Autor Thema: Grundsätze  (Gelesen 33789 mal)

Offline Skirtedman

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Re: Grundsätze
« Antwort #135 am: 25.11.2019 14:10 »
Wenn du nun jetzt dieses Mitbringsel anschaust, sieht du dann jetzt wo du gerade bist dieses Mitbringsel selber, oder die Erinnerung an den schönen Urlaub? Dass das Mitbringsel jetzt mit dir im selben Raum ist verstehe ich schon, aber wie machst du das mit der Erinnerung? Klar, läuft die Erinnerung jetzt wo ich mich gerade befinde in mir als Film ab, aber die Gedanken sind bei mir an dem Ort zu jener Zeit wo das Ereignis stattfand, also in einem anderen Ort zu einer anderen Zeit. Ist das bei dir nicht so? Sorry, lieber Wolfgang, ich verstehe es nicht.

Nein, Du bist nicht zu blöd dazu!

Das, was Michael und ich meinen, ist das, was auch Du meinst. Wir haben es schon längst so ein bischen geahnt, jetzt wird es immer deutlicher.

Du betrachtest den Vorgang des Erinnerns nur - sagen wir - aus einem anderen Blickwinkel. Du benutzt andere Beschreibungen, um den selben Vorgang zu beschreiben.

Mit Spitzfindigkeiten können wir vielleicht in Worte fassen, wie sich unsere Beschreibungen von Deinen Beschreibungen unterscheiden.

Das von Dir beschriebene Mitbringsel, das in meinem gegenwärtigen Hier und Jetzt mir im Regal gegenüber steht und ich anschaue, aktiviert in mir ein Bündel Erinnerungen. Je nachdem, wie ich gerade gestimmt bin, kann ich der einen oder anderen Erinnerung nachhängen, wenn ich es zulasse. Habe ich gerade genügend Zeit, dann kann ich in meinen Erinnerungen auch den kompletten Film, den Du erwähnt hast, aktivieren. Wenn ich es zulasse, kann ich auch tief hineintauchen in diesen Film, dann richte ich meine Aufmerksamkeit auf viele Dinge, wie se in mir noch damit in Erinnerung sind - ich kann vielleicht mit dem ganzen Körper dort mit eintauchen. Dabei verlässt meine Aufmerksamkeit zunehmend jene Tatsachen, dass ich gerade gemütlich auf dem Sofa sitze, dass die Uhr neben dem Regal mit diesem Mitbringsel unaufhörlich weiterläuft, dass eine Tasse Tee auf dem Sofatisch vor mir allmählich abkühlt etc. Viele Teile meiner Aufmerksamkeit richten sich auf die Erinnerungen aus jenem Damals, auf diesen "Film" von damals. Doch an dieses Damals erinnert mich nicht nur das Mitbringesel, sondern ein ganzes Bündel von möglichen anderen Erinnerungen, die ich damals zum Entstehen des Film, in den ich hineingetaucht bin, noch nicht existierten, da in der Zwischenzeit andere Bezüge drumherum dazu gekommen sind.

Einer dieser Bezüge könnte zum Beispiel sein, dass der Urlaub schön war, dass Urlaube generell eher schön sind, und wie sehr ich jetzt schon wieder einen Urlaub gebrauchen könnte. Ich könnte mich daran erinnern, dass dieser schöne Urlaub schon exakt 17 Jahre her ist, das war noch mit meiner Freundin Maria, mit der ich mich aber zwei Jahre später unendlich verkracht habe, so dass ich in eine andere Stadt gezogen bin.

All dieser Fundus von diesen Begleitbezügen, seien sie schön oder noch schlimm, gibt mir diesem Film, in den ich stark hineintauchen kann oder könnte, einen anderen Rahmen, als das, was der Film im damaligen Hier und im damaligen Jetzt für mich bedeutete. Und deswegen ist dieser Film nicht mehr derselbe wie er damals vor Ort war, deswegen sind meine Gedanken zwar bei diesem damaligen Ort in dieser damaligen Zeit, aber allenfalls nur, was die Inhalte angeht. Diese Gedanken, die irgendwo irgendwann anhaften, finden jetzt im jezigen Moment statt, auf dem Sofa, bei der erkaltenden Tasse Tee, bei der Uhr neben dem Regal, die unaufhörlich weiterläuft, bei der Fruchtfliege, die sich dummerweise gerade auf meinen Nasenflügel setzt und mit ihrem Kitzeln mich erschrecken lässt, mich ärgert und einen großen Teil meiner Aufmerksamkeit aus dem soeben in mir ablaufenden Erinnerungsfilm herausreißt und mich in meinem Ärger grad so unschön an den Ärger dann mit Maria erinnert, dass ich überlege, ob ich das Mitbringsel von der Reise nicht doch bald mal auf den Speicher bringen sollte.

