Autor Thema: Jesus trug kein Kleid  (Gelesen 25379 mal)

Offline MAS

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Re: Jesus trug kein Kleid
« Antwort #60 am: 02.04.2019 22:28 »
Lieber Hajo,

aber das ist ja gerade Theologie, Gottes Wort auszulegen. Genauer ist es Exegese. Es muss ja nicht wissenschaftliche Theologie sein, aber im weiteren Sinne schon.

"Gottes Haltung" zu vertreten ist zwar ein sehr hoher Anspruch, der so manchen Theologen skeptisch werden lässt. Zunächst reziperst Du ja Lukas und Markus, die ihrerseits Theologie betrieben haben. Von Gott erfährst Du durch sie, ihr Glaube beeinflusst Deinen.

Das eine Zitat über die Diskussion zwischen Jesus und dem Schriftgelehrten ist ja eine Rahmenerzählung rund um das Gleichnis vom bermherzigen Samariter. In diesem Gleichnis geht es aber schon um eine Leistung, nämlich die Hilfe, die der Samariter dem unter die Räuber gefallenen Mann angedeihen lässt. Und eine solche Leistung, also praktische Nächsten- oder nach der von Dir benutzen Übersetzug Mitmenschenliebe, stellt Jesus schon als wichtig hin. Einfach nur zu glauben aber nichts zu tun, würde den Überfallenen nicht retten. Die beiden Männer, die vor dem Samarier den Überfallenen passierten, waren in Eile, da sie Tempeldienst zu verrichten hatten. Sie dachten vielleicht, dass es sie retten würde, ihre religiösen Pflichten zu verrichten, und sie hatten wohl überdies Angst, der Überfallene könnte tot sein und einen Toten zu berühren, würde sie verunreinigen. Der Samariter aber war einfach hilfsbereit, und das lobte Jesus als vorbildlich.

Es gibt ja noch eine andere Geschichte, in der Jesus sagt, dass eher ein Kamel durch ein Nadelör, also so ein kleines Fußgängertor in der Stadtmauer komme, als ein Reicher ins Himmelreich und fordert den Reichen auf, seinen Reichtum zu verschenken, um ins Himmelreich zu kommen. Na, wenn das keine Leistungsanforderung ist!

Der Schächer der neben Jesus gekreuzigt wurde und dem Jesus sagte, er sei noch heute zusammen mit ihm beim Vater im Himmel, mag an seinem Glauben genug gehabt haben. Aber wie ist er zu dem Glauben gekommen, und warum der andere auf der anderen Seie nicht?


Lieber Wolfgang,

na ja, Vorschrift ja, so wie eine Vorschrift, nicht auf die heiße Herdplatte zu fassen. Ich interpretiere solche Vorschriften als Erfahrungsinterpretationen. Da machte also jemand eine Erfahrung, interpretierte diese im Rahmen seines Verständnishorizontes und formuliert daraus Vorschriften oder Ratschläge. Wenn er es dann übertreibt und meint, nur so sei es richtig und wahr, mag er über das Ziel hinausschießen. Und vor allem, wenn Meschen, die diese Erfahrung selber nicht gemacht haben, die Ratschläge übernehmen und darauf verbindliche Vorschriften machen, um Macht auszuüben, dass geht der Schuss nach hinten los.


Lieber Harry,

schön, dass Du so ein Vertrauen hast! Mir geht es ähnlich. Aber ich hatte Dich wohl falsch verstanden, nämlich so, dass Du so viel Vertrauen habest, dass Du meintest, nicht arbeiten (also das Kamel nicht anbinden) zu müssen. Aber so ist es dann nun auch wieder nicht, denn Du arbeitest ja (bindest Dein Kamel an) und vertraust dann, dass die Arbeit gut geht (das Kamel nicht wegläuft).

LG in die werte Runde!
Michael
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Offline high4all

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Re: Jesus trug kein Kleid
« Antwort #61 am: 03.04.2019 06:32 »
Zitat
Es gibt ja noch eine andere Geschichte, in der Jesus sagt, dass eher ein Kamel durch ein Nadelör, also so ein kleines Fußgängertor in der Stadtmauer komme, als ein Reicher ins Himmelreich und fordert den Reichen auf, seinen Reichtum zu verschenken, um ins Himmelreich zu kommen. Na, wenn das keine Leistungsanforderung ist!
Lieber Michael,

ich wei8, dass Du die Neigung hast, alles zu zerreden und gerne neue Fässer aufmachst. Aber biite sherÖ

Markus 10, 25-31
Zitat
Die Segnung der Kinder
13 Da brachte man Kinder zu ihm, damit er sie berühre. Die Jünger aber wiesen die Leute zurecht. 14 Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn solchen wie ihnen gehört das Reich Gottes. 15 Amen, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. 16 Und er nahm die Kinder in seine Arme; dann legte er ihnen die Hände auf und segnete sie.

