann man gut klettern. Selbst weite Maxi-Röcke sind da keine Ausnahme.
Enge Röcke bestehen aus mehreren Gründen die Tests für praktische Alltagstauglichkeit nicht. Insbesondere sind sie nicht tropentauglich. Je länger sie sind, desto mehr steht die Luft darunter. Die Klimaanlage des Rocks funktioniert nur mit schwingenden Stoffen. Nur dann gibt es beim Gehen einen wohltuenden Luftzug. Das funktioniert erstaunlich gut auch bei langen Röcken, wenn sie ausreichend Weite haben. Ich liebe Spaziergänge in einem langen, weiten Rock, besonders an der Strandpromenade von Qijin. Wenn ich in der Mittagshitze im Schatten der Palmen flaniere und eine leichte Seebrise den Rock umspielt, dann streicht der wogende Stoff sanft die Beine. Das ergibt ein besonderes Gefühl vom Hiersein am Strand. Es entsteht eine ganz unmittelbare Beziehung zu den Elementen, die so rein und geschlechtslos ist. Ich fühle mich dann geradezu spirituell mit diesem Ort verbunden. Das wirkt noch lange nach.
Enge und figurbetonte Linien, wie beim blauen Schulrock der älteren Collegejahrgänge und andere Bleistiftkleider sind mir viel zu weiblich. Solche Röcke kaufe ich nur für meine Frau. Die stehen mir einfach nicht. Ich will auch gar nicht schön aussehen. Überhaupt will ich mich nicht mit Frauen vergleichen. Ein Rock, der meiner Frau steht, ist noch lange nichts für mich. Selbst eine Jeanshose hat bei Frauen eine andere ästhetische Wirkung. Die einzige ästhetische Eigen¬schaft, die ich vor allem an weiten Röcken schätze, ist ihre Lebendigkeit durch das wogende Spiel des Musters und der Farben. Bei keinem anderen Kleidungsstück ist der Stoff so sehr in Bewegung, dass er in jedem Augenblick ein bisschen anders wirkt. Das schafft eine Präsenz, die zusammen mit dem Streichen des Stoffes auf der Haut, ein Lebensgefühl weckt, dass ich nicht missen möchte. Ich liebe es. Deswegen lasse ich bei sommerlichen Temperaturen ungern eine Gelegenheit aus, Rock zu tragen. Rock tragen macht fröhlich. Ansonsten muss ein Rock, wie jede andere Kleidung, einfach bequem sein. Wenn der dann an mir einigermaßen akzeptabel aussieht, reicht das. Das ist für mich okay. Ich bin eben ein Mann.