Autor Thema: Dreierkonferenz mit zwei Unbekannten  (Gelesen 858 mal)

Offline Lars

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Dreierkonferenz mit zwei Unbekannten
« am: 05.06.2023 23:43 »
Moinsen!
 
Heute hatte ich mal einen freien Tag und war ein wenig im Städtchen unterwegs, um nach einem bestimmten Kleid Ausschau zu halten.
Leider gibt es die gewünschte Klamotte nur online, nicht im Laden. Also eben ausnahmsweise mal bestellt.
Zahlreiche Kommentare zu meinem Outfit (Rock + T-Shirt) gab es wie üblich.
Auf der vorletzten Etappe der Rückfahrt dann die Begegnung des Tages:
Ich stieg in die Straßenbahn, lief zu einem freien Viererabteil und pflanzte mich hin. Noch während Laufens sprach mich eine hinter mir laufende Frau an und sagte, daß sie meinen Rock richtig schön findet. Sie hat dann gegenüber von mir Platz genommen, während ich sagte, daß der einzige Nachteil von dem Rock der viele Stoff ist. Sie fand gerade das schön. Noch während ich mich auf dem Sitzplatz sortierte, setzte sich ein Mann neben mich, auf den ersten Blick Typ Bauarbeiter. Ihm gegenüber setzte sich eine weitere Frau. Somit war die Vierer-Sitzgruppe voll. Der Mann klinkte sich in den Dialog mit ein und sagte mit einem geringschätzig klingenden Unterton, daß er sich jetzt aussuchen kann, welche der drei hier zu sehenden Rockfarben er am schönsten findet. Das rote Kleid meiner Gesprächspartnerin gefiel ihm wohl am besten. Letztere verdrehte schon etwas genervt die Augen, weil sie dachte, jetzt würde eine Pöbelei vom Zaun brechen. Ich hab dann gesagt, über Geschmack kann man trefflich streiten, woraufhin der Mann meinte, über Kunst auch. Daraufhin nahm das Gespräch eine sehr freundliche und interessante Färbung an. Es ging erst darüber, daß man Kunst nicht bewerten kann und sollte. Dann kamen wir nochmals auf unsere Kleider- und Rockfarben und schließlich zur Frage, warum ich einen Rock trage. Der Mann meinte dann, er habe mich eine halbe Stunde vorher schon an einer S-Bahnstation gesehen, wo wir wohl auf die selbe Bahn gewartet haben. Er hat sich hinter einem Werbeplakat versteckt und gedacht, daß er "sowas jetzt nicht gebrauchen kann" (den Anblick eines Mannes mit Rock) und er sagte auch, das, was er noch gedacht hat, will er jetzt nicht erwähnen. Er wußte wohl, daß ich mir das denken konnte. Nachdem er beim Kunstthema schon erfahren hatte, daß ich eine Tochter habe, hat er mich gefragt, ob ich aktuell mit der Mutter meiner Tochter zusammenlebe. Langsam fand er es faszinierend. Ich hab ihm dann erzählt, daß ich mittlerweile eine andere Partnerin habe und hatte damit seine letzten Reste eventueller Schubladen pulverisiert. (Ich habe ihn ja anfangs auch ungerechtfertigterweise in eine Schublade stecken wollen) Meine Gegenüber-Frau hat sich an dem Gespräch weiterhin beteiligt und fand das alles auch ganz spannend. Erst recht, als ich erzählte, daß es so gut wie keine negativen Reaktionen auf meine Kleiderwahl gibt. Und daß ich nicht immer nur im Rock rumlaufe, sondern auch mal "ganz normal". Es gab noch weitere interessante Themen, sogar über den Tod haben wir uns kurz unterhalten. Irgendwann mußte der Mann aussteigen und hat sich herzlich von uns verabschiedet. Die restlichen fünf Minuten Fahrt, während der ich mich mit der Frau noch weiter unterhalten habe, waren schnell rum. Es ging um den berühmten Sachverhalt: Es kommt nicht drauf an, was man trägt, sondern wie. Das war ihr geläufig und es war für sie auch absolut nachvollziehbar. An der Endstation verabschiedeten wir uns und verschwanden in verschieden Richtungen.
Das war mal wieder ein schwer in Worte zu fassendes Erlebnis, und zwar ganz sicher für alle drei Beteiligten. Auch die anderen beiden dürften mit einem Grinsen im Gesicht ihres Weges gegangen sein nach dieser netten Runde.
 
Viele Grüße,
Lars
Schützen die Grünen die Natur?
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Offline cephalus

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Antw:Dreierkonferenz mit zwei Unbekannten
« Antwort #1 am: 06.06.2023 11:27 »
Ein schönes Erlebnis, Lars, freut mich für Dich!


Es ging um den berühmten Sachverhalt: Es kommt nicht drauf an, was man trägt, sondern wie.

Das sehe ich etwas anders:
Die Aufmerksamkeit und das Interesse, das Du erregst ist schon durch das "was" bedingt. Ich trage in der letzten Zeit ziemlich häufig Röcke oder Kleider, das führte aber bislang nie zu besonderen Reaktionen oder gar Gesprächen.
Gelegentlich mal ein längerer Blick oder selten mal ein freundliches Lächeln das ist alles. 

Offline MAS

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Antw:Dreierkonferenz mit zwei Unbekannten
« Antwort #2 am: 07.06.2023 00:35 »
Besonders schön an dem Bericht finde ich den Satzteil:
Zitat
und hatte damit seine letzten Reste eventueller Schubladen pulverisiert. (Ich habe ihn ja anfangs auch ungerechtfertigterweise in eine Schublade stecken wollen)

Wie Zwurg schon andernorts (sinngemäß) schrieb: Vorurteile sind gut, wenn man sie durch Nachurteile prüft.

LG, Micha
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