Der Thread ist schon ganz schön lang geworden!
Ich möchte die Verschwörungstheorien mal außen vor lassen.
Zwurg, Du argumentierst sehr von einer modernen, liberalen Perspektive aus. Grißenteils teile ich sie. Aber zugleich sehe ich, dass überall auf der Welt, egal ob in Europa, der Türkei, Indien, Nord- oder Südamerika, Menschen mit dieser Moderne nicht zurecht kommen, sondern nach klaren Orientierungen suchen, seien sie religiös oder traditionell oder beides begründet. Eben war bei Maybrit Illner das Thema "Heimat". Ob man die geistige Heimat nun im christlichen Abendland oder Islam hat oder meint zu haben oder auch in der Modernen - ja, viele argumentieren auch mit einer inzwischen Tradition gewordenen nachaufklärerischen Denkweise auf ganz ähnlich Weise.
Zugleich ist es auch nicht so, dass religiöse Menschen im Allgemeinen oder Muslime im Besonderen religiöse Ansichten nicht in Frage stellen und kritisieren. Der Islam hat da eine nicht minder intensive Diskussionsgeschichte als das Christentum, und es waren oft die gleichen Fragen, wie die nach den sicheren Quellen des Glaubens, der Freiheit der Menschen, den Kriterien von Autorität usw. usf. Die Sunniten haben es sich aber angewöhnt, solche Diskussionen nicht zu intensiv zu führen, weil sie oft zu Streit und sogar Krieg geführt haben. Sie sagen lieber: Befolge die 5 Säulen, wenn Du Muslim bist, das reicht. Alles andere sei Deine Privatsache.
Religionen haben z.T autoritäre Instiutionen usw. hervorgebracht, die wiederum oft auch missbraucht wurden und werden. Am Anfang der Religion stehen aber wohl eher Gefühle wie Ehrfurcht, Verbundenheit, Loyalität, Solidarität, Respekt usw. Auch Angst vor dem Übermächtigen. Diese Gefühle musten dann vor der Vernunft rechtfertigt werden. So entstand Theologie. Wer in einer religiösen Tradition aufwächst wird aber oft mit Vorstellungen konfrontiert, bevor er diesbezügliche Gefühle hat. Diese ihm beigebrachten Vorstellungen bringen ihrerseits Gefühe hervor, angenehme und unangenehme. Ihm werden Antworten auf Fragen gegeben, die er gar nicht hat, während die Fragen, die er hat, ihm mitunter gar verboten werden. Die meisten Menschen geben sich damit zufrieden und passen sich an und ein. Einige aber rebellieren und werden zu Ungläubigen oder zu Reformern. So geht dann die Religionsgeschichte weiter.
Wenn so eine Muslimin einen Niqab trägt, kann das durchaus auch aus Trotz gegen eine Kultur sein, die ihr fremd ist und die sie als aufgezwungen empfindet. Oder ganz unreflektiert aus Gewohnheit. Oder gegen ihren Willen von der Tradition, de sie gerne loswerden will, aufgezwungen. Von außen können wir das nicht beurteilen.
Die not-wendige Tugend für unsere Zeit ist Empathie oder Mitgefühl. Den Anderen verstehen wollen.
LG, Micha