Ich bin als Mann geboren. Das habe ich mir nicht ausgesucht. Es ist einfach so passiert, eine Fügung des Schicksals, die Natur hat ihren Lauf genommen, vielleicht war es Gottes Wunsch so. Rund viereinhalb Jahrzehnte habe ich mir darüber auch keine Gedanken gemacht. Dann eines schönen Frühlingsmorgens verspürte ich den starken Drang einen Rock anzuziehen. In ein Geschäft einen Rock zu kaufen, traute ich mich dazumal noch nicht. Also ersteigerte ich einen Jeansrock bei Ebay und zog ihn erstmal heimlich draussen im Wald an. Was war das für ein tolles Gefühl, ich war auf einmal ein anderer Mensch. Dann kamen die nächsten Schritte, die viele hier im Forum sicherlich kennen. Das Outing gegenüber der Partnerin, das erste Mal in der Öffentlichkeit, usw. Und alles verlief super gut. Nachdem meine Frau verstanden hatte, dass ich sie immer noch liebte, war alles in Ordnung. Heute zieht von uns jeder das an, was ihr/ihm gefällt und die Dinge sind dadurch viel einfacher geworden. Eine sehr positive Auswirkung auf die Ehe, weil ich nicht mehr eine Rolle spielen muss und sie auch nicht. Manchmal gehen wir auch zusammen im Rock, wenn sie auch mal einen Rock trägt, vornehmlich zu Einladungen oder Veranstaltungen. Es ist auch schon vorgekommen, dass sie gefragt hat, ob ich nicht eine Hose anziehen möchte, sie würde gerne auch hübsch aussehen und ich stehle ihr in meinen tollen Röcken die Show.
Dann das erste Mal in der Öffentlichkeit, war auch kein Problem. Dass ich später dann aber leider von einigen Ausländern Anfeindungen ausgesetzt war, hatte ich ja schon an einer anderen Stelle im Forum berichtet. An das „schau mal Mami, der hat einen Rock an“ oder „guckt mal, was hat der denn an“ habe ich mich gewöhnt. Insgesamt sind meine Erfahrungen aber zum absolut überwiegenden Teil positiv.
In meiner beruflichen Laufbahn hatte ich immer wieder die Gelegenheit tolle Teams aufzubauen und zu fördern. So kam es, dass ich vor ein paar Jahren eine ganz tolle Frau in mein Team geholt habe. Wir haben uns immer sehr gut verstanden und sind gute Freunde geworden, nachdem sich unsere beruflichen Wege getrennt hatten. Sie kannte mich als Chef und sie kannte mich als Mann, beruflich und privat. Dann in diesem Sommer, wir hatten uns eine Weile nicht gesehen, verabredeten wir uns zum Apero um einmal wieder ein bisschen zu plaudern. Ich kam im Rock und sie hat super toll reagiert, als wenn es das normalste der Welt gewesen wäre. Eine tolle Erfahrung. Eine weitere machte ich mit einer anderen Frau, die ich auch aus dem beruflichen Umfeld kenne. Sie hat für unsere Firma damals als externe Beraterin einige Projekte gemacht. Wir haben uns von Anfang an super gut verstanden. Später entwickelte sich daraus auch eine Freundschaft. Sie ist der Typ Frau, der über die Persönlichkeit beeindruckt, weniger über das Äussere. Sie ist gross gewachsen und vom Typ her eher burschikos. Seit vielen Jahren kenne ich sie und wir haben zusammen gearbeitet und im Privatleben zusammen mit meiner Frau und ihrem Mann viele schöne Tage und Abende verbracht. Aber ich habe sie niemals in einem Rock oder Kleid gesehen, nur in Hosen. Dann eines Tages in diese Sommer, durch puren Zufall haben wir uns bei einer Veranstaltung getroffen. Sie war wie immer in Hosen und ich im Rock, das hatte sie noch nie an mir gesehen. Da wir uns eine Weile nicht gesehen hatten, verabredeten wir ein Abendessen ein paar Wochen später. An diesem dann regnerischen Abend wartete ich auf sie vor dem Restaurant und als sie ankam und aus dem Auto stieg, traute ich meinen Augen nicht. Sie hatte ein tolles klassisches schwarzes Cocktailkleid an und sah extrem gut aus darin. Ich hatte natürlich auch einen Rock an. Und sie sagte, dass sie sich durch mein Rock tragen an dem Tag bei der Veranstaltung damals, auch zum Rock tragen angesprochen gefühlt hat. Was für eine tolle Erfahrung! Und dann waren wir super schön Essen, haben einen tollen Wein getrunken und bis spät über Gott und die Welt geplaudert.
