Hallo Karl,
(mist, sehe grade der forsche Ferdi war mal wieder schneller *grins*, trotzdem:)
Zitat karber: "bei uns ist es unmöglich in einem zitronengelben seidenkleid mit bunten blumen und schmetteringen gekleidet auf die straße zu gehen (muss gestehen kann ich mir selbst auch nicht vorstellen!) aber was spricht eigentlich dagegen? es gibt ja genug 'frauen' mit anzug und krawatte! ist schon ein normalbild. warum dürfen eigentlich männer in ausnahmefällen nur einfach geschnittene röcke in gedeckten farben tragen? wer schreibt es eigentlich vor? oder wollen männer keine frischen, fröhlichen farben, mögen sie es nicht bunt?"
Oh, dieser Gedankengang kommt mir sehr bekannt vor, ich hatte ihn etwa vor einem Jahr. Damals wusste ich noch von keinen Foren über das Thema, wo ich mich hätte mitteilen können. Kurz gesagt, nahm ich eine kleinen aber aufwändigen 'Umweg' als Transvestit, um endlich solche Sachen anziehen zu dürfen (wie ich damals dachte). War natürlich nicht das richtige, schliesslich wollte und will ich Mann sein, wie ein solcher aussehen und leben, und nicht als schlechte Atrappe einer Frau!
Nun, heute lebe ich seit einem guten halben Jahr als Mann ohne Hosen, und ich werde immer mutiger, denn es ist tatsächlich bei weitem nicht so schlimm wie wir es uns ausmalen: Mann kann durchaus ohne Probleme in einem roten Abendkleid oder einem schwarzen Cocktailkleid oder ähnlichem auf die Strasse gehen! Und kräftige Farben sind kein Problem, wenn man sie so wählt, dass sie zum Typ passen (Teint und Haarfarbe).
Bei der Art wie Du hier schreibst, denke ich dass Du bald (oder zumindest irgendwann) das alles auch tun wirst, denn Blockade im Kopf scheint ja schon bei Dir gefallen zu sein. Bravo! Aber ich sehe auch, dass Du Dir selber Steine in den Weg wirfst:
Zitat karber: "Hi lucky Jürgen! Du bist um deine Umwelt zu beneiden! Ich habe hier in Wien völlig andere Erfahrung gemacht!"
... aber folglich nicht mit Röcken, wenn Du bisher noch nicht damit draussen warst, wie Du selbst schreibst. Das verstehe ich also nicht.
Zitat karber: "Natürlich gibt es keine 'Kleidungsvorschrift'! Aber leider sind wir hier in Mitteleuropa total vernagelt und intolerant."
Ja schliesst Du Dich bei diesem "wir" denn selbst mit ein? Laut dem ersten Zitat denkst Du doch nicht so engstrirnig...
Zitat karber: "Es ist richtig, dass sich Gleichgesinnte an verschiedenen Orten treffen können, wenn diese Orte isoliert genug sind, bekommst du auch Anerkennung. Aber in Wirklichkeit sind wir eine Art Paradiesvögel und sind einfach Aussenseiter. Das kannst du drehen und wenden wie du willst. Die Zeit ist einfach noch nicht reif!"
Auch das kann ich so absolut nicht gelten lassen: Je normaler und je öffentlicher man den Rock macht, umso mehr Anerkennung bekommt man von Passanten, ist nun definitv meine Erfahrung. Wenn wir so tun als wären wir Kinderschänder auf der Flucht, die sich nur geheim im dunklen Wald treffen, ja genau dann brauchen wir uns nicht wundern, dass uns irgerndwelche Idioten auch dafür halten! Wir sind wirklich keine Pardiesvögel oder abstrusen Sonderlinge, sondern halt die Männer, die bereits im dritten Jahrtausend der Herrenmode angekommen sind. Normale Mode entsteht nie 'von selbst' in den Ateliers der Designer, sondern immer zuerst auf der Strasse (das sagen alle Insider).
