Autor Thema: Grundsätze  (Gelesen 33713 mal)

Offline DesigualHarry

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Re: Grundsätze
« Antwort #120 am: 20.11.2019 22:58 »
Hallo!

Leider wird das nicht funktionieren, lieber Skirtedman. Wie willst du an einem bestimmten Zeitpunkt Nachdenken in welchen Räumen du bis jetzt gewesen bist, wenn Zeitreisen nicht möglich ist? Zeitreisen werden dich jetzt herzlich wenig Interessieren, aber genau das musst du gedanklich tun, wenn du wissen willst in welchen Räumen du bis jetzt gewesen bist. Es ergibt keinen Sinn wenn du die Information in welchen Räumen du bis jetzt gewesen bist in dir ablegst, wenn du sie nicht abrufen kannst ohne das hier und jetzt gedanklich verlassen zu können. Du könntest die Frage gar nicht erst stellen in welchem Raum du vor einer Minute gewesen bist, weil du dazu die Zeit und den Raum aus der Vergangenheit brauchst.  Nach deiner Vorstellung  wärst du wohl ewig im hier und jetzt gefangen ohne irgendeine Erinnerung an etwas, oder der Wahlmöglichkeit was du morgen machst.

Aber klar wichtig ist das alles nicht, wenn man sich nicht dafür Interessiert.

Liebe Grüße!

Offline MAS

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Re: Grundsätze
« Antwort #121 am: 20.11.2019 23:56 »
Lieber Harry,

vor vier Stunden war ich noch in Bielefeld, jetzt sitze ich in Siegburg. Die Gedanken, die mich daran erinnern, dass ich kürzlich noch woanders war als jetzt, sind auch jetzt hier. Mein Gehirn hat vor vier Stunden Bilder von Bielefeld abgespeichert, die ich jetzt abrufe, und schon sehe ich den Bielefelder Hbf. vor meinen geistigen Augen, ohne dass dewegen eine Zeitreise notwendig wäre. Ich mache ja auch keine Zeitreise, wenn ich einen Film sehe, der irgendwann in der Vergangenheit gedreht wurde.

Früher habe ich mir das mal so vorgestellt, dass ich, wenn ich ein Buch lese, dass über die Antarktisexpeditionen von Amundsen und Scott erzählte, dass ich dann  dabei sei. Klar, in der Phantasie, aber das ist dann eben eine Phantasie- oder Phantásien-Reise und keine Zeitreise.

Und auch wenn Zeitreisen möglich wären, wären sie nicht raumzeitlos, sondern eben nur Reisen in der Zeit, genau so wie Raumreisen nicht raumzeitlos sind, sondern eben nur Reisen im Raum.

Raumzeitlosigkeit können wir uns oder zumindest kann ich mir gar nicht vorstellen. So weit reicht meine Phantasie leider nicht.  

Prallen jetzt hier unterschiedliche Weltbildparadigmen aufeinander? Ich finde das spannend. Das erinnert mich an eine Passage aus der Erzählung, "Antes Mission", die ich mal geschrieben habe:


+++
„Ich sehe, daß ihr müde seid und steif von dem Ritt in der Nacht, kommt mit mir, ich weiß etwas, das das Leben in eure müden Glieder zurück bringen wird.“
Lorn'asti ging voraus, auf die kleine Hütte am Bach zu, und die Brüder folgten ihm.
Wallu hatte auch schon Freundschaft mit den Hunden des Dorfes geschlossen. Besonders eine hellbraune, ebenfalls schlappohrige Hündin hatte es ihm angetan. Die beiden tollten ausgelas-sen zwischen den Hütten herum und versuchten einander zu erhaschen.
Lorn'asti gebot Ante und Peer, sich auszuziehen und in die Hütte zu gehen. Der Eingang war niedrig und mit einer Decke verhängt. Die Brüder mußten sich tief bücken, um hineinzukom-men. Drinnen saß, ebenfalls nackt, Lorn'naro. Nachdem die beiden sich gesetzt hatten, er-schien auch Lorn'asti in der Hütte, mit einem Stein, der noch vorhin in der Glut des Feuers ge-legen hatte. Er legte ihn in die Mitte der Hütte. Er brachte noch vier weitere heiße Steine und legte einen an die Nordwand, einen an die Südwand, einen nach Westen, dem Eingang ge-genüber und den letzten neben den Eingang, der sich im Osten befand. Sodann brachte er ei-nen Eimer mit Wasser aus dem Bach und setzte sich, nachdem er sich ebenfalls ausgezogen hatte, zu den dreien.
Die Steine verbreiteten eine angenehme Wärme. Als Lorn’asti dann über den Stein, der in der Mitte lag eine Schöpfkelle voll Wasser goß, welches zischend verdampfte, wurde es sehr heiß in der Hütte.
,He“, rief Peer, ,das ist ja eine Sauna!“
,Ihr kennt die Schwitzhütte? Kor Almussen hat mir nie gesagt, daß ihr auf Maman auch wel-che habt“, sagte Lorn'naro erstaunt.
,Auf Maman gibt es das nicht, aber auf Suompaiaa. Sie sehen nur etwas anders aus, denn sie haben einen Ofen in sich, auf dem viele heiße Steine liegen.“
,Wird es dann nicht rauchig in der Hütte, wenn das Feuer in ihr brennt?“, sagte der Schamane.
,Nein, entweder hat der Ofen ein Rohr, durch den der Rauch nach draußen kommt, oder er ist elektrisch betrieben. So einen habe ich auch in meinem Raumschiff erklärte Peer.
,Ja, ja ihr Raumfahrer, ihr habt sehr viel technischen Krimskrams. Auch unser Volk hatte einst sehr viel Technik, bevor es sich auf Skoréja zurückzog. Wir haben die komplizierte Technik aufgegeben, dafür aber etwas viel wichtigeres bekommen.“
,Was denn?“, fragte Peer.
,Weißt du, warum die Steine so angeordnet sind?“ entgegnete der Schamane,
,Ja“ damit sich die Wärme besser verteilt“, antwortete Peer.
,Ich dachte mir, daß du diese Antwort geben würdest. Zwar verteilt sich die Wärme so besser, aber das ist nicht der Hauptgrund. Asti, erkläre du es ihnen!“
Lorn'asti hatte wieder Wasser auf einen der Steine gegossen.
,Die Steine sind das Universum. Von den Steinen in den vier Richtungen, die die Ausmaße des Universums zeigen, gehen Linien zu dem in der Mitte. Von dem Stein in der Mitte geht eine Linie in die Erde und eine in den Himmel, also eine hinein in den Planeten und eine hin-aus. All diese Linien sind unendlich, und in der Mitte ist der Große Geist, der das Universum erschaffen hat.“
,Die Linien sind unendlich?“, erkundigte sich Ante.
,Ja, unendlich“, gab Lorn'asti zur Antwort.
,Dann“, schlußfolgerte Ante, ,kommt die, die in die Erde hineingeht auf der anderen Seite von Skoréja ja wieder heraus.
,Nein, sie geht nur hinein. Hinaus führt die, die nach oben geht.“
Ante kam damit nicht zurecht, er hielt das für unlogisch. Entweder sind die Linien unendlich, dachte er, dann führt die eine Linie durch den Planeten hindurch, oder sie bleibt in ihm ste-cken, dann ist sie aber nicht unendlich
Auch Lorn'asti hatte noch mal darüber nachgedacht und erklärte nun ausführlicher: ,Schau Ante, der Große Geist ist in der Mitte. Von ihm gehen die vier Linien aus, eine dorthin, wo die Sonne aufgeht, eine dorthin, wo die Sonne an höchsten steht, eine dorthin wo sie unter-geht und eine dorthin, wo die Sonne nie hinkommt. Die fünfte Linie führt hinaus in das Reich der Sterne, wo du herkommst, die sechste Linie hinein in das Reich der Wurzeln.
Auch die Seele der Bäume ist unendlich. Sie führt nach oben, wo sie ihre Blätter ausstrecken und nach unten, wo ihre Wurzeln sind. Aber ihre Seele geht viel weiter nach oben und nach unten, ohne daß sie unten herausguckt.“
Ante hatte aufmerksam zugehört und wußte nun, daß das Weltbild der Skor ein ganz anderes war, als das seine. Nachdem sie die Raumfahrt und damit jede Art komplizierter Technik auf-gegeben hatten, mußten sie es auch verlernt haben, über die Welt in logisch wissenschaftlicher Weise nachzudenken.
Der Schweiß rann ihnen aus allen Poren und strömte an ihren Körpern herunter. So verließen sie die Schwitzhütte, um sich im Bach abzukühlen. Das war sehr erfrischend, zumal auch die Luft noch sehr kühl war. Die Sonne war nämlich noch immer nicht zu sehen, obwohl ihre Strahlen schon seit über einer Stunde zwischen den Bergen herum tasteten.
Ante hatte noch weiter nachgedacht und glaubte nun auch zu verstehen, was Lorn'asti ge-meint hatte. Doch noch eine Frage beschäftigte ihn. Wieder in der Schwitzhütte wandte er sich nochmals an Lorn'asti:
,Du sagst, der Große Geist ist in der Mitte?“ - „Ja, von ihm geht alles aus.“
,Ist er denn nicht überall?“
,Doch er ist überall“, sagte Lorn'asti selbstverständlich, ohne den seiner Aussage innewohnen-den Widerspruch zu bemerken.
Lorn'naro und Peer hatten dem Gespräch während der ganzen Zeit zugehört,
Peer wußte nicht recht, was das alles mit seiner Frage zu tun hatte, welche Sache, die soviel wichtiger war, als komplizierte Technik, die Skor denn bekommen hatten.
Lorn'naro lächelte verständnisvoll. Er erkannte Antes Schwierigkeiten mit der ungewohnten Denkweise.
,Ante, das ist ganz einfach. Dadurch, daß der Große Geist im Zentrum aller Dinge ist, ist er überall“, erklärte er freundlich.
Dann wandte er sich an Peer: ,Und du Peer, weißt du nun welch wichtige Sache wir im Tausch gegen die komplizierte Technologie bekamen?“
Peer dachte eine Weile über das vorherige Gespräch, über die Ordnung der Steine und über den Zusammenhang zwischen beiden nach.
,Ich bin mir nicht ganz sicher, aber...“
,Ruhig Peer“, unterbrach ihn der Schamane, die Hand hebend, ,wir wollen es nicht zerreden. Wenn du erst einmal einige Zeit bei uns gelebt hast, dann wirst du dir sicher sein.“
,Sehr lange können wir leider nicht bleiben. Antes Ferien sind bald zu Ende. Eigentlich sollten wir schon längst auf dem Rückweg sein.“
Ante erschrak, als er das hörte. An die Schule er schon lange nicht mehr gedacht. Wenn er jetzt aber nachdachte und die schon verstrichenen Wochen zählte, fiel ihm auf, daß die Schule übermorgen beginnen würde und daß sie bis dahin den Rückweg nie schaffen könnten. Das wollte er gerade seinem Bruder mitteilen, als Lorn'naro wieder zu reden begann:
,Ihr dürft gar nicht fort von hier. Daß ihr hier seid, ist der Wille der Alten Meister. Das sagte ich bereits. Also scheinen sie etwas von euch zu wollen.“
„Du meinst“, entgegnete Peer, „die Alten Meister würden uns gar nicht von hier fort lassen?“
„Die Alten Meister tun niemandem Gewalt an. Wenn ihr wollt, könnt ihr Skoréja verlassen. Aber mir gegenüber würdet ihr dadurch an Gesicht verlieren. Wir Skor leben schon lange eng verbunden mit ihnen, und wir kennen ihre Weisheit. Gegen ihren Willen zu verstoßen ist so ähnlich, als verstoße man gegen die Gesetze der Natur. Zuerst merkt man gar nicht, was man angerichtet hat, doch dann, es kann schon viel Zeit vergangen sein, endet es fürchterlich.“
Die Alten Meister schienen sie also hergerufen zu haben, ohne daß sie etwas davon gemerkt hatten.
+++