Aber abwarten und erstmal Tee trinken! Und dann mal den Abfall zur Mülltonne bringen, nicht dass sich in meiner Küche eine ganze Population von diesen lästigen kleinen Marias bildet...

Offline MAS

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Re: Grundsätze
« Antwort #136 am: 25.11.2019 16:28 »
Köstlich, lieber Wolfgang!

Ja, den Müll muss ich auch gleich mal runter bringen.

LG, auch an Maria
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,
die jetzt mit Puck
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zusammen ist,
Micha
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Online Matthias

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Re: Grundsätze
« Antwort #137 am: 25.11.2019 21:14 »
Bei den Bildern fällt mir ein Witz ein, den ich neulich im Radio gehört habe:

Fliegen zwei Fliegen nebeneinander her.
Fragt die eine die andere:
Warum hast du denn eine Brille auf?
Damit mir keine Fliegen in die Augen fliegen!
 ;D ;D

Grüße Matthias
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Offline DesigualHarry

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Re: Grundsätze
« Antwort #138 am: 25.11.2019 23:57 »
Hallo!

Schöne Geschichte, gut beschrieben lieber Wolfgang :)

Lustig finde ich aber, dass du nach belieben dein "jetzt" dehnst oder stauchst im Verhältnis zu deiner Uhr, die ja Unaufhörlich weitertickt, Sekunde um Sekunde. Immer Gleichlang.

Nehmen wir doch diese Uhr als Taktgeber für das jetzt. Der Zeitraum "jetzt" ist genau eine Sekunde lang. Das bedeutet dann du hast etwas weniger Zeit als diese eine Sekunde einen Gedanken nachzuhängen, denn zur nächsten vollen Sekunde musst du ja wieder konzentriert in der Jetztzeit deines Taktgebers sein. Hängst du auch nur einen Gedanken länger als diese eine Sekunde nach bist schon gedanklich in einem langsameren Zeitstrahl als der deines Taktgebers. Du dehnst gedanklich die Zeit soweit dass du die Gedanken unterbringen kannst. Dabei verlierst du die Konzentration auf die Jetztzeit deiner Uhr, und findest dich wieder in einem ganz neuen Zeitabstand von deinem ursprünglichen jetzt. Hast du nun diese Gedanken abgeschlossen, oder wirst du z.b. von dieser Fruchtfliege gestört, stauchst du nun die Gedankliche Zeit, dass du wieder in das Ticken deiner Uhr kommst...


Offline MAS

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Re: Grundsätze
« Antwort #139 am: 26.11.2019 00:05 »
Ja, lieber Harry, das subjektive Zeitempfinden ist anders als die objektiv messbare Zeit. Es Kurzeweile und Langeweile, bedeutende Zeiten sind in der Erinnerung länger als weniger bedeutsame usw. usf.

LG, Micha
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Offline Skirtedman

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Re: Grundsätze
« Antwort #140 am: 26.11.2019 03:51 »
Lustig finde ich aber, dass du nach belieben dein "jetzt" dehnst oder stauchst im Verhältnis zu deiner Uhr, die ja Unaufhörlich weitertickt, Sekunde um Sekunde. Immer Gleichlang.

Das finde ich auch lustig. Weil es mir weder aufgefallen ist, noch, dass es für mich nachvollziehbar ist, obwohl Du es ausführlich erklärt hast.

Irgendwer kam auf die geniale Idee, einen "Zeitmesser" zu bauen. Und als Nachweis, dass Zeit vergangen ist, diese in Tage, Stunden, Minuten und in die kleinste Einheit, in regelmäßige Sekunden einzuteilen. Nach diesem Prinzip funktionieren die allermeisten Zeitmesser, Uhren genannt.

