Chris,
ich kann Deinem Beitrag (siehe Link vom Zitat gleich) auch jenseits von dem kurzen religiösen Aspekt (der mir an dieser Stelle fast etwas zu esoterisch ist) weitestgehend zustimmen.
Und vor allem stimme ich Deinem Fazit zu:
Es geht also darum, dass wir uns als gleichberechtigt mit Frauen sehen und dies mit unserer Kleiderwahl zeigen.
Ich untermauere das noch einmal mit meiner Wortwahl dieses Threads:
Wenn wir Männer einfordern, auch den Zwang bzgl. Kleidung abzuschütteln, wie das die Frauen schon längst taten,
dann möchten wir auch uns als gleichberechtigt mit den Frauen fühlen,
und den Frauen auf Augenhöhe begegnen.
Wir Männer sind nicht mehr wert wie Frauen. Frauen sind nicht mehr wert wie Männer.
Wenn wir uns also 'weiblich' kleiden, wird dies von der Mehrheit immer als eigene Abwertung verstanden. Frauen haben sich durch die Aneignung von 'männlicher' Kleidung aufgewertet.
Genau gegen dieses Denkschema sollten wir arbeiten. Denn mit dieser Auffassung wirken ja immer noch Gedanken, die einer Wertung von Mann und Frau auf gleichberechtigter Ebene widersprechen.
Im sprachlichen trägt das generische Maskulinum natürlich auch dazu bei, dass der Mann an sich sich als die Krone der Schöpfung empfindet - steht ja schon in der Bibel
Da könnte man trefflich drüber streiten. Aber ich denke schon, dass diese Sprachbilder im Kopf mitwirken und aus einer Zeit stammen, in der Klempner, Ärzte, Arbeiter, ja früher irgendwann auch Schüler, immer nur Männer oder männlich waren. Weil Frauen Bildung und vor allem Beruf untersagt war, jedenfalls unüblich war; jedenfalls ziemlich alles, was irgendwie ausserhalb häuslicher Leistungen war. Also Dienstmagd war ja üblich.
Es gibt etliche Einzelbeispiele, wo auch Frauen Berufe der Männer ergriffen (Autorin, Ärztin, Astronomin), doch waren sie sehr seltene Einzelfälle. Es gab im 19. Jh., aber auch noch vor 100 Jahren, Fälle, wo mit viel Mühe und Beziehungen Frauen z.B. studieren durften. Es kam aber oft vor, dass sie an den Abschlussarbeiten nicht teilnehmen durften, um den akademischen Grad eben nicht zu erwerben zu können - einfach nur, weil sie Frauen waren. Das wäre heute inzwischen undenkbar. (Aber in einigen Ländern gibt es das auch heute noch.)
Es ist also kein Wunder, dass im deutschen generischen Maskulinum die Widerspiegelung alter patriarchaler Strukturen interpretierbar ist.
... bestimmte Vorstellungen ... z.B.: Blaumann = Handwerker (gemeinhin hohes Ansehen), Servierkleid / Dirndl = Bedienung (Dienen!) Da kommt das alte Patriarchat immer wieder durch. Du siehst ja aus wie ein Mädchen! (Immer abwertend gemeint!)
Das kann man so deuten.
Doch gibt es sowas auch umgekehrt. Zum Beispiel der Ausdruck "Mannweib". Dieser Begriff mag inzwischen fast ausgestorben sein, und er hat sicherlich zwischen den 1920er Jahren und den 1970er Jahren an Bedeutungsumfang verloren. Aber dieser Begriff ist gleichermaßen abwertend gemeint. Frauen oder Mädchen, die nicht ausreichend konform mit den erwarteten Rollenvorstellungen sind, werden durchaus auch abwertend und verletzlich kommentiert. Anstelle des "Mannweibs" mag inzwischen vielleicht eher "Kampflesbe" getreten sein - aber mit nochmal einer deutlichen Bedeutungsverlagerung - und auch dieser Begriff dürfte mit gestiegener Achtung alternativer Lebensformen auf dem Rückzug sein.