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Offline Skirtedman

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Re: Grundsätze
« Antwort #122 am: 21.11.2019 02:10 »
Nach deiner Vorstellung  wärst du wohl ewig im hier und jetzt gefangen ohne irgendeine Erinnerung an etwas, oder der Wahlmöglichkeit was du morgen machst.

Aber klar wichtig ist das alles nicht, wenn man sich nicht dafür Interessiert.

Im Gegenteil, ich interessiere mich dafür sogar sehr.

Nach Deiner Vorstellung muss ich mich auf Zeitreisen begeben, um mich an etwas zu erinnern, was irgendwann vor dem jetzigen Zeitpunkt lag. Dieses Konzept finde ich spannend, weil es tatsächlich einige kluge Köpfe gibt, die sich den Kopf darüber zerbrechen, ob Zeitreisen möglich seien. Und Du beherrschst diese Kunst bereits aus dem Effeff.

Was mich aber noch sehr viel mehr verblüfft, ist, wie wenig Du Dir und Deinem Körper, in dem Du wohnst, zutraust. Schließlich bestehst mit Sicherheit auch Du aus einem Verbund von Abermillionen Zellen, um Dich als eine Einheit zu bilden, die damit unaufhörlich damit beschäftigt ist, Deine Integrität, Deine Unversehrtheit zu bewahren und auch noch möglichst lange als Einheit zu existieren.

Warum sollte nicht auch Dein Körper in der Lage sein, sich eigenständig an durchlebte Erfahrungen zu erinnern? Natürlich nicht an jedes kleinste Detail - dafür bestehst Du dann doch aus zu wenig Zellen, um das alles zu leisten, aber dennoch an die Grundzüge der wichtigsten Erfahrungen. Denn jedes durchlebte Ereignis hinterlässt Spuren auch in Deinem Körper, die Du in Deinem Hier und Jetzt und auch hoffentlich noch in Deinem morgigen Hier und Deinem morgigen Jetzt in Dir trägst. Zeitreisen sind gar nicht nötig, da Du ein wirklich bemerkenswertes Instrument in Deinem Körper beherbergst. Du kannst Dich ihm gerne anvertrauen.

