Hallo Kim, wie Du siehst, mir fällt zu Deinem Thema sehr viel ein.
Meines Wissens wurde diese Kleidung gezielt für Frauen entworfen, die nicht körperlich arbeiten mussten und abhängig von Männern bzw. auch der Dienerschaft waren, was Schwäche und hohe gesellschaftliche Stellung zugleich ausdrückte. Das, was Du gefühlt hast, ist also gewollt.
LG, Micha
Ich muss da Micha weitestgehend Recht geben. So ist es (so in etwa).
Bis mindestens in die 80ern las man immer wieder in Büchern über Modehistorie, insbesondere wenn sie von Frauen geschrieben waren, dass die traditionelle Damenmode "unpraktisch", ja "behindernd" beschrieben wurde.
Gerne aufgeführt wurde da insbesondere der "
Humpelrock". Damit sollte letztlich in der Tat Wohlstand signalisiert werden, dass es Frau gar nicht nötig hätte, sich durch körperliche Arbeit "erniedrigen" zu müssen, sondern dass Hausangestellte die Arbeit im Heim erledigen und der fürsorgliche Mann mit seiner Erwerbsarbeit genügend Mittel für Prachtvilla und Gesinde und dem Statussymbol Ehefrau erwirtschaften kann.
Als eine Art Befreiung wurde die "
Reformmode" angesehen, wo die Röcke weiter wurden und kürzer. Oder die Hemdkleider der 20er Jahre. Oder gar der Minirock.
Jedoch - ich rede immer noch von den Büchern bzgl. Modehistorie - wurde zumindest in Werken der 70er und 80er Jahre als die letztendliche Befreiung der Frau bezeichnet, dass sie Hosen tragen durfte: Die Selbstsicherheit und Bewegungsfreiheit, die Männer in Hosen haben, wurde im Zusammenhang mit Frauen und Röcken / Kleidern immer wieder ungemein beneidet - so wie überhaupt alle Faktoren des Männerlebens als erstrebenswert erachtet wurden. Nicht zuletzt deswegen leidet unsere heutige Gesellschaft unter Fachkräftemangel (Überalterung, Pillenknick und all diese Folgeerscheinungen) - das ist aber ein anderes Thema.
Sehr gerne wurde und wird aber auch immer wieder in diesem Zusammenhang (Modehistorie, "modische Unterdrückung" der Frau - Anführungsstriche sind nicht wertend gemeint) auf den (inzwischen überwundenen) Brauch in Ostasien verwiesen, wo mit Bandagen erfolgreich gezielt versucht wurde, Frauen gar körperlich zu verstümmeln, um diesen "Ausdruck des Wohlstands" zu demonstrieren (siehe "
Sokubaku - Füßebinden").
Und ja, so sehr Frauen männliche "Privilegien" beneidet haben, so sehr fürchten Männer, diese "Privilegien" zu verlieren. Wir gestatten sie ja gerne den Frauen als fortschrittliche Männer, aber selber darauf zu verzichten, das kommt uns fremd vor.
Und genau so verhält es sich, wenn wir uns auf ein traditionell weibliches Terrain begeben, vor allem bei betont weiblichen Elementen wie engen oder knappen Röcken, hochhackigen Schuhen. Uns hat man immer versucht, davor zu bewahren und jeden Gedanken daran auch nur im Keim auszumerzen. Freiwillig auf Stabilität, hochgradige Selbstsicherheit verzichten, uns in unserer Beweglichkeit und unserer Stärke zu beschneiden?
Das muss natürlich, wenn wir das dennoch machen, dazu führen, dass die Wahrnehmung von uns sehr ungewohnt wird.
Aber sicherlich kann man das auch anfangen umzudeuten. Mir fiel da sofort Lars ein, und er hat sich ja auch bereits hier zu Wort gemeldet. Aber besonders Lars und ich hatten auch schon mal in diesem mehr oder weniger engen Zusammenhang davon gesprochen, unsere Veränderung durch gewisse Kleidung z.B. mit einem "Schreiten" statt gehen zu empfinden. Man kann diesen ungewohnten Unsicherheiten auch eine selbstgewählte "Würde" zuschreiben, die man freiwillig erlangt, indem man mehr Übung in dieses bislang Ungewohnte bekommt.
Kim, Du fragst selbst:
Macht die Kleidung etwas mit einem selbst?
Macht auch ein schlichter Rock etwas mit dem eigenen Selbstempfinden?
Es gibt grundsätzlich zwei Antworten darauf.
Die eine ist, die wir auch immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen hier unter uns betonen:
Du bist und bleibst der gleiche Mensch. Es ist nur ein Kleidungsstück, das sich ändert. Das bisschen anders geschnittener Stoff macht Dich nicht zu einem anderen Menschen, egal ob Du Hose oder Rock trägst.
(Zweifellos gilt diese Antwort vor allem mit Blick darauf, ob Du Deine Identität oder sexuelle Neigung wegen der Kleidung veränderst - jedenfalls bei vielen von uns.)
Die andere ist:
Nein, es macht schon etwas mit einem. Ich für mich persönlich behaupte, meine Kleidung lässt mich zu einem deutlich offeneren, freundlicheren Menschen werden. Ich bilde mir ein, durch meine Bekleidungsfreiheiten ein Mensch (und Mann) geworden zu sein, der sehr viel erträglicher für seine Mitmenschen ist; und wertvoller und leistungsfähiger.
Und ja, je nach Ausgestaltung der Details, steht natürlich die Kleidung auch in Zwiesprache mit ihrem Träger. Mit Stöckelschuhen kannst Du einem Dieb nicht mehr so gut hinterherjagen.
Oder mit meinen oben erwähnten Schuhen konnte ich gestern nicht mehr den ungeahnt einfahrenden Zug bekommen. Doch hätte ich, aber das ist ein ganz anderes Thema...