Zitat Bonfreund: Die meissten Menschen rennen ohne eigene Meinung den Massen nach und zeigen auf Minderheiten. Sie fühlen sich oft auch nur in der Gruppe stark. Heimlich, so denke ich, probieren sie das Gesehene dann vielleicht selbst. Um dann vielleicht Anschluss zu finden, beim Rock/Kleid und Co, landen sie hier im Forum. So lief es zumindest bei mir. (Und man hat eine neue Herde gefunden, mit der man weiterzieht
Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe, warum heutzutage die Angst vor dem Rock bei Männern so weit verbreitet ist. Über einen Grund haben wir hier öfter gesprochen. Das ist die im 18. Jahrhundert geschaffene weibliche Konnotierung, mit der das Patriarchat strenge Rollen festlegte, um Machtverhältnisse zu legitimieren. In dem Frauen Röcke anzogen, stimmten sie der Unterordnung in die patriarchalische Gesellschaftsordnung zu. Männer zeigten mit Hosen, dass sie die Entscheidungsträger in allen Situationen waren. Frauen dienten bis ins 21. Jahrhundert ihren Ehemännern. Selbst bei Rechtsstreitigkeiten, wie z.B. einer Erbsache, brauchte eine Frau die Zustimmung des Gatten, der dann auch mit einem Anwalt die Ehefrau vor Gericht vertrat. In der Frauenbewegung wurde die Hose deswegen ein Symbol für Emanzipation. Für Frauen war das ein sozialer Aufstieg. Männer empfinden es hingegen als sozialen Abstieg, wenn sie sich auf das Niveau von Frauen herablassen und Röcke tragen würden. Die Gleichberechtigung hat eben nur Fortschritte gemacht, vollständig ist sie nicht (Seggiani, Michela: „Warum tragen Männer keine Röcke“, Universität Basel,
https://www.unibas.ch/de/Forschung/Uni-Nova/Uni-Nova-115/ Uni-Nova-115- Roecke.html).
Ein zweiter Grund für Rockangst liegt in dem gruppendynamischen Sozialverhalten, wie es sich bereits vor etwa 200.000 Jahren bei Homo sapiens sapiens als Rudelordnung entwickelt hat. Das wird genetisch vererbt. Deswegen können wir uns nur schwer davon befreien. In uns steckt eine Menge vom Verhalten unserer Vorfahren. Das Verschmelzen mit einer Gruppe oder das Stigmatisieren einzelner Individuen können auch problematische Verhaltensweisen sein.
In uns lebt sogar eine noch ältere Vergangenheit. Selbst Kiemenbögen werden im Laufe der embryonalen Entwicklung eines Menschen angelegt und erst später wieder zurückgebildet. Die Mitochondrien in unseren Muskelzellen gehen sogar auf das Erbe eukaryotischer Einzeller zurück. Übrigens gehören Affen nicht zu unseren Vorfahren. Das ist eine verbreitete Ansicht, die aber weder von Charles Darwin noch von einem anderen Evolutionsbiologen je behauptet wurde. Die Vormenschen wie Lucy (Australopithecus afarensis) und die Affen haben sich parallel entwickelt. Deswegen können wir keine Affengene besitzen. Ähnlichkeiten bestehen nur auf Grund eines älteren gemeinsamen Vorfahren.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch schnell darauf hinweisen, dass auch die populärwissenschaftliche Meinung falsch ist, das Männer und Frauen sich aus einem ursprünglich weiblichen Fötus bilden. Mit wissenschaftlichen Experimenten konnte das nie bestätigt werden. Die Differenzierung einer befruchteten Eizelle führt zu einer geschlechtslosen Blastula. Gerade deshalb sind sie ja für die Stammzellforschung so interessant. Das Geschlecht findet erst viel später eine morphologische Differenzierung.
Viele archaische Verhaltensweisen sind heute ohne praktischen Nutzen. Leider beeinflussen sie uns immer noch stark. Unsere Gänsehaut hat mal dazu gedient durch Kontraktion der Haarbalgmuskeln das Fellhaar aufzurichten, um mit mehr Luft im Fell eine bessere Isolierung gegen Kälte zu haben. Das funktioniert bei felllosen Menschen nicht mehr. Der entsprechende Reiz ist bei Kälte aber immer noch da. Ebenso fühlen wir uns in einer Gruppe stark und neigen zur Diskriminierung von Minderheiten, weil Machtstrukturen Teil einer archaischen Rangordnung sind.
Wie schwer es ist sich von archaischem Unsinn zu lösen, merken wir jedesmal, wenn uns ein Verhalten peinlich ist. Peinliches Empfinden soll uns zur Ordnung rufen. Es unterstützt vorauseilenden Gehorsam in Bezug auf gesellschaftliche Konventionen. Es braucht den Einsatz unserer Vernunft, die Unterstützung Gleichgesinnter wie in diesem Forum und regelmäßiges Training, um ein neues Verhalten einzuüben. Deswegen muss Rocktragen von Männern trainiert werden. Und deswegen sind Brückenkombinationen wie Röcke mit eingebauten Leggings so wichtig. Und deswegen bitte ich die passionierten und radikalen Rockträger in diesem Forum um mehr Verständnis.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich gegen mein Bauchgefühl kämpfen musste, als ich einer Schulklasse versprochen hatte zum Karneval einen Unterricht in der Schuluniform der Mädchen zu machen. Meine widersprechenden Intuitionen waren drauf und dran ein Veto gegen meine Zusage einzulegen. Mein Verstand brauchte enorm viel Kraft sich durchzusetzen.
Bauchgefühle sind so stark, weil sie als vegetative physiologische Prozesse mit der Freisetzung von Hormonen einhergehen. Deswegen ist die körperliche Wirkung so stark. Rationale Entscheidungen aktivieren keinen Hormon-Cocktail.