Offline Skirtedman

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Re: Grundsätze
« Antwort #123 am: 21.11.2019 03:18 »
@MAS:

Witzigerweise habe ich auch einmal eine Erzählung verfasst, als ich noch in der Schule war. Sie war angesiedelt in einer (inzwischen längst eingeholten) Zukunft, nämlich 2004. Natürlich ging es nebenbei auch darum, dass die neue Mode nun auch Jungs Röcke tragen lässt. Hauptthema der Erzählung aber war witzigerweise Zeitreisen. Und zwar Zeitreisen in dem Sinne, wie man es aus klassischen Filmen her kennt...

Nun aber zu Deiner Erzählung "Antes Mission":

,Schau Ante, der Große Geist ist in der Mitte. Von ihm gehen die vier Linien aus, eine dorthin, wo die Sonne aufgeht, eine dorthin, wo die Sonne an höchsten steht, eine dorthin wo sie unter-geht und eine dorthin, wo die Sonne nie hinkommt. Die fünfte Linie führt hinaus in das Reich der Sterne, wo du herkommst, die sechste Linie hinein in das Reich der Wurzeln.
Auch die Seele der Bäume ist unendlich. Sie führt nach oben, wo sie ihre Blätter ausstrecken und nach unten, wo ihre Wurzeln sind. Aber ihre Seele geht viel weiter nach oben und nach unten, ohne daß sie unten herausguckt.“

Interessant finde ich in Deiner Erzählung das Bild einer unendlichen Linie, die in eine Richtung geht, die aber dennoch nicht, wie hier beschrieben, den Planeten "unten" verlässt, also nun doch scheinbar nicht räumlich unendlich ist.

Das erinnert mich daran, wie sehr wir bildungsbehafteten Menschen (Stichwort Schulpflicht, ob wir nun wollten oder nicht - aber das ist wieder ein anderes Thema...) darauf pochen, wir seien Wesen der dritten Dimension. Jeder von uns hatte schon einmal Kontakt mit den sich kreuzenden Achsen eines Diagramms, mit dem man Flächen kennzeichnen kann. Und mit einer dritten Achse, die man sich aus der Blatt- bzw. Tafel- bzw. Bildschirmebene herausdenkt, kann man sich einen Raum mithilfe dreier Achsen denken.

Mit diesem Konzept eines dreidimensionales Raums fühlen wir uns vertraut. Das ist das Konzept, in dem wir uns mit unserem leiblichen Körper bewegen. Von höheren Dimensionen kann man träumen, die sind uns aber nicht wirklich vertraut (mit einer kleinen Ausnahme, die ich jetzt hier vernachlässige).

Aber in der Tat sind wir Menschen Wesen, und vieles mehr in unserer Welt, die sich in Wirklichkeit nur im Grenzbereich zwischen zwei und drei Dimensionen bewegen können. In Wirklichkeit leben wir eher zweidimensional. Nur mit Hilfe von Bäumen, Leitern, Treppe, Raketen oder Flugzeugen können wir uns einigermassen frei auch in der dritten Dimension bewegen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass man lange Zeit glaubte, die Erde sei eine Scheibe.

Natürlich hat unser leiblicher Körper eine (zumindest) dreidimensionale Ausdehnung. Das Konzept der dritten Dimension geht leicht in unseren Kopf. Wenn z.B. unsere Hand sich bewegt, so vollführt sie eine Bewegung in drei Dimensionen. Oder ein von uns geworfener Stein bewegt sich in drei Dimensionen (zumindest mit Seitenwind). Doch unsere Fähigkeiten in der dritten Dimension sind sehr beschränkt. Das ist uns vermutlich oftmals gar nicht wirklich bewusst, oder es hat keine so grundlegende Bedeutung für uns, als dass wir darüber nennenswerte Diskussionen führen würden.

Gleichzeitig leben wir aber tatsächlich ebenso in einer vierten Dimension. Und das ist die Zeit. Mathematisch gesehen können wir uns die vierte Dimension ansatzweise vorstellen. Aber wir haben keinerlei Möglichkeit in unserer Erfahrungswelt (Lars und Harry nehme an dieser Stelle grad mal aus), uns frei in dieser vierten Dimension zu bewegen.

In einem früheren Gedankenspiel von mir konnte ich vor vielen Jahren mir etliche Ufo-Sichtungen erklären, als ich darin zuließ, dass es Dinge oder Kreaturen gäbe, deren vier Achsen nicht vollständig parallel zu unseren vier Achsen im vierdimensionalen Raum liegen. Vielleicht unterliegen sie auch nur drei, frei wählbaren Dimensionen, der vierten sind sie vielleicht genauso ausgeliefert, wie wir unserer vierten (unserer Zeit). Oder die räumlichen drei ("Volumen-)Achsen liegen vielleicht doch parallel zu unseren, aber die Dinge unterliegen einer anderen Richtung oder Geschwindigkeit auf der vierten Achse - vielleicht für sie sogar frei wählbar. Das könnte vieles erklären, was über Ufos oder über andere, für uns ungewöhnliche Ereignisse berichtet wird. - Diesen Gedanken will ich nicht weiter ausbauen, ausser, dass es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass dieses Phänomen in der Realität existiert - denn dann müssten vermutlich diese Erscheinungen viel häufiger zu unserer Erfahrungswelt zählen...