Reichtum und Nachfolge
17 Als sich Jesus wieder auf den Weg machte, lief ein Mann auf ihn zu, fiel vor ihm auf die Knie und fragte ihn: Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? 18 Jesus antwortete: Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer der eine Gott. 19 Du kennst doch die Gebote: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen, du sollst keinen Raub begehen; ehre deinen Vater und deine Mutter! 20 Er erwiderte ihm: Meister, alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt. 21 Da sah ihn Jesus an, umarmte ihn und sagte: Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach! 22 Der Mann aber war betrübt, als er das hörte, und ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen. 23 Da sah Jesus seine Jünger an und sagte zu ihnen: Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen! 24 Die Jünger waren über seine Worte bestürzt. Jesus aber sagte noch einmal zu ihnen: Meine Kinder, wie schwer ist es, in das Reich Gottes zu kommen! 25 Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. 26 Sie aber gerieten über alle Maßen außer sich vor Schrecken und sagten zueinander: Wer kann dann noch gerettet werden? 27 Jesus sah sie an und sagte: Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich. 28 Da sagte Petrus zu ihm: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. 29 Jesus antwortete: Amen, ich sage euch: Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, 30 wird das Hundertfache dafür empfangen. Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser und Brüder, Schwestern und Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben. 31 Viele Erste werden Letzte sein und die Letzten Erste.

Denk mal über Vers 15 nach im Zusammenhang mit den Versen 23-27.

Die Jünger sind entsetzt, obwohl sie selbst keine reichen Leute waren, weil sie gespürt haben, dass es selbst für sie kaum möglich ist. Es geht um den Absolutheitsanspruch Jesu, neben dem alles andere zweitrangig ist. Wenn wir das Angebot Gottes wie ein Kind annehmen, dann hat das zur Folge, dass wir unser ganzes Leben unter seine Herrschaft stellen. Inklusive unseres Besitzes. Unser Herz soll an Gott hängen und nicht am Geld. Halbe Sachen gibt es nicht bei Gott.

In Vers 29-30 wird außerdem deutlich, dass uns Gott alles diese Dinge, die wir um seinetwillen aufgeben, wieder schenken wird. Damit wir sie aus seiner Hand empfangen und uns nicht einbilden, dass es alleine unsere Fähigkeiten sind, die uns dies Dinge verschaffen.

Als Zugabe bekommen wir das ewige Leben. Das können wir uns nicht erarbeiten. Sondern bekommen es geschenkt wie ein Kind (ein Kind kann noch nichts leisten und ist darauf angewiesen, versorgt zu werden).

LG
Hajo
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Offline MAS

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Re: Jesus trug kein Kleid
« Antwort #62 am: 03.04.2019 08:25 »
Lieber Hajo,

mir liegt es fern, etwas zu zerreden. Ich möchte nur auf die Mehrdeutigkeit Heiliger Schriften verweisesen. Wenn ich die von Dir unterstrichenen, wenn auch nicht fett markierten, Verse 29 und 30 lese, dann sehe ich darin die Aufforderung einer immens großen Leisutng, nämlich Haus, Schwestern, Brüder usw. zu verlassen um Jesus zu folgen. Ja, da war er ganz radikal. Kaum jemand aber macht das, auch kaum ein Christ. Es gab Jahrhunderte, da machten es recht viele und wurden Mönche oder Nonnen, aber heute sind das nur noch wenige. Du machst es auch nicht. Und Du findest jetzt andere Stellen, in denen Jesus oder auch Paulus sagen, dass man das auch nicht machen müsse. Und dann suchst Du die Dir passenden Stellen heraus, interpretierst sie und lebst nach Deiner Interpretation nach bestem Wissen und Gewissen. Das sei Dir unbenommen. So soll das auch sein. Du solltest nur auch wissen, dass Du es tust. Täten Gläubige es nicht, gäbe es längst keine Religionen mehr.

Es ist dasselbe im Buddhismus. Auch da gibt es ganz verschiedene Interpretationen und davon abgeleitete Lebensweisen, die sich alle irgendwie auf den Buddha und seine Lehre berufen und es begründen, warum sie ihn richtig verstehen. Und in anderen Religionen entsprechend auch. Das ist ganz normal, so funktioniert das.

Was mich als gläubigen, spirituellen Menschen nun interessiert: Gibt es eine gemeinsame Wahrheit, die sich in den unterschiedlichen Religionen verschieden ausdrückt? Wenn nicht: Ist nur eine wahr und die anderen falsch? Oder: Basieren alle auf irrigen Vorstellungen?
Die zweite und dritte Frage beantworte ich für mich mit Nein. Also bleibt die erste und der Wunsch, diese Gemeinsamkeit zu finden.

Was ich bisher gefunden habe: Heilsam ist die Überwindung des Egoismus und das Erlangen eines Vertrauens, das einem auch angesichts unserer Sterblichkeit und unserer Leidenschaften ein Gefühl der Geborgenheit in einem größeren Sinnzusammenhang gibt.
Da kommt aber die Frage: Muss man daran arbeiten oder wird einem das geschenkt? Oder beides: Zuerst bindet man das Kamel an und dann wird es einem geschenkt, dass es nicht wegläuft?

LG, Micha
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Offline high4all

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Re: Jesus trug kein Kleid
« Antwort #63 am: 03.04.2019 09:28 »
Da kommt aber die Frage: Muss man daran arbeiten oder wird einem das geschenkt? Oder beides: Zuerst bindet man das Kamel an und dann wird es einem geschenkt, dass es nicht wegläuft?

LG, Micha
Hi Michael,

es gibt den Satz: Bete, als wenn arbeiten nichts nützt und arbeite, als wenn beten nichts nützt. Beides sind zwei Seiten einer Medaille.

