Hallo Rainer,
warum ich ausgerechnet mit dem Rock gegen die Bekleidungstradition verstoße, hat mehrere Gründe.
Der Rock ist ein in mehrerer Hinsicht angenehmes Kleidungsstück. ich habe da nicht um die Beine spannenden Stoff, nicht die Gefahr der Genitalienquetschung beim Setzen, und eine für mein Temperaturempfinden geeignetere Lüftung. Ich empfinde einen Rock als zentrierend im Gegensatz zur spaltenden Hose. Das Kleidungsstück an sich ist wirklich angenehm.
Mir macht es auch nichts aus aufzufallen. Ich geniese die Aufmerksamkeit. Das mache ich genauso mit meinem Liegerad, was allerdings nicht so provokant ist. Früher fiel ich durch lange Haare langem Bart und kurze Hosen auf. Heutzutage sind solch kurze Hosen wie damals für Männer schwer zu finden. Da ist der Rock eine hervoragende Alternative zur Beinbelüftung. Obwohl ich weiterhin lange Haare mag, trage ich sie inzwischen kürzer, da ich mir noch nicht sicher bin, dies mir beruflich erlauben zu können. Im Gegensatz zu den Haaren kann ich einen Rock problemlos kurzfristig durch eine Hose ersetzen, wenn ich mal strategisch Wert darauf lege, unauffällig aufzutreten. Ich bin zwar wirklich kein Muster an selbstbewustem Auftreten, aber verstecken will ich mich meistens auch nicht.
Dieser Vertoß gegen die Kleidungskonventionen liegt auch voll auf meiner Linie. Mir stinkt schon seit langem, ständig zu hören, was ich sein soll und was ich tun muß, nur weil ich ein Mann bin. Daß ich voll und ganz Mann bin, ist anhand meines Körpers unzweifelhaft. Das will ich auch nicht leugnen, und das hat in der Gesellschaft auch seine Bedeutung, weil Fortpflanzung ein gesellschaftlich wichtige Sache ist. Warum das so betont werden muß? Ganz einfach, weil immer wieder Menschen mir unterstellen weiblich zu sein oder zu sein wollen. Wogegen ich mich aber wehre ist, Sachen, die nur tendenziell männlich sind, absolut zu setzen, und die Männer, die nicht dieser Tendenz entsprechen, in diese reinzuzwängen, oder gar mit rein kulturellen Gewohnheiten das gleich zu tun. Der Männerrock ist ein sichtbares und sinnvolles, wie oben beschrieben, Abweichen vom Männlichkeitszwang. Wenn jemand mich im Sinne des Männlichkeitszwanges anspricht, habe ich genügend Sprüche von anderen Rockern gehört und gelesen, um die Zuordnung Hose-männlich Rock-weiblich durch den Kakao zu ziehen.
Was die Stielsicherheit betrifft, rate ich zu Mut zur Panne. Geschmack ist subjektiv, und Du wirst immer, auch in Hosen, jemand finden, der dein Aussehen nicht gut findet. Stielsicherheit lernt man auch mit Ausprobieren. Allerdings schadet es auch nicht, freundliche Menschen um ihre Meinung zu fragen. Es gibt schon Sachen, die viele gemeinsam als passend empfinden. Auf gute Farbkombinationen zu achten ist, wenn man so einen Aufmerksamkeitsmagneten wie den Rock trägt, in jedem Fall sinnvoll. Dabei können Modekataloge hilfreich sein. Frauen bilden ihren Geschmack unbewußt auch über das Anschauen von Modezeitschriften und Katalogen.
Wie ich bisher sehe, liegen Deine Gründe für den Rock etwas anders als meine. Deine Gründe kann ich allerdings nicht herausfinden, weil ich Dich nur über das Forum hier kenne, und somit zuwenig über Dich weiß. So wie Du hier schreibst, kann ich nur empfehlen, den Wunsch nach Röcken nicht weiter zu unterdrücken. Falls Deine Unsicherheiten zum heimatlichen Rocktragen noch zu groß sind, sind weiteres Sammeln von Erfahrungen in der Fremde, wo Dich keiner kennt, durchaus eine Möglichkeit, zu erleben, daß Rocktragen wirklich nichts schlimmes ist. Natürlich ist es auch sinnvoll, zu klären, was Deine zentralen Motivationen sind, und diese auch in eine Form zu bringen, die Du bei Anfrage kommunizieren kannst. Für mich ist der erste oben genannte Grund, das, wovon ich so überzeugt bin, daß ich das auch für andere überzeugend erklären kann, wenn ich aus Neugierde gefragt werde, warum ich Rock trage. Sowas kommt immer wieder mal vor, und es ist auch natürlich, wenn man fragt, warum jemand was ungewöhnliches macht.
Gruß,
Jo