Ich bin mir aber keineswegs sicher, dass aufgrund dieser irgendwann getroffenen Übereinkunft, mein Denken ebenso in Sekundentakt eingeteilt werden muss, und wieso ich nicht länger als eine Sekunde irgendeinem Gedanken nachhängen können sollte.

Ausserdem weiss ich ebenso nicht, ob ich "nach Belieben" die gefühlte Dauer einer Zeiteinheit beeinflussen kann. Im Gegenteil - denke ich -, denn meistens ist eine bestimmte Zeitspanne sehr viel schneller vorbei als es meinem Belieben entspricht.

Mein nun hier fast bis zum Exzess angebrachtes "Hier und Jetzt" ist alles andere als ein streng in immergleiche Zeiteinheiten zerhacktes Gebilde. Ich habe in Erinnerung ( ;) !), dass irgendwelche Forscher dem aktuell erlebten Augenblick eine Zeitspanne von 300 Millisekunden zuschrieben. Andere bemühen das Bild eines "Kurzzeitgedächtnisses", dem sie auch eine recht kurze Zeitspanne von mehreren Sekunden, bis so etwa 20 Sekunden zubilligen.

Ich mag dieses Bild vom Kurzzeitgedächtnis. Macht es doch deutlich im Gegensatz zum Langzeitgedächtnis, dass eine ganze Reihe von Sinneseindrücken und Sinnesprodukten in sehr kurzer Zeit schon wieder abhanden kommen und nur ein kleiner Teil Gedächtnisspuren für eine deutlich längere Zeit hinterlässt, wenn nicht manche dann eben sogar lebenslang.

Mein Kurzzeitgedächtnis ist in meinem Erleben aber nichts, was zeitlich getaktet eng begrenzt ist, sondern aus einer ganzen Reihe von Inhalten besteht, die je nach Anforderung, die ich teilweise bewusst steuern kann, mal länger, mal kürzer vorhanden sind, bis sie eben nicht mehr gebraucht werden. Für mich ist mein Kurzzeitgedächtnis sowas wie die Aufmerksamkeit, oder zumindest ganz eng damit verknüpft. Und sowas wie mein Bewusstsein, entweder identisch mit dem Kurzzeitgedächtnis oder aber ebenso ganz eng damit verknüpft. Aufmerksamkeit und Bewusstsein sind ebenso ganz eng miteinander verknüpft, wenn nicht sogar vielleicht sogar exakt identisch. Vielleicht sind alle drei Merkmale (Aufmerksamkeit, Bewusstsein, Kurzzeitgedächtnis) letztlich identisch oder zumindest nahezu identisch. Und letztlich haben diese Dinge etwas mit dem zu tun, was wir beim Computer als Arbeitsspeicher bezeichnen.

Mein "Hier und Jetzt" hat mit meinem Erleben mithilfe Aufmerksamkeit, Bewusstsein und Kurzzeitgedächtnis zutun. Andere Dinge wie Wahrnehmung spielen da natürlich ebenso mit hinein. Auch die Kopplung an Inhalte aus dem Langzeitgedächtnis spielt da deutlich mit. Ein Teil davon steuert jedenfalls das "Bewusstsein" (mein Denken), vieles aber steuert auch das Unterbewusste, ebenso wie Ererbtes, Gelerntes und Trainiertes.

Das Empfinden meines "Hier und Jetzt", meines wachen Geistes, richtet sich mit dem Verarbeiten meines Ist-Zustandes in benennbare (vielleicht auch nicht benennbare) episodale Einheiten. Fliegt eine Fruchtfliege durch mein Gesichtsfeld, so ist dieser Vorbeiflug eine Episode, die andere parallell aufende Episoden vielleicht unbeeinflusst lässt, und deswegen vielleicht auch keine weiteren Spuren in meinem Langzeitgedächtnis hinterlässt. Fliegt ein Vogel durch mein Gesichtsfeld, so hinterlässt dieser vermutlich noch viel weniger Spuren in meinem Langzeitgedächtnis. Und diese Fruchtfliege vielleicht viel eher dann doch Spuren im Gedächtnis, denn in der Regel ist diese Fruchtfliege viel näher an meinem "Hier", und in meinem Wohnzimmer war dann wohl der Vogel irgendwo vor meinem Wohnzimmerfenster, in meinem Wohnzimmer war dann die Fruchtfliege aber irgendwo zwischen meinem Wohnzimmerfenster und mir.