Mit diesem Gedankenspiel will ich erklären, dass theoretisch sehr viel mehr existieren kann, als wir es von unserem Alltag her gewohnt sind. Und dass wir mit unserer alltägliche Erfahrungswelt vermutlich längst nicht alles verstandesmässig jemals erfassen werden können. Vermutlich können wir ja noch nicht mal uns heute ausdenken, was einige Generationen nach uns die Menschheit so alles wissen, nutzen und sich vorstellen wird.

Wie ich vor wenigen Beiträgen in diesem Diskussionsfaden schon angerissen habe: Wir - und vor allem die hochspezialisierten Forscher unserer Zeit - machen sich ein Bild von dem, was wir im Himmel bzw. im Universum da wahrnehmen und erklären uns das alles mit Urknall oder String-Theorie. Vielleicht wird man in wenigen Generationen nur milde darüber schmunzeln. Mit Sicherheit aber werden wir es nie erfassen können, in welchem "kosmischen" Zusammenhang wir uns bewegen - und was das alle mit uns zu tun hat.

Mir drängt sich immer wieder - auch grade, wenn es um so Fragen wie dem Alter des Universums geht, oder um kosmische Objekte, die unheimlich weit weg von uns sind, und wegen der Lichtgeschwindigkeit offenbar auch unheimlich uralt sein müssen, und wenn es um String-Theorien, Neutrinos, Relativitätstheorien, Raumzeitkrümmungen und Paralleluniversen geht - da drängt sich mir immer wieder die Frage auf - ist das vielleicht alles ganz anders als wir jetzt in der Lage sind, uns das zu denken? Die ganzen Galaxien erinnern mich an DNAs, an Moleküle, an Quarks, an Flüssigkeiten. Ist unsere Erlebniswelt, unser ganzes gedachtes Universum, in Wirklichkeit nur ein einzelnes Polymer-Molekül in einer ganz anderen Welt, einem Über-Universum?

Oder schauen wir, wenn wir hinausschauen ins All, in Wirklichkeit irgendwo ganz tief hinein in eine Atomstruktur, die Teil unserer kleinen beschränkten Welt ist, ein Atom in unserer eigenen kleinen Welt - beobachten wir uns dann selbst von innen??? Und das vielleicht in einer ganz anderen Zeitskala???

Insofern, lieber MAS, finde ich spannend, dass Du in Deiner Erzählung von einer unendlichen Linie nach unten schreibst, die aber nicht den Planeten verlässt. Auch wenn sie durchaus noch anders interpretiert werden kann...

P.S.: Um auch noch Lars und Harry wieder in "mein Weltbild" hineinzuholen... Wahrscheinlich denken sie mal wieder exakt dasselbe wie ich, nur benutzen sie andere Beschreibungen. Und umgedreht.


Offline MAS

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Re: Grundsätze
« Antwort #124 am: 21.11.2019 08:02 »
Sehr schön, lieber Wolfgang! :)

Ich bin auch offen für die Möglichkeit, dass alles noch ganz anders ist, als ich es mir derzeit vorstellen(n kann).

Schließlich glaube ich auch noch an einen Sinn von all dem, "dem Leben, dem Universum und dem Rest von allem", wie Douglas Adams es formuliert hat, einem Sinn, der sich nicht einfach in einer Zahl, 42 oder wie auch immer, ausdrücken lässt. Über diesen Sinn aber können unsere Wissenschaften - abgesehen von Philosophie und Theologie - nichts aussagen.

LG, Micha
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Offline DesigualHarry

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Re: Grundsätze
« Antwort #125 am: 21.11.2019 09:06 »
Hallo!

O.K. lieber Micha! Dass du das Ereignis in dir abgespeichert hast verstehe ich ja noch, aber, woher nimmst du jetzt den Bezug zu irgendeiner Zeit?  Wenn Zeitreisen nicht möglich sind lebst du ja nur im hier und jetzt. Du kannst ja nicht zeitlich vor oder zurück. Wie willst du wissen was 4 Stunden sind? Du kannst zwar mit einer Stoppuhr 4 Stunden messen, aber woher weist du nach 4 Stunden wann du auf Start gedrückt hast? Wie kannst du einordnen was du gestern gemacht hast, oder vor 2 Tagen ohne Bezug zu irgendeiner Zeit außer der Jetztzeit?