Zu dem Kamel: Gott schenkt uns das Kamel und das Seil zum Anbinden und die Fähigkeit, darauf aufzupassen. Und dann sorgt er dafür unter Umständem dafür, dass es nicht wegläuft.
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Offline JJSW

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Re: Jesus trug kein Kleid
« Antwort #64 am: 03.04.2019 10:54 »
Da kommt aber die Frage: Muss man daran arbeiten oder wird einem das geschenkt? Oder beides: Zuerst bindet man das Kamel an und dann wird es einem geschenkt, dass es nicht wegläuft?

LG, Micha
Hi Michael,

es gibt den Satz: Bete, als wenn arbeiten nichts nützt und arbeite, als wenn beten nichts nützt. Beides sind zwei Seiten einer Medaille.

Zu dem Kamel: Gott schenkt uns das Kamel und das Seil zum Anbinden und die Fähigkeit, darauf aufzupassen. Und dann sorgt er dafür unter Umständem dafür, dass es nicht wegläuft.

Dazu fällt mir noch das hier ein:

 Die Hochwasserkatastrophe hat einen Mann auf das Dach seines Hauses getrieben. Doch auch dort ist er nicht sicher - das Wasser steigt bedrohlich an. Retter in einem Boot kommen vorbei und wollen ihn mitnehmen. "Nein danke", antwortet er, "Gott wird mich retten." Es wird Nacht, das Wasser steigt weiter, der Mann klettert auf den Schornstein. Wieder kommt ein Boot vorbei, und die Helfer rufen: "Steig ein!" "Nein, danke, Gott wird mich retten." ist die Antwort. Schließlich kommt ein Hubschrauber. Die Besatzung sieht ihn im Scheinwerferlicht, das Wasser reicht ihm bis zum Kinn. "Nehmen Sie die Strickleiter", ruft einer der Männer. "Nein, danke, Gott wird mich retten." sind die letzten Worte des Mannes, denn kurze Zeit später ertrinkt er. Im Himmel beschwert er sich bei Gott: "Mein Leben lang habe ich treu an Dich geglaubt. Warum hast Du mich nicht gerettet?" Gott sieht ihn erstaunt an: "Ich habe dir zwei Boote und einen Hubschrauber geschickt. Worauf hast du gewartet?"

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Grüßle
Jürgen

Laßt Euch nicht von Zweifeln plagen
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Offline high4all

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Re: Jesus trug kein Kleid
« Antwort #65 am: 03.04.2019 11:39 »
Eine Geschichte zum Schmunzeln mit einem ernsten Hintergrund.
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Offline Skirtedman

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Re: Jesus trug kein Kleid
« Antwort #66 am: 03.04.2019 12:35 »
Du verwechselst den von einer Gruppe allgemeinhin akzeptierten moralischen Rahmen mit dem Rahmen, in dem sich einzelne Individuen bewegen. Das eine ist die Moral, oder lass es Normen heissen, das andere ist die Verletzung dieser Moral und Normen und die freie Interpretation davon.
Dann handeln wir in den Augen vieler Menschen unmoralisch, weil wir die falsche Kleidung tragen. und dadurch den Rahmen verlassen haben.

Ja. In den Augen einiger Menschen handeln wir unmoralisch.

Würden die meisten Menschen an vielen Stellen diesen moralischen Rahmen verlassen, dann wäre dieser Rahmen nich mehr von dieser Gruppe allgemeinhin akzeptiert, dann bestünde entweder ein anderer allgemeinhin akzeptierter moralischer Rahmen oder die Gruppe würde unmoralisch handeln und könnte aber nicht mehr als eine Gruppe funktionieren, sondern würde auseinanderbrechen.

Warum bricht eine Gruppe auseinander, wenn sie unmoralisch handelt? Wenn sie ihre eigenen Moral entwickelt, an die sich alle Mitglieder halten, funktioniert sie sehr wohl. Bloß ausserhalb der allgemein gehaltenen Moralvorstellungen.

Hajo

Ja, freut mich. Du sagst fast perfekt das, was ich oben geschrieben habe.

Offline Skirtedman

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Re: Jesus trug kein Kleid
« Antwort #67 am: 03.04.2019 13:37 »
Was mich als gläubigen, spirituellen Menschen nun interessiert:
1. Gibt es eine gemeinsame Wahrheit, die sich in den unterschiedlichen Religionen verschieden ausdrückt?
2. Wenn nicht: Ist nur eine wahr und die anderen falsch?
3. Oder: Basieren alle auf irrigen Vorstellungen?

Die zweite und dritte Frage beantworte ich für mich mit Nein. Also bleibt die erste und der Wunsch, diese Gemeinsamkeit zu finden.

In Deiner 3. Frage steckt eine große Wahrheit. Deine Frage beantworte ich mit Nein! Es gibt zwar einige Menschen, die sich auf welcher Grundlage auch immer anmaßen, zu wissen, was irrig und was nicht irrig sei. Ich mag mir das nicht anmaßen.

Aber Deine 3. Frage drückt es aus: Ja, sie alle basieren auf Vorstellungen. Und ich finde, es ist sehr heilsam, dies zu wissen.

Hiermit erübrigt sich Deine 2. Frage.