Wenn ich es gewohnt bin, dass Fruchtfliegen in meinem Wohnzimmer umherschwirren, dann beeinflusst diese eine Fruchtfliege mit Sicherheit nicht meine parallel ablaufenden Episoden in meinem "Hier und Jetzt". Ist es aber die zweite im Ablauf meiner letzten Handvoll von Gedanken, und ich bin es nicht gewöhnt, dass dies in meinem Hier derzeit häufiger vorkommt, so weckt diese Begegnung mit der Fruchtfliege meinen Argwohn und meine Aufmerksamkeit wird dann ein Stück weit auf eben diese Fruchtfliege gelenkt.

Diese Begenung kann dann eine ganze Kaskade von Reaktionen meinerseits auslösen, bis hin zum Rauskramen von Insektenspray, dem Wegbringen des Mülls aus der Küche, dem Aufsuchen von angestossenem Obst, das Schließen von Fenstern und vieles mehr. Dann hat so ein dummes Ding von Fruchtfliege einen ganz gehörigen Ablauf von meinem "Hier und Jetzt" in Anspruch genommen.

Wie ausgedehnt mein "Jetzt" ist, hat immer etwas mit diesen Episoden zu tun. Meistens laufen mehrere parallel ab. Und je nach Episode kann eben das Jetzt die Dauer eines Blinzelns sein, oder die Dauer eines Räusperns betragen, eine Zeitspanne von mehreren Minuten umfassen oder sogar auch längere Zeitabschnitte betreffen, je nach dem, auf welche dieser Episoden ich mich nun gerade beziehe.

Mitnichten ist mein Jetzt im Sekundentakt begrenzt. Und mein Hier ist auch nicht auf die Ausdehnung meines Körpervolumens begrenzt. Dazu kann der Vogel vor meinem Wohnzimmerfenster gehören, dazu gehört auf jeden Fall mein Wohnzimmer, in dem ich "jetzt" sitze, dazu gehört die Fruchtfliege in meinem Gesichtsfeld. Sitze ich in einer vollen Straßenbahn, dann ist mein Hier vielleicht nicht so groß wie mein Hier in meinem Wohnzimmer. Mein Hier kann aber auch meine ganze Stadt umfassen, oder die Ebene vor mir und die Front des nächsten Mittelgebirges, auf das ich von einem schönen Platz mit Aussicht schaue.

Das "Hier" ist ebensowenig in starre Einheiten zerteilt wie das "Jetzt".
Damit ist jetzt hier aber mal genug!
Gute Nacht, Maria.

Offline MAS

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Re: Grundsätze
« Antwort #141 am: 26.11.2019 08:04 »
Boah, den langen Text lese ich gleich offline im Zug zu Ende.

Nur dass auf die Schnelle: Meines Wissens ist die Gegenwart, also das Jetzt, für unsere Wahrnehmung 3 Sekunden lang.
Müsste man mal nachlesen.

Muss jetzt aber um Zug.

LG, Micha
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Offline Skirtedman

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Re: Grundsätze
« Antwort #142 am: 26.11.2019 12:57 »
Ich denke, das wird Definitionssache bleiben.

Wenn man bedenkt, dass die Ankunft eines Reizes am eigenen Körper etwa eine Viertelsekunde beträgt bis sie zur Wahrnehmung gelangt und es etwa genauso lang braucht, bis eine Reaktion darauf überhaupt möglich ist.

Wir alle kennen das: Wollen wir spontan in der Öffentlichkeit oder in einer Gruppe mit anderen Menschen unsere Zustimmung oder Ehrerbietung durch spontanes Klatschen zum Ausdruck bringen, so sind wir selber fast immer der erste der klatscht. Schaut man sich dann ein Video von diesem Moment an, so sieht man, dass man womöglich noch nicht mal zu den ersten Klatschenden gehörte. Wahrnehmen, Wollen, Tun und wahrnehmen, was die anderen tun, ist halt alles mit einer gewissen Laufzeitverzögerung verbunden. Und dazu kommt dann noch die Laufzeit des Klatsch-Schalls aus den Händen des gefühlt als zweiten Klatschenden...

Und diese Latenzzeiten sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Und von Situation zu Situation auch beim selben Mensch variabel, dazu können Wachheit, allgemeiner körperlicher und geistiger Zustand oder auch ein gewisser Alkoholpegel entscheidend beitragen.