Love it, leave it or change it. Seit dem schönen Frühlingstag, wo ich das erste Mal einen Rock angezogen habe, denke ich viel intensiver über mich nach. Bin ich gerne Mann? Sicherlich nicht. Bin ich gerne männlichen Geschlechts? Ich weiss es nicht. Wäre ich gerne eine Frau? Kleidungsmässig und vom Aussehen her…..ganz bestimmt! Ich bin ein Mensch, der die schönen Dinge liebt. Ästhetik, Kunst, Architektur, Musik, Mode, usw. Eine Frau kann aus meiner Sicht viel schöner sein als ein Mann. Also wäre ich sicherlich gerne eine Frau. Ich liebe es, Röcke zu tragen, Stiefel, usw. Ich mag es auch schön zu sein. Wäre ich gerne eine Frau? In der Beziehung schon gerne. Ich kenne auch viele Frauen, deren Charakter ich toll finde. Hätte ich gerne diese Empathie, diese Feinfühligkeit, diese Führsorgefähigkeit, diese Einstellung zu vielen Dingen gegenüber, dieses oftmals viel positivere Denken, usw. Ja klar. Ich lebe beruflich in einer ziemlichen Männerwelt und das schrecklichste für mich sind diese Alpha-Männchen die alles bestimmen wollen, meinen alles besser zu wissen, meinen alles besser zu können, alles dominieren zu müssen und dann doch oftmals doch nur kläglich scheitern. Wäre ich gerne eine Frau? Ich weiss es nicht. Ich weiss nicht wie es ist monatlich mit der Regel, mit dem Körpergefühl, usw. Ich kann mir das sexuelle empfinden einer Frau auch überhaupt nicht vorstellen. Wie auch? Eigentlich bin ich mit meinem Körper und meinen Empfindungen ganz zufrieden. Und ich finde es toll, dass sich die weibliche Seite in mir nach aussen gekehrt hat. Ich muss auch sagen, dass ich nicht glaube ich hätte als Frau die gleiche berufliche Karriere gemacht wie so als Mann. Ich selber setzte mich schon immer für die Gleichberechtigung ein. Bei mir erhalten in der Firma Frauen die gleichen Chancen wie die Männer und ich zahle für den gleichen Job auch den gleichen Lohn. Aber das ist heute leider an vielen Orten noch keine Selbstverständlichkeit. Und in Bezug auf die Gleichberechtigung rede ich hier nur von Westeuropa. Da gibt es weite Teile in dieser Welt, da sieht es noch ganz anders aus.
Love it, leave it or change it. Bin ich zufrieden damit wie es ist. Jain. Wenn es Sommer ist und ich sehe Frauen wie sie in ihren tollen Röcken und Kleider und Blusen und Schuhen gehen, wann immer und wo immer sie wollen, dann wird es mir ganz traurig im Gemüt und ums Herz herum. Auch wenn ich Frauen sehe, die bei der täglichen Arbeit ganz tolle Rockuniformen tragen können wie z.B. am Flughafen, dann werde ich traurig und ziemlich neidisch. Ich schaffe für einen sehr grossen Industriekonzern in einer Führungsposition und mache, so was ich höre, einen ganz ordentlichen Job. Aber seitdem ich angefangen habe im Privatleben Röcke zu tragen, ist mir bewusst geworden, tagsüber in der Berufswelt in gewisser Hinsicht eine Rolle zu spielen. Meine Hosen sind meine Uniform (der Gedanke macht es etwas erträglicher).
