Von Dir habe ich Ablehnung in Bezug auf meine Gelb-grün-blau-schwarz-Kombination erfahren. Seit dem trage ich die so nicht mehr und ärgere mich dabei über mich selber. Ich habe mir nämlich so gefallen, und gefalle mir immer noch, habe aber jetzt Angst davor, dass noch mehr Leute denken wie Du und mich deshalb ablehnen. Blöd, gell?
Hallo Micha,
das ist ein sehr schönes Beispiel.
Mal ganz anders: Ich versuche, einen Gedanken zum Ausdruck zu bringen und eine gewisse Wirkung zu erzielen. Ich bemerke an der Resonanz von dir, dass da was ganz anderes zurückkommt. Jetzt gibt es ein paar Alternativen:
- ich teile etwas mit, du verstehst mich falsch, also bist du blöd
- ich teile etwas mit, du verstehst mich falsch, also bin ich blöd, insofern ich meine Worte nicht auf dich abgestimmt sind.
- ich teile etwas mit, du verstehst mich falsch, also könnte man gemeinsam in einem sokratischen Dialog den Kern erarbeiten.
Ich nehme an, solche kommunikativen Prozesse wirst auch du aus deinem Alltag kennen, wenn du irgendein Thema darstellen möchtest, es in deinen Worten zum Ausdruck bringst, eine gewisse Reaktion erwartest, die dann aber vollkommen von dem abweicht, was du eigentlich erreichen wolltest. Wenn du an dem anderen interessiert bist, wirst du dein Thema auf andere Art verpacken und mitteilen, um letzten Endes eine Interpretation des anderen zu bekommen, die in dem Erwartungsbereich liegt, wie du es dir vorgestellt hast.
Wenn du etwas mitteilst und du nicht verstanden wirst, heißt das Nicht-Verstehen: die Wirkung, die du erzeugen wolltest, weichen erheblich ab von der Resonanz, die du vom Gegenüber bekommst. Was dann? Wirst du total verunsichert sein? Wirst du dich grämen und dich über dich selbst ärgern, wirst du deshalb eine bestimmte Art des Ausdrucks deiner Thematik unterlassen?
Was für kommunikative Prozesse gilt, gilt auch bei der Kleidung. Denn auch Kleidung ist ein Kommunikationsfaktor, wenn auch der nichtverbalen Art. Aber durch Kleidung teilt man der Welt etwas mit.
Ich bemerke an den Reaktionen von dir auch immer eine eigentümliche Angst oder Unsicherheit. Irgendein geäußerter Gedanke führt bei dir schnell zu der Entgegnung, das führe ja zur Uniformität. Warum? Vielleicht werden andere Gedanken deshalb gleich abgelehnt, weil sie die eigene Grundfeste erschüttern könnten? Vielleicht ist sowas nur eine Schutzmauer, die um einen selbst gezogen ist?
Ein rocktragender Mann teilt der Welt einfach ein Faktum mit: es gibt auch Männer, die Röcke tragen. Ein rocktragender Mann kann das auf vielerlei Art und Weise zum Ausdruck bringen, kurzer Rock, langer Rock, Bleistiftrock, Faltenrock usw. Der Ausdruck kann auf spezieller Freude an diesen oder jenen Kleidungsstücken beruhen. Der rocktragende Mann erzeugt auch immer eine Wirkung in der Umwelt. Diese Wirkung hängt aber auch von der Art und Weise des Ausdrucks ab: nicht jeder Rock wirkt gleich, nicht jeder Rock wirkt am Träger gleich. Meine Frage ist es nun: welche Wirkung möchte ich erreichen bzw. was möchte ich vermeiden? Und spüre ich an der Resonanz, dass ich halbwegs richtig oder falsch liege? Und wenn ich falsch liege, kann ich meinen Ausdruck verändern (wie du es tust, wenn du deine Farbenkombination nicht mehr trägst), oder ich kann mich danach fragen, ob ich den Ausdruck beibehalte, aber den Part überarbeite, welche Wirkung ich erreichen möchte.
Mal auf Hajo bezogen: Für mich ist die Wirkung, die er auf mich hat, Selbstdarstellung, Aufmerksamkeit zu erzeugen, auffallen um jeden Preis. Wenn das von ihm selbst angestrebt ist, wenn er sich so kleidet mit der Erwartung, auffallen, aus dem Rahmen fallen zu wollen, dann sind Selbst- und Fremdeinschätzung deckungsgleich. In diesem Sinne ist sein Ziel erreicht. Er demonstriert der Welt, dass alles möglich ist. Wenn aber die von ihm angestrebte Wirkung sein sollte, irgendwelchen unsicheren Männern als Muster zu dienen, wie sie sich selbst die ersten Male unauffällig im Rock in der Öffentlichkeit präsentieren könnten, schlägt sein Ansatz fehl.
Micha, wie du oftmals auf meine Diskussionsansätze reagierst, deine Angst und Unsicherheit vor Uniformität, wenn es um Stilfragen geht - verhältst du dich in kommunikativen Prozessen auch so? Erstmal eine Blockade aufbauen statt dich auf eine Thematik einlassen? Ich könnte mir vorstellen, dass es eher nicht so ist, dass du in Diskussionen offener bist, weil die Sache nicht so persönlich ist. Aber für mich gehört auch diese demonstrierte Unsicherheit in den Bereich der Stilfragen. Du zeigst, dass du doch nicht so ganz sicher und schnell ins Wanken zu bringen bist. Nur mal so als Frageansatz an dich selbst. Nochmal zu deiner Farbkombination:
du kannst es unterlassen, sie zu tragen, weil mein Feedback nicht so gut war.
Du kannst die grundlegende Thematik meines Feedbacks zu deinem Thema machen, eine gedankliche Auseinandersetzung mit Farbenlehre, und zu einer Schlußfolgerung kommen, dass die Farben nicht zusammen passen.
Du kannst diese Farbkombination aber auch zu deinem persönlichen Stil machen, sie weiter tragen und dich in deinem Selbstvertrauen gestärkt fühlen.
Gruß Matthias