>>> Reifer wird die Zeit nicht mehr! Sie ist bereits vom Baum gefallen, und wir sind die Würmer, die sie verspeisen. <<<
Und da bin ich ganz Ferdi, sozusagen: Wem das nicht passt, der soll halt weggucken, ich lasse mich nicht von Nörglern runterbuttern (die bloss mit sich selbst unzufrieden oder einfach neidisch sind). Echte Verachtung habe ich auch noch nie gespürt, eher Neugier, Verwirrtheit, Neid, echte Dummheit...
Nun denn, die Blockaden... die andere Blockade in der Optik, die Konfrontation mit dem Spiegelbild kann zwar etwas dauern, aber auch sie weicht auf -- ganz verschwinden tut sie allerdings nicht so schnell: In sehr bunten Kleidern mit Blumenmustern komme ich mir schon noch etwas seltsam vor (geschweige denn den Kunden, die mich im Second-Hand-Shop beobachten), und deswegen lasse ich das bisher. Aber ein Kleid im Qipao-Stil (chinesische 'Damen'-Trachtenmode: sehr edel, sehr bunt und selbstredend aus Seide) ist irgendwann fällig...
Genauso wie manche Frauen ihre Rundungen durch betont gerade Schnitte und weite Hosen kaschieren, behalte ich mir das Recht vor, mein naturgemäss schlichtere Körperform durch taillierte Schnitte, enge Oberteile und unten weit ausgestellte Röcke etwas aufzupeppeln. Und warum sollte Mann im Rock keine nachhelfenden kleinen Hüftpolster verwenden dürfen, wenn doch in jeder Anzugjacke für Damen Schulterpolster eingenäht sind, um die runderen Frauenschultern kantiger, männlicher zu machen?!?
Ich denke, es ist dabei wichtig, bei 'gewagteren' Outfits das Umfeld zu beachten, was wir uns von den Frauen mit Grips und Stil durchaus abschauen können: Also nicht im Glitzer-Abendkleid verpennt zum Bäcker, nicht im Minirock zum Arbeitsamt, nicht im Schlabber-Strandkleid zur Cocktailparty... und auch nicht knülle(!) auf dem Nachhauseweg von letzterer im falschen Viertel den falschen Leuten in die Arme laufen, die nur auf jeden x-beliebigen Anlass warten, aus Langeweile jemanden zu attackieren (verbal oder handfest). Seitdem ich das so handhabe, und mit echtem Selbstvertauen auftrete, habe wie Ferdi keinerlei Schwierigkeiten mit Anmache etc. mehr (Schon allein festes in die Augen sehen hilft echt so gut wie immer). Stattdessen häufen sich die Komplimente, sogar von Männern (denen ich -- wie auch den Frauen -- im übrigen schnell zu verstehen gebe, dass ich leider nicht schwul bin, dazu reichen ein paar Blicke).
Genau wie Du sehe ich bei Herrenunterwäsche totales 'Land Unter', aber das diskutieren wir ja schon anderwo...
Und noch was, als ex-Transvestit: ein 'tuntiges' Aussehen ist etwas, was es nach meiner Meinung gar nicht gibt -- so man sich darauf einigt, dass unter einer Tunte ein homosexueller Transvestit zu verstehen sei: einen guten Transvestiten erkennt man ja im Normalfall nicht als solchen, und Homosexualität ist sowieso unsichtbar... allerdings muss Mann schon darauf achten, eben NICHT auszusehen und zu agieren(!) wie ein Transvestit, der nicht merkt, dass er gerade seine Perücke gar nicht auf hat...
Also ich denke, dass wichtigste ist, dass man sich erst mal selbst einbläut, dass Röcke und Kleider verdammt ganz normale x-beliebige Kleidungstücke sind. Erst wenn es daran für Dich keinen Zweifel mehr gibt, dann Dich niemand mehr aufhalten. Bei mir hat das wunderbar funktioniert, und bei vielen anderen auch, glaube ich.
Grüsse aus Berlin an die Donau,
El Buitre