Frage 1, wie Du richtig erkannt hast, ist die delikateste. Und da bist Du kraft Deiner beruflichen Tätigkeit mit Sicherheit der von uns allen begabteste, dies zu ergründen.

Die Fragestellung nach der "Wahrheit" ist zwar nicht ganz nüchtern. Für mich kann es nicht die wahre Wahrheit geben. Wahrheiten sind immer relativ. Und auch mit individuellen Interessen beladen, bewusst und/oder auch unbewusst.

Wenn Du mit "Wahrheit" vielleicht auch die Suche nach einem großen gemeinsamen Kern meinst, dann ist die Antwort auf die Ja-Nein-Frage (Frage Nr. 1) eindeutig "Ja".

Ich will den Gedanken ein wenig vertiefen: Schauen wir uns an, wozu Religionen fähig sind, wenn wir den Aspekt, dass Religionen sehr oft auch mit Machtausübung und persönlichen, der Religion nicht selten sogar widersprechenden Interessen gespickt werden und somit mißbraucht werden. - Ja, mit Sicherheit gibt es auch Religionen, die einfach nur oder überwiegend aus solchen "niederen" Beweggründen und Absichten gegründet wurden.

Wie gesagt, lassen wir offensichtlichen oder versteckten Mißbrauch von Religionen bei dem folgenden Gedanken einfach mal weg.

Was leisten Religionen? (ohne den Anspruch auf Vollständigkeit.)

Sie setzen einen moralischen Rahmen, innerhalb dessen die Menschen untereinander sich gegenseitig ein gewisses Grundvertrauen aufbringen können, denn man weiß, dass alle sich überwiegend an diesen Rahmen halten. Mit diesem Grundvertrauen ist es möglich, seine Fähigkeiten, seine Güter, seine Zeit für Dinge aufzuwenden, die ohne diesen Rahmen für das allgemeine Mißtrauen aufgewendet werden würden. Es ermöglicht also nicht nur eine gewisse Basis friedlichen Zusammenlebens, sondern es ermöglicht auch, Dinge zu schaffen, die anderen Menschen nützen, diese Dinge miteinander auszutauschen, Dinge zu entwickeln, Ideen freizusetzen - und auch sich mit spirituellen Dingen zu beschäftigen (also auch ein kleiner ;) Selbstzweck).
Dieser moralische Rahmen befähigt eine Gruppe/Gesellschaft, sich weiterzuentwickeln. Ohne diesen geschützten Rahmen wäre z.B. auch Kunst überhaupt nicht denkbar. Kunst in unserem heutigen Sinne ist ein Luxus, den weder primär noch sekundär eine Gesellschaft braucht, und das Individuum noch viel weniger, um zu überleben.

Religion definiert auch die drängende Grundfrage seiner eigenen, zeitlich begrenzten Existenz. Jeder Mensch muss damit lernen umzugehen. Viele verdrängen diese Gedanken, bis sie merken, dass sie nicht ewig 28 bleiben. Oder wenn die eigenen Eltern oder andere liebe Menschen uns für immer verlassen. Diese Grundangst, vertraute Menschen für immer zu verlieren, und irgendwann selber dazugehören, nicht mehr da zu sein, definieren Religionen. Und vermutlich sind es nicht nur wir Menschen, die erkennen, dass ihre eigene Lebenszeit endlich ist.
Und hierfür helfen Bilder, die es erleichtern, mit dieser latenten Grundangst umzugehen. Diese liefern die Religionen. Vermutlich waren es genau diese Bilder, die den Anfang von Spiritualität und Religion setzten.
Es sind Bilder. Die einen hoffen auf ein "Leben nach dem Tod", andere erhoffen sich unendlich viel Spaß im Beisammensein mit einer endlichen Zahl von Jungfrauen, andere hoffen, dass sie einfach irgendwann wieder kommen. Alles Bilder, die helfen, mit der eigenen Endlichkeit besser klarzukommen.

Da ich auf die Frage "Was leisten Religionen?" nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebe, belasse ich es bei diesen zwei Aspekten: moralischer Rahmen und die Hoffnung auf ein Weitergehen nach dem Tod.

Und das sind die Gemeinsamkeiten, die (zumindest) die (meisten) Religionen beinhalten. Vielleicht kannst Du, MAS, die als die "gemeinsame Wahrheit" bezeichnen, oder wenigstens als einen kleinen Wegweiser auf dem Weg zur "gemeinsamen Wahrheit" ansehen.

Und in diesen Religionen drücken sich diese beiden Aspekte in der Tat auch unterschiedlich aus. Darum ist die Antwort auf Deine 1. Frage: Ja.

Noch ein weiterer kleiner Gedanke. Du schriebst gestern oder heute irgendwo von Schlüsselpersonen, die ihre eigene Erfahrungswelten in "Gesetze", "Gebote" oder dergleichen ausgedrückt haben. Ja, das erklärt, weshalb es zum Teil so verschiedene Ansätze in Religionen gibt. Sie haben viel, längst nicht nur, aber viel mit den Zeiten und Regionen zu tun, in denen sie entstanden sind. Auslegungen von anderen Personen zu anderen Zeiten in anderen Regionen bringen die Notwendigkeit mit sich, dass sie anderes aufgefasst werden, als sie mal gemeint waren. Und die Gefahr, mißbraucht zu werden. Aber den Mißbrauchsaspekt hatte ich ja zur Annäherung an Deine 3 Fragen von oben ausgeklammert.