Offline Skirtedman

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Re: Grundsätze
« Antwort #126 am: 21.11.2019 11:11 »
Hi Harry,

auch wenn Du explizit MAS angesprochen hast, so sprudeln auch mir dazu meine Gedanken weiter.

Dein Fragenkatalog stellt meines Erachtens nichts in Frage, was nicht auch mit der Leistung eines Menschen und all seiner Fähigkeiten im jeweiligen Hier und Jetzt zu erklären wäre. Dazu bedarf es nichts, das aus dem kontinuierlichen Raum-Zeit-Gefüge herausfallen muss, bzw. "Zeitreisen" erforderte.

Die Uhr ist ein Taktgeber, bzw. Meßgerät. Es dient dazu, Zeiträume bzw. Zeitpunkte zu bemessen bzw. zu beziffern. Ich vermute, auch in Deinem Leben wird es überwiegend unerheblich sein, ob eine Zeitspanne exakt 4 Stunden zurückliegt, oder nur 3, oder gar 7.

Ich bin mir sicher, dass ich keine Zeitreisen benötige, um eine aktuelle Uhrzeit einschätzen zu können. Nicht selten liege ich dabei sowas von daneben. Sehr viel häufiger aber gelingt mir das sogar ziemlich gut, selbst wenn ich zu einem beliebigen Zeitpunkt wache werde nach einem mehr oder weniger guten Schlaf. Ein Gefühl für eine Zeitspanne kann man entwickeln, kann man trainieren. Es gibt überall in der Natur, auch in uns Menschen, Abläufe, die sich an Tageslüfen, z.T. Monatsläufen und am Jahresgang orientieren. Was braucht es eine Uhr, um es exakt zu bemessen bzw. zu benennen? Was braucht es raum-zeit-entbundene Möglichkeiten dazu, z.B. "Zeitreisen"? - Diese Abläufe laufen erstaunlich gut, selbst wenn die nicht durch äussere Synchronisierungen getriggert werden. Es gibt Meeresbewohner, die kommen exakt zum Vollmond zusammen, um sich gemeinsam zu treffen und für Nachwuchs zu sorgen. Das funktioniert auch, wenn sie viele Tage lang aufgrund dichter Wolken überhaupt nichts vom Mond gesehen haben können. Diese Prozesse wurden über Jahrmillionen geübt und perfektioniert.

Die Natur, wir biologischen Menschen mit all unseren Fähigkeiten eingeschlossen, vermag sehr viel mehr zu leisten, als wir ihr (und manchmal insbesondere uns selbst) zugestehen möchten. Und alles im jeweiligen Hier und Jetzt verankert, ohne "Übersinnliches".

Offline MAS

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Re: Grundsätze
« Antwort #127 am: 21.11.2019 23:02 »
Ja, lieber Harry, ich stimme Wolfgang zu.

Ich brauche keine Zeitreisen,um einen Bezug zur Zeit zu haben, außer dieser einen Zeitreise, auf welcher wir pro Sekunde genau eine Sekunde in die Zukunft reisen, ohne die Möglichkeit, anzuhalten oder umzukehren. Ansonsten würde ich ab und zu gerne zurückreisen und etwas anders machen, als ich es gemacht habe. Geht aber nicht - ob leider oder zum Glück, ist eine andere Frage.

Aber vielleicht verstehst Du unter "Zeitreise" etwas ganz anderes als ich. Ich verstehe darunter das, was z.B. H.G. Wells in "Die Zeitmaschine" beschrieben hat.

LG, Micha

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Offline DesigualHarry

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Re: Grundsätze
« Antwort #128 am: 22.11.2019 09:46 »
Hallo!

Ich habe auch niemals behauptet dass wir mit unserem physischen Körper Zeitreisen machen, sondern dass wir diese "Zeitreise" ja ausschließlich auf Gedankenebene machen. Lieber Micha, und Wolfgang.

Wenn ich hier von einem Leben von "hier und jetzt" spreche, assoziiert ihr beide das euch bekannte Leben was ihr gerade führt.

Wenn aber ihr sagt, Gedanken erzeugt man ausschließlich  im Gehirn, dann bedeutet das ja nun, soweit ich diesen Themenkomplex verstanden habe, dass die Gedanken an die Raumzeit gekoppelt sind, in der ihr euch mit eurem physischen Körper befindet. Und dann bedeutet dieses "hier und jetzt" aber eine sehr starke Limitierung von Leben. Denn dann gibt es genau nur eine Zeit, das "jetzt", und ein Ort, das "hier".

Allein der Gedanke Gestern ist schon eine Zeitreise in eine andere Raumzeit, weil der physische Körper ja immer noch in der für in normalen Raumzeit ist. Allein das Gestern erfordert schon einen zweiten Bezugspunkt, um überhaupt einen Zeitraum definieren zu können. Einen zweiten Bezugspunkt gibt es aber nicht wenn die Gedanken an nur eine Raumzeit gekoppelt sind, wovon ihr ja ausgeht.