Jedenfalls ist auch heute noch Gegenstand von Unterhaltung, wenn eine Frau / ein Mädchen nicht ausreichend weiblich erscheint.
Dennoch, da geb ich Dir Recht, Chris, ist es weniger verpönt, wenn "eine Frau ihren Mann steht", als wenn ein Mann irgendwelche Weichei--Züge zeigt. Ein Kindergartenkind wird gelobt, wenn es ein Rabauke ist, sofern es ein Mädchen ist - ein Junge hat es da schwerer. Ein Kindergartenjunge steht schneller in der Kritik, wenn er lieber mit Puppen spielt als mit dem Fußball. Auch wenn selbst das längst nicht mehr so verpönt ist und es viele Gegenbeispiele gibt.
Die Frauen haben sich in den 50er/60er Jahren - bedingt durch die Nachkriegssituation - von den Normen, die ihnen ja in viel stärkerem Maße eingeimpft wurden wie uns Männern, nicht nur von Kleidungsnormen, sondern sich ja auch von vielen anderen echten Zwängen mehr und mehr befreit. Für Männer war dies nicht nötig. Wir sind schon immer (seit mindestens 2000 Jahren) privilegiert und mussten nichts erkämpfen.
Diese Untermauerung des Hosenzwangs für Männer halte ich sehr stark geprägt von feministischen Narrativen.
Sind wir Männer seit 2000 Jahren schon immer privilegiert? Männer mussten auch immer "ihren Mann" stehen. Sie zogen in Kriege, schlugen sich gegenseitig die Köpfe ein. Sie schufteten unter der Erde in Stollen, wurden verschüttet, Opfer von Schlagwettern. Ob die Geschichte der Männerwelt sich so einfach beschreiben lässt mit "privilegiert zu sein", wage ich zu bezweifeln. Natürlich waren die Herrscher der Geschichte fast alles Männer - um in diese Positionen zu gelangen war es von deutlichem Vorteil, ein Mann zu sein. Und natürlich wurden Frauen von Männern geschändet, vermutlich mehr als wir uns das heute ausmalen können - auch eine Bezeugung von Macht bzw. Machtmissbrauch. Ob aber die Rolle der Frauen über die 2 Jahrtausende hinweg als so benachteiligt gegenüber Männern zu werten ist, wage ich zu bezweifeln. Mann und Frau hatten beide ihre Aufgaben, und für die Mehrheit der Männer und Frauen war das keineswegs ein Zuckerschlecken.
Die Wertung des "privilegierten" Mannes als solchem stammt aus der Zeit des fortgeschrittenen Bürgertums, das es besonders in Deutschland mit zwei Weltkriegen - eine etwas verkürzte, daher steile These - auf die Spitze getrieben hat, und aus der Folgezeit.
Da nach den Weltkriegen Männer fehlten, mussten einige Frauen an die Arbeitsplätze der Männer. Die ersten Frauen waren gezwungen, "ihren Mann zu stehen". Das eröffnete ganz neue Perspektiven. Während in den 20 Nachkriegsjahren die treu fürsorgliche Hausfrau ihren Mann, sofern sie einen abbekam, unterstützend beistand und somit auf ihre Weise zum Wirtschaftswunder beitrug, wurde die nachwachsende Generation der Frauen diesem Verhalten überdrüssig und begann, über den privilegierten Mann nachzudenken. Hinzu kam die Möglichkeit, der selbstbestimmten "Familienplanung" (Pille), so dass mehr Freiraum für Bildung, Ausbildung und Partnerwahl bzw. Paarbindung möglich wurde.
Das Begehren, eigenes Geld zu verdienen und nicht mehr vom Belieben eines Mannes abhängig zu sein, schaffte ein ganz neues Selbstbewusstsein der Frau. Gleichzeitig wuchsen die Ressentiments gegenüber der "Privilegien der Männer". Selbstbestimmung und wirtschaftliche Unabhängigkeit ist der eigentliche Nährboden für den Feminismus bzw. der Forderung nach der "Gleichstellung der Frau". "Selbstverwirklichung" war noch ein Stichwort der 80er und 90er Jahre, das da mit reinstrahlte.