Somit sind und bleiben solche Zeitaussagen mit Sicherheit immer ziemlich relativ.

Offline Skirtedman

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Re: Grundsätze
« Antwort #143 am: 26.11.2019 13:33 »
Und an dieser Stelle fällt mir folgendes Beispiel noch zu den Abläufen dieser episodischen Zeiteinheiten ein:

Das Empfinden meines "Hier und Jetzt", meines wachen Geistes, richtet sich mit dem Verarbeiten meines Ist-Zustandes in benennbare (vielleicht auch nicht benennbare) episodale Einheiten.

Ich fahre Auto. Auf dem Beifahrersitz meine Freundin. Wir unterhalten uns in einer kurzen Gesprächssequenz über irgendwelche allgemeinen Menschen und irgendeinem damit verbundenen Problem, das diese haben. Unser Gedankenaustausch umfasst nur ein paar Sätze. Wie wir mit diesem Gespräch soeben zu Ende sind, sagt meine Freundin "Vorsicht!".

Wie solche gutmeinten Warnungen verunsichern können, wissen wir wohl alle. Das Problem dabei ist, dass wir bei dieser endringlichen Warnung "Vorsicht" oder "Achtung" noch nicht einmal wissen können, wovor wir uns vorsehen bzw. worauf wir eigentlich achten sollen. Gerade beim Autofahren könnten solche Warnungen recht fatale Folgen haben,weil wir als agierender Autofahrer erst einmal erschrecken - vielleicht auch sowas von unnötig, so dass wir anschließend vielleicht gar nicht auf die wirklichen Gefahren achten können. - Das aber nur mal nebenbei angemerkt.

In diesem Fall mit meiner Freundin, die "Vorsicht!" laut sagte, bin ich cool geblieben. Weil ich gesehen habe, was sie meinte. Zwischen den parkenden Autos am rechten Strassenrand lief eine (scheinbar hübsche) Frau auf die Straße und öffnete ihre Fahrertür um einzusteigen.

Mich ließ es cool, weil ich sie von Anfang an dabei beobachtet hatte; meine Freundin wohl nicht, und weil die Straße breit genug war an dieser Stelle und es noch nicht mal gerade Gegenverkehr gab. Ich hatte schon längst reagiert und der einsteigenden Frau genügend Raum gegeben, damit wir uns definitiv in keinster Weise in die Quere kommen konnten. Meine Freundin hatte dies wohl erst viel später gesehen, was ja nicht schlimm ist, und die einzige Reaktion ihrerseits war zu sagen: "Vorsicht!".

Meine Reaktion auf ihr "Vorsicht!" war: "Ich weiß!".

Damit war für mich diese Episode abgeschlossen.

Wir fahren die Straße weiter und gefühlt eine ganze Weile später erschrecke ich, wie meine Freundin neben mir plätzlich ganz tief einatmet und sofort wieder ganz tief ausatmet. Meine erschrockene Reaktion: "Was ist´n los??". Ich hatte schon befürchtet, meine Freundin erleidet gerade einen Herzinfarkt.

Wie ich dann im weiteren Verlauf unseres nicht ganz unemotionalen Gesprächs herausbekam, war das plötzliche Stoßatmen eine unmittelbare Reaktion darauf, dass wir soeben eine Gefahrensituation hatten, gepaart mit der tiefen Emotion in meiner Freundin, dass ihre aus ihrer Sicht berechtigte Sorge um unser Leib und Wohl ich nicht ernstnehmen würde.

Ich musste erst einmal klarmachen, dass ich ihr Stoßatmen in keinster Weise mehr dieser Episode mit dieser einsteigenden Frau zugeordnet habe, was meiner Freundin wiederum absolut nicht verständlich war, denn sie habe sofort tief durchgeatmet, empfand sie.

Da ich noch genau weiss, an welchen Stellen "Vorsicht" und Stoßatmen entlang dieser markanten Straße innerorts stattfanden, war es mir ein leichtes, später nachzumessen, wie weit diese Stellen auseinander liegen: Es waren mehr als 300 Meter. Bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h - und ich war nicht schneller, eher langsamer, da wir gerade erst an einer grün gewordenen Ampel unmittelbar zuvor losgefahren waren, mussten also zwischen "Vorsicht" und Stoßatmen mindestens 20 Sekunden, wahrscheinlich deutlich mehr, gelegen haben.