Love it, leave it or change it. Jetzt bin ich hier also als Mensch männlichen Geschlechts, als Mann, als Ehemann, als Chef, einfach als der Tobias, den mich viele über Jahre hinweg kennen und möchte es doch nicht mehr sein. Welche Möglichkeiten habe ich? Die Geschlechtsangleichung wäre eine Möglichkeit. Die oben erwähnte Freundin von mir hatte eine Tochter. Diese war von Kind an sehr burschikos, trug nie Kleider oder Röcke, wollte immer ein Junge sein. Mit Erreichen der Volljährigkeit hat sie/er den Schritt nun getan. Meine Freundin hat nun einen Sohn. Wie wunderbar sich alles hier gefügt hat. Der Weg von der Frau zum Mann ist viel schwieriger als vom Mann zur Frau, einfach von der Anatomie her. Es könnte für mich auch ein Weg hin zum weiblichen Geschlecht geben. Wenn ich vor zwanzig oder dreissig Jahren so intensiv über mich wie heute nachgedacht hätte, dann wer weiss? Vielleicht hätte ich den Schritt, leave it (das Geschlecht), vollzogen. Heute kann ich es mir nicht wirklich vorstellen. Nicht wegen der Operationen, nicht wegen dem Umfeld, sondern wegen meiner Frau. Ich glaube heute, es hat einen Grund, warum ich als Mann auf dieser Welt bin. Für meine Frau. Wäre ich als Frau auf dieser Welt, hätte ich diesen wunderbaren Menschen vielleicht kennen, aber nicht lieben gelernt. Und wir wären kein Paar, was seit zwei Jahrzehnten durch dick und dünn geht und sich immer noch so lieb hat wie am Anfang. Also war es vielleicht doch so etwas wie eine göttliche Fügung mit meinem Geschlecht?
Bleiben noch love it und change it. Liebe ich die Situation wie sie war und wie sie ist? Nein. Wie es früher war, war es schon in Ordnung, denn ich habe ja nicht darüber nachgedacht, hatte ein anderes Verständnis von mir. Und heute? Vieles ist einfach super. Z.B. die oben geschilderten Erfahrungen. Meine Frau, die zu mir steht, egal ob ich einen Rock an haben oder eine Hose. Ich lebe ein Leben, in dem ich im Privaten immer einen Rock und die Sachen, die ich liebe, tragen kann. Da sind die vielen schönen Erfahrungen wie z.B. dieses nette kleine Feinkostgeschäft unten am See, nur von Damen betrieben. Da war ich sehr oft im Sommer, habe auf der Terrasse gesessen, etwas gegessen und ein Glas Wein getrunken. Immer im Rock. Und die Damen haben immer so nett reagiert und mich als Mensch gesehen und nicht als komischen Typen im Rock. Und so hatte ich ganz viele tolle Erfahrungen bisher als Mann im Rock. Einfach ganz wunderbar. Aber, da sind ja leider auch noch die gesellschaftlichen Konventionen. Klar nervt es mich total, wenn mir junge Mädchen oder Damen, in der Blühte ihrer körperlichen Entwicklung entgegen kommen, alle Kleidungsfreiheiten dieser Welt geniessen können, und dann lauthals über mich als Mann im Rock lachen. Oder wenn es wie diesen Sommer so heiss ist und meine Mitarbeiterinnen in tollen Kleider und Röcken zu Arbeit kommen und ich da in meinen dämlichen langen Hosen sitze. Also love it? Nein, sicherlich liebe ich die jetzige Situation für mich nicht. Oder sagen wir mal, noch nicht ganz.
Also, change it, Schritt für Schritt. Das erste Mal im Rock, das erste Mal vor der eigenen Frau im Rock, in der Öffentlichkeit, vor den Verwandelten und Bekannten. All das ist ja bereits geschehen, ich habe einen Weg des Wandels für mich beschritten. Und ich möchte den Weg des Wandels weiter gehen. Change it! Ich möchte weiter daran arbeiten, dass ich als Mann die gleichen Freiheiten in Bezug auf meine Kleidung geniesse wie die Frauen auch. Ich möchte mit an einem gesellschaftlichen Wandel und Umdenken arbeiten. Ich wünsche mir eine Bewegung, die dies zum Thema hat und nach aussen trägt. Und meine Vision ist es, eines Tages zur Arbeit im Rock oder Kostüm zu fahren und es ist gut so und alle finden es normal und ich sehe gut aus und fühle mich wohl und es geht mir gut. Wer weiss, eines Tages, ich habe noch mehr als 15 Jahre Berufsleben vor mir!
Was soll ich also über mein Schicksal hadern, da ich es in Bezug auf mein Geschlecht eh nicht ändern kann? Klar ist es einfach über die Situation zu meckern, dies laut nach aussen zu tun, den Schmerz vielleicht im Alkohol zu ersaufen, mich zu bemitleiden, usw. Dies ist aber nicht mein Weg, denn er ist nicht positiv. Also change it! Ich gehe weiter meinen diesen Weg und hoffe viele Gleichgesinnte zu treffen und lasse mich nicht mehr in diese mir von der Gesellschaft zugewiesene Geschlechterrolle pressen.
Liebes Forum, let’s Rock it, let’s change it!
