Lieber Hansi,
das stimmt alles, was Du schreibst, zumindest für einen Teil der jüngeren Kopftuchträgerinnen. Aber es ist recht komplex.
Der Islamismus oder politische Islam begann im 18. Jh. als antikoloniale Bewegung, wurde aber lange unterdrückt durch die Kolonialmächte und deren Vasallen. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches 1918 wurde der Kolonialismus noch schlimmer. Franzosen und Briten, z.T. auch Amerikaner und Russen teilten sich arabischen Länder unter sich auf oder beuteten sie wirtschaftlich aus. Auch Persien. In der Türkei machte Kemal Attatürk Front gegen den Islam und alles Religiöse. Das nährte den Islamismus so wie der Versailler Vertrag den deutschen Nationalismus. Er wurde aber in den meisten islamischen Ländern mil Militär und Polizei klein gehalten.
Seit den 1950ern kamen Gastarbeiter auch aus muslimischen Ländern nach Europa. Sie wurden aber kaum als Muslime wahrgenommen, sonden als Türken, Jugoslaven, Marokkaner usw. Ihre Anerkennung als Bürger ihrer neuen Heimat war schwierig, vor allem in Deutschland, aber auch anders in Frankreich und Großbritannien. So machten auch die Enkel der Einwanderer die Erfahrung, als Ausländer wahrgenommen zu werden. Nach und nach eigenten sie sich das auch selbst an. Die neuen Techniken wie Satelittenfernsehen aus dem Herkunftsland der Großeltern festigten die Verbindungen zu diesen Ländern.
In diesen Ländern änderte sich allmählich die poltische Stimmung. Nachdem Sozialismus und Kapitalismus nicht die erwünschte Emanzipation von der Vormacht Europas, der USA und der SU brachte, wurde der Islamismus stärker als neue Alternative, die in der eigenen Kultur wurzelt. Zuerst siegte er in Libyen, dann im Iran.
Als dann 1990 der Ostblock zusammenbrach, brauchte "der Westen" ein neues Feindbild und fand ihn im Islam. Leute wie Gadhafi und Khomeini boten eine Steilvorlage. Diese und andere machten eifrig Werbung, um die Muslime in Europa und weltweit für ihren Kampf zu gewinnen, gegen die westlichen Imperatoren.
Und je weniger die Muslime in Europa als Europäer akzeptiert wurden, desto offener wurden sie für die nun auch per Internet kommdende Werbung der Islamisten. Sie vermittelten ihnen das Gefühl, etwas wert zu sein, und zwar als Muslime. Davon bekamen die nichtmuslimischen Europäer wenig mit, sie merkten nur, dass vor allem Musliminnen im Straßenbild häufiger erkennbar auftraten. Erdogan und das Saudische Regime fördern das eifrig.
Die allermeisten Muslime in Europa sind davon nicht sehr beeinflusst, was nicht auffällt, da sie nicht auffallen. Aber die davon Beeinflussten fallen auf. Sie werden immer selbstsicherer und fordernder.
Ihnen entgegen stellen sich liberale Muslime oder versuchen es wenigstens. Sie, sofern Frauen, tragen auch z.T. Kopftücher, aber nicht alle. Sie sehen es als individuelle Entscheidung und respekieren beides. Sie brauchen aber Unterstützung der Nichtmuslime.
Das Dumme ist, dass man den Extremismus eher an anderen Ethnien bemerkt als an der eigenen. Die globale Gesellschaft wird aber generell extremer. Bei uns in Europa haben verschiedene Natonalismen Konjunktur. Der Islamismus hat es bei Muslimen. In Indien blühr der Hindunationalismus auf und in Myanmar und Sri Lsnka der buddhistische. Überall Stammes-, statt Menschheitsdenken. Und die verschiedenen Nationalismen und Religionismen mit ihren Feindbildern bestärken sich gerade in ihren gegenseitigen Feindschaften gegenseitig.
Und wer bleibt auf der Strecke? Die liberalen Menschen, die ihre religiöse oder nationale Identität leben, aber nicht für wichtiger halten als andere.
Und was können wir daraus lernen?
LG, Micha