LG Harry!

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Re: Grundsätze
« Antwort #129 am: 22.11.2019 09:56 »
Lieber Harry,

siehst Du, Du verstehst unter "Zeitreise" etwas ganz anderes als Wolfgang und ich. Es ist recht schwer, miteinander zu kommunizieren, wenn man Wörtern ganz unterschiedliche Bedeutungen gibt.

Was Du als "Zeitreise" bezeichnest, bezeichnen Wolfgang und ich als "Erinnerung" oder, wenn es um die Zukunft geht, als "Planung" oder "Prognose" oder so.

Es ist so ja auch mit dem Raum. Ich kann mir vorstellen, woanders zu sein. Für Dich wäre das dann eine Raumreise, für micht nur ein Denken an einen anderen Ort.

LG, Micha

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Offline Skirtedman

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Re: Grundsätze
« Antwort #130 am: 22.11.2019 11:42 »
Ja, Micha, das hatte ich ja weiter vorne bereits gemutmasst.

Dennoch ist die Übersetzung von Harry zu Wolfgang, indem die Regel befolgt wird: ersetze die Wörter A, B, C ganz einfach durch die Wörter D, E, F.
Vielmehr muss man auch das Konzept, das den Wörtern A, B, C zugrunde liegen durch das Konzept der Wörter D, E, F austauschen.

Und selbst dann, glaube ich, sind wir noch nicht ganz deckungsgleich.

Harry hat ja gerade nochmals betont, dass er nicht die physische "Zeitreise" meint, aber sehr wohl eine geistige "Zeitreise" in seinem Weltbild wiederfindet. Dieses Konzept schließt mein Weltbild aus, da es zur Erklärung des selben Vorgangs (z.B. das Erinnern) völlig ausreicht.

Natürlich darf Harry sich die Dinge anders denken als ich. Vielleicht können wir ja ein bisschen voneinander lernen.

Offline Skirtedman

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Re: Grundsätze
« Antwort #131 am: 22.11.2019 12:21 »
Hallo Harry,

ich versuche nochmal kurz - nein, so kurz wird es wohl nicht - noch einmal einen Einblick in mein Verständnis des "Erinnerns" bzw. Deiner geistigen "Zeitreise" zu geben. Ich will (für alle geneigten Leser) leider ein wenig ausholen.

Ich hatte vor wenigen Beiträgen geschrieben, dass mich die Strukturen im großen Universum da draussen, wenn wir in dem Himmel schauen, mich an Strukturen erinnern, die wir auch im Kleinen, auf atomarer Ebene wiederfinden. Etwas esoterisch habe ich die sehr weitgesponnene Möglichkeit geäussert, dass wir womöglich eigentlich irgendwo ins Kleine, vielleicht auch in uns selbst hineinschauen.

Auf diesen gewiss abstrusen Gedanken kam ich, weil eben die Strukturen da draussen im Großen extrem an die Strukturen im Kleinen erinnern. Alleine das vereinfachte Bild von unserem Sonnensystem erinnert an ein Modell, mit dem wir in der Schule das Atommodell erklärt bekommen haben.

Als Programmierer, Mathematiker und später Künstler begannen mit Algorithmen (sich stetig wiederholende Rechenvorschriften, z.B. Fraktalen) zu experimentieren und diese grafisch zu visualisieren (manche von Euch mögen sich noch an die Apfelmännchen erinnern), so hat man schnell gesehen: Schaut man im Bild genauer hin, zoomt man also hinein, so ergeben sich dort im Kleinen Strukturen, die man bereits aus der Gesamtübersicht kannte. Das will heissen: so sehr man auch ins noch so Kleinste hinein schaut, die Formen ähneln sich immer wieder.

So ist das zum Beispiel auch, wenn man sich Küstenlinien anschaut. Auf Google Earth kann man das schön machen. Egal in welchem Massstab man hinschaut, die Küstenverläufe ähneln sich sehr stark.

Sinn dieser Betrachtungen ist, zu erkennen, dass die Prozesse, die sich da abspielen, die Kräfte, Aktionen und Reaktionen, im ganz Großen wie im ganz Kleinen, alle sehr vergleichbar, wenn nicht sogar die identisch gleichen sind. Vieles lässt sich auch in andere Lebensbereich übertagen, so zum Beispiel auf Generationsabläufe von Insektenpopulationen, Ausbreitung von Krankheiten, das Knüpfen von sozialen (menschlichen) Netzwerken (besonders auch im Real Life), Strukturen in Staaten und Großunternehmen etc. ...