Jedenfalls agieren Religionen mit Bilder. Mit Vorstellungen. Die halt unterschiedlich sind. Aber alle genauso "wahr" wie "irrig" sind. Die aber auch helfen können. Die uns allen genutzt haben. Sonst würden wir noch in Höhlen wohnen. Und hätten noch nicht einmal die Chance, Hosen hassen zu können, weil unsere Frauen ja gar keine Zeit hätten, Hosen zu nähen.

Was ich bisher gefunden habe: Heilsam ist die Überwindung des Egoismus und das Erlangen eines Vertrauens, das einem auch angesichts unserer Sterblichkeit und unserer Leidenschaften ein Gefühl der Geborgenheit in einem größeren Sinnzusammenhang gibt.
Da kommt aber die Frage: Muss man daran arbeiten oder wird einem das geschenkt? Oder beides: Zuerst bindet man das Kamel an und dann wird es einem geschenkt, dass es nicht wegläuft?

LG, Micha

Beides. Aber eigentlich wird es uns geschenkt, den meisten von uns jedenfalls. Manche haben da eher Pech gehabt. Ist wie mit allem, man kann es sich nicht aussuchen.
Aber eigentlich wird es uns geschenkt, wir müssen aber dran arbeiten, es nicht wegzuwerfen.

Ich will es nicht weiter begründen, ausser mit einem Bild, das auch irgendwie zu den obigen 3 Fragen passt.

Wenn wir Auto fahren, vertrauen wir auch darauf, dass andere sich überwiegend an die Verkehrsregeln halten - und wenn nicht, dann jedenfalls so verantwortungsvoll mit der Fortbewegung und den dafür geschaffenen Mitteln (z.B. Autos) umzugehen, dass mir, aber auch dem anderen nicht passiert, was materiellen oder gesundheitlichen Schaden zufügt.

Wir müssen darauf vertrauen, dass wir auf einer Vorfahrtsstrasse mit Vorfahrt fahren können, ohne uns bei jeder Einmündung oder Kreuzung damit beschäftigen zu müssen, dass jemand uns diese Vorfahrt nehmen könnte. Dies ist ein gegenseitigens Grundvertrauen. Ohne dieses wäre Autoverkehr nur sehr eingeschränkt möglich.

So ist es mit allen anderen Dingen im Miteinander mit anderen Menschen auch. Fehlt uns dieses allgemeine Grundvertrauen, müssten wir Eremit werden. Oder in ein Kloster eintreten. Oder wir werden irgendwann woanderes eingeliefert.

Lieber MAS, ein allerletztes: Das mit dem Kamel. Oder mit dem Autoverkehr. Hättest Du ein Auto, so würdest Du, wenn Du es verlässt, auch abschließen. Zum allgemeinen Grundvertrauen gesellt sich immer auch ein gewisses Grundmißtrauen.

Offline MAS

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Re: Jesus trug kein Kleid
« Antwort #68 am: 04.04.2019 19:54 »
Da kommt aber die Frage: Muss man daran arbeiten oder wird einem das geschenkt? Oder beides: Zuerst bindet man das Kamel an und dann wird es einem geschenkt, dass es nicht wegläuft?

LG, Micha
Hi Michael,

es gibt den Satz: Bete, als wenn arbeiten nichts nützt und arbeite, als wenn beten nichts nützt. Beides sind zwei Seiten einer Medaille.

Zu dem Kamel: Gott schenkt uns das Kamel und das Seil zum Anbinden und die Fähigkeit, darauf aufzupassen. Und dann sorgt er dafür unter Umständem dafür, dass es nicht wegläuft.

Lieber Hajo,

ich sehe, dass wir da anscheinend letztlich doch einer Meinung sind. Fast wörtlich interpretierst Du das Kamelgleichnis so wie ich weiter vorne in einer Antwort an Harry.

Den von Dir zitierten Satz über das Beten und Arbeiten kenne ich auch. Der erinnert auch an das benediktinische "bete und arbeite" ("ora et labora").
Indes bedeutet das, dass schon verlangt wird, dass wir auch was tun und nicht alles Gott überlassen. Selbst das Beten ist ja Arbeit, wenn man es intensiv und regelmäßig tut.

Wo ich die Gnadengerechtigkeit aber sehe: Wir dürfen nicht erwarten, dass alles, worum wir beten, von unserm Gebet abhängt. Stell Dir vor, Du betest für die Heilung eines Kranken und der stirbt. Dann darfst Du Dir nicht Vorwürfe machen, nicht genug oder nicht richtig gebetet zu haben. Ich sehe im Beten eher eine Schulung der eigenen Haltung. Ich bete für etwas, was mir wichtig ist, und bringe mir diese Wichtigkeit dadurch immer wieder zu Bewusstsein. Dadurch beeinflusse ich meine Haltung. Und evtl. sorge ich dadurch dafür, auch etwas dafür zu tun, dass eintritt, wofür ich bete. Z.B. indem ich mich um den Kranken kümmere, für dessen Heilung ich bete. Aber selbst wenn diese Aktion nicht erfolgen sollte, hat es bestimmt einen positiven Effekt, an andere zu denken und ihnen Gutes zu wünschen. Eine Garantie, dass es eintritt, gibt es aber nicht.