Für mich  in meiner Wahrnehmung waren "Vorsicht!" und Stoßatmen Bestandteile zweier unabhängiger Episoden. Für meine Freundin eine einzige, und diese ohne eine eingeschlossene Pause.

Offline MAS

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Re: Grundsätze
« Antwort #144 am: 26.11.2019 14:01 »
Diese Begenung kann dann eine ganze Kaskade von Reaktionen meinerseits auslösen, bis hin zum Rauskramen von Insektenspray, dem Wegbringen des Mülls aus der Küche, dem Aufsuchen von angestossenem Obst, das Schließen von Fenstern und vieles mehr. Dann hat so ein dummes Ding von Fruchtfliege einen ganz gehörigen Ablauf von meinem "Hier und Jetzt" in Anspruch genommen.

Insektenspray wegen Fruchfliegen? Einfach den Tischabfallbehälter leeren, altes Obst schnell selber essen und die leeren Weinflaschen zum Container bringen, das reicht schon! :)

LG, Micha
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Offline Skirtedman

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Re: Grundsätze
« Antwort #145 am: 26.11.2019 14:19 »
Das war eher ironisch gemeint. Wenn, dann hätte ich lange Zeit diese "Marias" ignoriert. Oder unaufhörlichen Tagträumen nachgehonken.

Allerdings hab ich das schon erlebt. Aber bei anderen. Die wussten sich nicht mehr anders zu helfen. Vermutlich hatten sie´s zu lange ignoriert... und nicht nachgedacht. Oder wirklich zu lange geträumt...

Offline DesigualHarry

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Re: Grundsätze
« Antwort #146 am: 26.11.2019 22:47 »
Hallo!

So wie es aussieht hat der Sekunden Takt der Uhr  voll eingeschlagen. Jetzt können wir mal schon wenigstens erkennen dass Menschen Zeit gedanklich unterschiedlich war nehmen, im Verhältnis zur Zeit der Uhr, die ja immer gleich bleibt.

Darauf gönn ich mir jetzt eine Tasse Tee, sitz gemütlich in meinem Lieblingsrock in meinem Lieblingsstuhl, und genieße Musik vom feinsten auf meinem ganz eigenen subjektiven Zeitstrahl... ;D

Und wem hab ich nun den Tee zu verdanken, wo ich doch sonst fast nie einen trinke? Jaja lieber Wolfgang... ;D :) Mist, wo kommt die Fruchtfliege auf einmal her?


Offline high4all

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Re: Grundsätze
« Antwort #147 am: 26.11.2019 23:18 »

Nur dass auf die Schnelle: Meines Wissens ist die Gegenwart, also das Jetzt, für unsere Wahrnehmung 3 Sekunden lang.
Müsste man mal nachlesen.

Muss jetzt aber um Zug.

LG, Micha
Und wozu soll dieses Wissen gut sein?

Ich versuche mir vorzustellen, wie unser heutiges Leben ohne Zeitmessung wohl aussähe. Nur mit dem natürlichen Verlauf der Jahreszeiten, des Sonnen- und des Mondstandes.

Dann spielt das Wissen darum, dass die Wahrnehmung des Jetzt drei Sekunden lang sein soll, keine Bedeutung.

So wie in der Ewigkeit, in der es keinen linearen Zeitablauf gibt. Folglich auch keine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

LG
Hajo
Herr, ich danke Dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. (Psalm 139,14)

Never be limited by other people's limited imaginations. (Dr. Mae Jemison)

Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unsern Kleidern. (Heinrich Heine

Lars

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Re: Grundsätze
« Antwort #148 am: 26.11.2019 23:30 »
Ein wirklich genialer Fred ist dieser hier ... Und jetzt hat hat Harry dem Ganzen quasi die Krone aufgesetzt mit seinem letzten Beitrag  8) :D Sehr genial ...
 
Harry, you made my day, wie man so schön auf neudenglisch sagt!
 
Viele Grüße von Lars und auch von den Fruchtfliegen, die hier immernoch über dem Komposthaufen kreisen

Offline MAS

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Re: Grundsätze
« Antwort #149 am: 27.11.2019 00:24 »
"Nachgehonken" ist für mich ganz subjektiv das Wort des Tages. Klingt nach "Honky Tonk".  :)

LG, Micha
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