Das - verkürzt - ist die Grundlage der "Gleichberechtigung". Wobei "Gleichberechtigung" lange Zeit nur die Angleichung der Rechte der Frauen an die "Privilegien" der Männer sah. Inzwischen liegt bei "Gleichberechtigung" der Fokus auf Frauen und LGBTQ+, nicht aber auf Männern. Noch immer gelten die Rechte und "Privilegien" der Männer als das Maß der Dinge, die erstrebenswert sind. Da hat das Wort "Gleichstellung" oder Ideen wie "Elternzeit" kaum etwas gebracht, dass über Benachteiligung von Männern nachgedacht wurde.
Ergänzend sei hier noch Ferdis Slogan erwähnt: "Gleichberechtigung ist keine Einbahnstraße!"Dass heranwachsenden Jungs im eher weiblich ausgeübten Bildungswesen gewisse Benachteiligungen entstehen, z.B. weil männliche "Vorbilder" fehlen, fällt erst seit 10, 15 Jahren so langsam auf.
Dass es Männer geben kann, die sich benachteiligt fühlen, weil der gesellschaftliche Druck das Hosentragen erwartet, muss auch erst so langsam ins kollektive Bewusstsein eindringen.
Wenn Du, Chris, schreibst, dass Frauen sich "von vielen anderen echten Zwängen" befreien mussten, dann wertest Du die Erwartung der Gesellschaft an den Mann, Hosen zu tragen, als deutlich geringer ein. Mir schimmert da eine Haltung durch à la "Ein echter Kerl übersteht die Lappalie, sein Leben lang Hosen tragen zu müssen".
Eine bestimmte Kleidung tragen zu müssen, ist keine Lappalie, wenn anderen Mitmenschen erlaubt wird, ein ganzes Spektrum von Kleidung zu tragen. Für Dich, Chris, mag es ein Nice-to-Have sein, Rock tragen zu dürfen. Für mich ist es eine Grundvoraussetzung.
Und warum soll ich zurückstecken, wenn anderen alles zugestanden wird?
Das sollten andere, die es möchten, auch nicht machen.
Und wer sich damit aber nicht traut, der ist einem gewissen Zwang ausgesetzt. Und Frauen haben diesen Zwang abgelegt, ganz gleich warum. Die Männer sollten sich auch diesem Zwang entziehen.
---- Abschließend noch dazu:
Es gibt Feigheit, derentwegen wir uns nicht trauen, anzuziehen was wir möchten, aber zwingen tut uns niemand in die Hosen.
Ich halte es für eine Ausrede, sich auf einen "Hosenzwang" zu berufen oder gar mit dem gar nicht vergleichbaren "Frauen tragen auch Hosen" Schmäh zu kommen.
Feigheit, ja, mag ja sein. Doch die Erwartung der Gesellschaft tut sich schwer, uns aus den Hosen zu entlassen - zumeist die eigene Familie, die Frau, die Angst vor Ruf- oder gar Jobverlust.
Ich bin nicht der einzige, der den Zwang als Zwang wahrnimmt, auch wenn ich mich persönlich davon befreit habe. Ja, man kann sich davon freimachen, dazu aber gehört Mut.
Und klar doch: "Frauen tragen auch Hosen", das ist kein Schmäh. Das ist ein Fakt. Und viele Frauen kommen selbst auf diese Idee, wenn sie mir im Rock oder Kleid begegnen. Manche Männer mittlerweile auch selbständig.
Und alleine diese Tatsache ist Grund genug, auf Gleichberechtigung zu pochen.
Für die, die Kleidung als eine "Lappalie" betrachten ("Du kannst ja Dein Leben lang Hosen tragen, was willst Du eigentlich?"), ist eine Verdeutlichung besser augenöffnend, wenn man aufzeigt, dass Frauen keinen Kleidungszwang mehr haben, wir Männer aber schon.