Und so ist es auch mit dem ewigen oder ganzheitlichen Heil. Letztlich ist bei aller Arbeit und allem Gebet und aller Weierentwicklung der eigenen Haltung und des eigenen Geistes immer noch Vetrauen oder Glaube notwendig. Ohne das, brauchen wir erst gar nicht anzufangen, irgendetwas zu tun.

LG, Micha
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Re: Jesus trug kein Kleid
« Antwort #69 am: 04.04.2019 19:56 »
Da kommt aber die Frage: Muss man daran arbeiten oder wird einem das geschenkt? Oder beides: Zuerst bindet man das Kamel an und dann wird es einem geschenkt, dass es nicht wegläuft?

LG, Micha
Hi Michael,

es gibt den Satz: Bete, als wenn arbeiten nichts nützt und arbeite, als wenn beten nichts nützt. Beides sind zwei Seiten einer Medaille.

Zu dem Kamel: Gott schenkt uns das Kamel und das Seil zum Anbinden und die Fähigkeit, darauf aufzupassen. Und dann sorgt er dafür unter Umständem dafür, dass es nicht wegläuft.

Dazu fällt mir noch das hier ein:

 Die Hochwasserkatastrophe hat einen Mann auf das Dach seines Hauses getrieben. Doch auch dort ist er nicht sicher - das Wasser steigt bedrohlich an. Retter in einem Boot kommen vorbei und wollen ihn mitnehmen. "Nein danke", antwortet er, "Gott wird mich retten." Es wird Nacht, das Wasser steigt weiter, der Mann klettert auf den Schornstein. Wieder kommt ein Boot vorbei, und die Helfer rufen: "Steig ein!" "Nein, danke, Gott wird mich retten." ist die Antwort. Schließlich kommt ein Hubschrauber. Die Besatzung sieht ihn im Scheinwerferlicht, das Wasser reicht ihm bis zum Kinn. "Nehmen Sie die Strickleiter", ruft einer der Männer. "Nein, danke, Gott wird mich retten." sind die letzten Worte des Mannes, denn kurze Zeit später ertrinkt er. Im Himmel beschwert er sich bei Gott: "Mein Leben lang habe ich treu an Dich geglaubt. Warum hast Du mich nicht gerettet?" Gott sieht ihn erstaunt an: "Ich habe dir zwei Boote und einen Hubschrauber geschickt. Worauf hast du gewartet?"

http://www.bellersheim-evangelisch.de/gw060401.html

Grüßle
Jürgen



Ja, klar, lieber Jürgen, diese Geschichte kenne ich auch. Und sie zeigt, dass Gott oder wie immer man diese absolute Größe nennen wollen, nicht einfach so aus ihrer Transzendenz heraus wirkt, sondern oft durch die immantenten Dinge oder Personen. Pantheisten trennen beide Ebenen eh nicht mehr.

LG, Micha
 
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Re: Jesus trug kein Kleid
« Antwort #70 am: 04.04.2019 20:14 »
Was mich als gläubigen, spirituellen Menschen nun interessiert:
1. Gibt es eine gemeinsame Wahrheit, die sich in den unterschiedlichen Religionen verschieden ausdrückt?
2. Wenn nicht: Ist nur eine wahr und die anderen falsch?
3. Oder: Basieren alle auf irrigen Vorstellungen?

Die zweite und dritte Frage beantworte ich für mich mit Nein. Also bleibt die erste und der Wunsch, diese Gemeinsamkeit zu finden.

In Deiner 3. Frage steckt eine große Wahrheit. Deine Frage beantworte ich mit Nein! Es gibt zwar einige Menschen, die sich auf welcher Grundlage auch immer anmaßen, zu wissen, was irrig und was nicht irrig sei. Ich mag mir das nicht anmaßen.

Aber Deine 3. Frage drückt es aus: Ja, sie alle basieren auf Vorstellungen. Und ich finde, es ist sehr heilsam, dies zu wissen.

Hiermit erübrigt sich Deine 2. Frage.

Frage 1, wie Du richtig erkannt hast, ist die delikateste. Und da bist Du kraft Deiner beruflichen Tätigkeit mit Sicherheit der von uns allen begabteste, dies zu ergründen.

Die Fragestellung nach der "Wahrheit" ist zwar nicht ganz nüchtern. Für mich kann es nicht die wahre Wahrheit geben. Wahrheiten sind immer relativ. Und auch mit individuellen Interessen beladen, bewusst und/oder auch unbewusst.

Wenn Du mit "Wahrheit" vielleicht auch die Suche nach einem großen gemeinsamen Kern meinst, dann ist die Antwort auf die Ja-Nein-Frage (Frage Nr. 1) eindeutig "Ja".

Ich will den Gedanken ein wenig vertiefen: Schauen wir uns an, wozu Religionen fähig sind, wenn wir den Aspekt, dass Religionen sehr oft auch mit Machtausübung und persönlichen, der Religion nicht selten sogar widersprechenden Interessen gespickt werden und somit mißbraucht werden. - Ja, mit Sicherheit gibt es auch Religionen, die einfach nur oder überwiegend aus solchen "niederen" Beweggründen und Absichten gegründet wurden.

Wie gesagt, lassen wir offensichtlichen oder versteckten Mißbrauch von Religionen bei dem folgenden Gedanken einfach mal weg.

Was leisten Religionen? (ohne den Anspruch auf Vollständigkeit.)

Sie setzen einen moralischen Rahmen, innerhalb dessen die Menschen untereinander sich gegenseitig ein gewisses Grundvertrauen aufbringen können, denn man weiß, dass alle sich überwiegend an diesen Rahmen halten. Mit diesem Grundvertrauen ist es möglich, seine Fähigkeiten, seine Güter, seine Zeit für Dinge aufzuwenden, die ohne diesen Rahmen für das allgemeine Mißtrauen aufgewendet werden würden. Es ermöglicht also nicht nur eine gewisse Basis friedlichen Zusammenlebens, sondern es ermöglicht auch, Dinge zu schaffen, die anderen Menschen nützen, diese Dinge miteinander auszutauschen, Dinge zu entwickeln, Ideen freizusetzen - und auch sich mit spirituellen Dingen zu beschäftigen (also auch ein kleiner ;) Selbstzweck).
Dieser moralische Rahmen befähigt eine Gruppe/Gesellschaft, sich weiterzuentwickeln. Ohne diesen geschützten Rahmen wäre z.B. auch Kunst überhaupt nicht denkbar. Kunst in unserem heutigen Sinne ist ein Luxus, den weder primär noch sekundär eine Gesellschaft braucht, und das Individuum noch viel weniger, um zu überleben.

Religion definiert auch die drängende Grundfrage seiner eigenen, zeitlich begrenzten Existenz. Jeder Mensch muss damit lernen umzugehen. Viele verdrängen diese Gedanken, bis sie merken, dass sie nicht ewig 28 bleiben. Oder wenn die eigenen Eltern oder andere liebe Menschen uns für immer verlassen. Diese Grundangst, vertraute Menschen für immer zu verlieren, und irgendwann selber dazugehören, nicht mehr da zu sein, definieren Religionen. Und vermutlich sind es nicht nur wir Menschen, die erkennen, dass ihre eigene Lebenszeit endlich ist.
Und hierfür helfen Bilder, die es erleichtern, mit dieser latenten Grundangst umzugehen. Diese liefern die Religionen. Vermutlich waren es genau diese Bilder, die den Anfang von Spiritualität und Religion setzten.
Es sind Bilder. Die einen hoffen auf ein "Leben nach dem Tod", andere erhoffen sich unendlich viel Spaß im Beisammensein mit einer endlichen Zahl von Jungfrauen, andere hoffen, dass sie einfach irgendwann wieder kommen. Alles Bilder, die helfen, mit der eigenen Endlichkeit besser klarzukommen.

Da ich auf die Frage "Was leisten Religionen?" nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebe, belasse ich es bei diesen zwei Aspekten: moralischer Rahmen und die Hoffnung auf ein Weitergehen nach dem Tod.

Und das sind die Gemeinsamkeiten, die (zumindest) die (meisten) Religionen beinhalten. Vielleicht kannst Du, MAS, die als die "gemeinsame Wahrheit" bezeichnen, oder wenigstens als einen kleinen Wegweiser auf dem Weg zur "gemeinsamen Wahrheit" ansehen.

Und in diesen Religionen drücken sich diese beiden Aspekte in der Tat auch unterschiedlich aus. Darum ist die Antwort auf Deine 1. Frage: Ja.

Noch ein weiterer kleiner Gedanke. Du schriebst gestern oder heute irgendwo von Schlüsselpersonen, die ihre eigene Erfahrungswelten in "Gesetze", "Gebote" oder dergleichen ausgedrückt haben. Ja, das erklärt, weshalb es zum Teil so verschiedene Ansätze in Religionen gibt. Sie haben viel, längst nicht nur, aber viel mit den Zeiten und Regionen zu tun, in denen sie entstanden sind. Auslegungen von anderen Personen zu anderen Zeiten in anderen Regionen bringen die Notwendigkeit mit sich, dass sie anderes aufgefasst werden, als sie mal gemeint waren. Und die Gefahr, mißbraucht zu werden. Aber den Mißbrauchsaspekt hatte ich ja zur Annäherung an Deine 3 Fragen von oben ausgeklammert.

Jedenfalls agieren Religionen mit Bilder. Mit Vorstellungen. Die halt unterschiedlich sind. Aber alle genauso "wahr" wie "irrig" sind. Die aber auch helfen können. Die uns allen genutzt haben. Sonst würden wir noch in Höhlen wohnen. Und hätten noch nicht einmal die Chance, Hosen hassen zu können, weil unsere Frauen ja gar keine Zeit hätten, Hosen zu nähen.

Was ich bisher gefunden habe: Heilsam ist die Überwindung des Egoismus und das Erlangen eines Vertrauens, das einem auch angesichts unserer Sterblichkeit und unserer Leidenschaften ein Gefühl der Geborgenheit in einem größeren Sinnzusammenhang gibt.
Da kommt aber die Frage: Muss man daran arbeiten oder wird einem das geschenkt? Oder beides: Zuerst bindet man das Kamel an und dann wird es einem geschenkt, dass es nicht wegläuft?

LG, Micha

Beides. Aber eigentlich wird es uns geschenkt, den meisten von uns jedenfalls. Manche haben da eher Pech gehabt. Ist wie mit allem, man kann es sich nicht aussuchen.
Aber eigentlich wird es uns geschenkt, wir müssen aber dran arbeiten, es nicht wegzuwerfen.

Ich will es nicht weiter begründen, ausser mit einem Bild, das auch irgendwie zu den obigen 3 Fragen passt.

Wenn wir Auto fahren, vertrauen wir auch darauf, dass andere sich überwiegend an die Verkehrsregeln halten - und wenn nicht, dann jedenfalls so verantwortungsvoll mit der Fortbewegung und den dafür geschaffenen Mitteln (z.B. Autos) umzugehen, dass mir, aber auch dem anderen nicht passiert, was materiellen oder gesundheitlichen Schaden zufügt.

Wir müssen darauf vertrauen, dass wir auf einer Vorfahrtsstrasse mit Vorfahrt fahren können, ohne uns bei jeder Einmündung oder Kreuzung damit beschäftigen zu müssen, dass jemand uns diese Vorfahrt nehmen könnte. Dies ist ein gegenseitigens Grundvertrauen. Ohne dieses wäre Autoverkehr nur sehr eingeschränkt möglich.

So ist es mit allen anderen Dingen im Miteinander mit anderen Menschen auch. Fehlt uns dieses allgemeine Grundvertrauen, müssten wir Eremit werden. Oder in ein Kloster eintreten. Oder wir werden irgendwann woanderes eingeliefert.

Lieber MAS, ein allerletztes: Das mit dem Kamel. Oder mit dem Autoverkehr. Hättest Du ein Auto, so würdest Du, wenn Du es verlässt, auch abschließen. Zum allgemeinen Grundvertrauen gesellt sich immer auch ein gewisses Grundmißtrauen.

Welch ein langer Text, lieber Wolfgang.

Ich kann jetzt nicht auf alles eingehen, aber ich wünschte mir, religionswissenschaftliches Wissen wäre allgemein so in den Köpfen der Menschen, eben auch der, die Fachleute auf anderen Gebieten sind, wie in Deinem Kopf.

Danke für Deine Kompetenzzuschreibung. Die muss ich nur insofern relativieren, als wir Religionswissenschafler*innen keine Anworten auf transzendente oder metaphysische Wahrheitsfragen geben können. Das überlassen wir den Theolog*innen und einigen Philosop*innen. Natürlich kann man beides oder alles drei in Personalunion sein.

Aber Du gehst sowieso mehr auf die diesseitge, immenante Wahrheitsbene ein. Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Umgang miteinander (Ethik, Moral) als Funktionen von Religion. Ganz klar! Man muss für beides nicht religiös sein, aber es kann die Sache erleichtern.
Ich sage immer, Religion habe die Aufgabe, die Welt zu erklären und Sinn zu stiften oder zu erkennen. Welterklärung ist heutzutage aber immer mehr Aufgabe der Wissenschaften, die sich großenteils von Religion emanzipiert haben. Sinnstiftung oder überhaupt Sinnfragen sind aber immer noch keine Aufgaben der Wissenschafen oder vielmehr nicht mehr.

Und doch bleibt noch eine transzendente, jenseitige Funktion von Religion, die wir aber wissenschaftlich nicht erreichen können. Die kann man nur aus dem Glauben heraus oder aus der Spiritualität heraus beantworten. Und meine Antwort lautet: Egoismusüberwindung und dadurch Befreiung, Erlösung, Heil. Das kann man auch schon immanent-psychologisch beobachten: Wer sich keine Sorgen um seine eogistischen Interessen macht, ist freier.

Vorstellungen: Ja, klar. Alles was die denken, sind Vorstellungen. Aber - radikal konstruktivistisch gesehen - auch alles was wir empirisch wahrnehmen. Mein Geist sieht jetzt nicht den Computer auf meinem Schoß, sondern das Bild von diesem Computer, das er - der Geist - selbst entwirft, konstruiert. Wir haben einen Zugang zur Realität nur über unsere Konstrukte von ihr.

Und die Bilder sind keineswegs alle gleich wahr. Wir können uns täuschen, Illusionen unterliegen, nicht nur optischen, sondern auch geistigen. Auch religiöse Wahrheitsbehauptungen sind nicht alles gleich wahr, nur weil sie alle Bilder sind. Letztlich erweist sich ein Konstrukt als unwahr, wenn wir uns damit nicht mehr erfolgreich orientieren können. Wenn wir eine Gigtschlange für ein Seil halten und nach ihr greifen, kann das tödlich sein. Und so können sich auch religiöse Vorstellungen als falsch erweisen, wenn wir in Situationen kommen, in denen es sich zeigt, ob sie stimmen oder nicht. Darüber streiten sich die religiösen Menschen ja dann auch oft, wer die richtigen Vorstellungen hat, die z.B. angesichts des Todes helfen und welche nicht. Wissenschaftlich lässt sich nichts darüber sagen, welche religiösen Vorstellungen über den Tod hinaus wahr sind. Das hast Du auch schon mal in einem anderen Thread geschrieben.

So, jetzt will ich "mare tv" sehen: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/mare_tv/index.html

LG, Micha

 
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Stupolew

  • Gast
Re: Jesus trug kein Kleid
« Antwort #71 am: 13.05.2019 10:43 »
Aber so ein luftiger Lendenschurz wäre schon was für den heißen Sommer.


 

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