Drum, lieber Harry, lass mich in Bezug auf Deine geistigen Zeitreisen und in Bezug auf mein profanes Erinnern in meinem Hier und Jetzt auch einen solchen Strukturvergleich anstellen, was jedenfall mein Konzept des Erinnerns betrifft. Weil, auch hier ähneln sich die Strukturen ungemein:

Wir alle kennen noch die Geschichtsbücher aus der Schule. Das schlägt man auf, Seite 90 zum Beispiel, und da landen wir irgendwo in der Geschichte, sagen wir bei Napoleon. Blätterst Du weiter zurück, so findest Du etwas anderes, sagen wir den 30-jährigen Krieg. Blätterst Du weiter hinter, so findest Du was anderes, sagen wir Bismarck. Und so weiter.

Im Geschichtsbuch finden wir nicht den Topf Kartoffeln von Ururoma Gretel, der ihr über offenem Feuer übergekocht ist. Wir finden auch nicht den Diener Jean-Baptiste von Graf Eugene de Irchendwas. Da findet man die wichtigsten Dinge, wovon man heute glaubt, dass sie unsere Welt, wie sie heute ist, geprägt haben. Manchmal weiss man gar nicht, dass ein übergekochter Topf oder eine Marotte eines Dieners so Bedeutendes im späteren Verlauf bewirkt haben, es bleiben halt andere Dinge eher in Erinnerung.

So ist es auch mit unserer Erinnerung an uns selbst, in uns selbst. Wir schreiben in jeder Sekunde unaufhörlich, jeder für sich selbst, ein eigenes Geschichtsbuch. Du musst darin nur blättern, um Dinge zu finden, die Du erlebt hast. Und jedesmal, wenn Du zurückblätterst und Du liest, unterstreichst Du bestimmte Stellen, um sie später schneller wiederzufinden, oder Du änderst den Text, weil es ein wenig holprig sich liest oder Du fügst was dazu, weil Du es jetzt besser verstehst, oder Du lässt was weg, weil es dann doch unwichtig war - wie auch immer. Aber alles, was Du jemals erlebt hast, steht (oder zumindest stand es mal) da drin, und das trägst Du unaufhörlich mit Dir herum. Und zudem umgibst Du Dich mit Dingen, die Dich an manches auch immer wieder zurückblättern lassen, mit Freude, Trauer, Wehmut oder Zorn, hiermit meine ich zum Beispiel Fotos an der Wand, Mitbringsel von Reisen, die Vase, die die Nachbarin Dir schenkte, der unangenehme gelbe Brief mit der Mahnung aus dem Briefkasten, der Aktenordner im hintersten Schrank gleich neben dem gewagt gemusterten und deshalb gut versteckten Rock.... *blätter, blätter* Das alles ist Dein ganz persönlicher Schatz, wenn auch darin mit der Zeit manches verblasst oder manches anfängt zu leuchten. Dieser Schatz begleitet Dich immer, gestern, vorhin, soeben, und morgen.

Offline DesigualHarry

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Re: Grundsätze
« Antwort #132 am: 22.11.2019 18:36 »
Hallo!

O.K. lieber Wolfgang, dann lass uns doch mal über Erinnerung Schreiben. Nehmen wir dein Mitbringsel dass du oben erwähnt hast. Nehmen wir an dieses Mitbringsel erinnert uns an einen traumhaften Urlaub irgendwann in der Vergangenheit. Wenn du nun jetzt dieses Mitbringsel anschaust, sieht du dann jetzt wo du gerade bist dieses Mitbringsel selber, oder die Erinnerung an den schönen Urlaub? Dass das Mitbringsel jetzt mit dir im selben Raum ist verstehe ich schon, aber wie machst du das mit der Erinnerung? Klar, läuft die Erinnerung jetzt wo ich mich gerade befinde in mir als Film ab, aber die Gedanken sind bei mir an dem Ort zu jener Zeit wo das Ereignis stattfand, also in einem anderen Ort zu einer anderen Zeit. Ist das bei dir nicht so? Sorry, lieber Wolfgang, ich verstehe es nicht.

Und wenn man es so macht, wie Micha oben beschrieben hat, also dass man sich einfach das Ereignis denkt, dann verstehe ich nicht wie Ihr das zeitlich und räumlich so Einordnen könnt dass es in der Vergangenheit an einem anderen Ort war. Wo ihr ja gerade das gedanklich nicht tut.... Ich verstehe es einfach nicht, bin wohl zu blöd dazu ;D

Offline MAS

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Re: Grundsätze
« Antwort #133 am: 22.11.2019 22:46 »
Lieber Wolfgang,

sehr schönes Beispiel mit dem Geschichtsbuch und den unterschiedlichen Gewichtumgen von wichtigen und weniger wichtigen Dingen.

Allerdings ist in unserm mentalen individuellen Geschichtsbuch nicht alles gespeichtert, denn manches vergessen wir einfach. Ich weiß um Beispiel nicht, was ich gestern im Detail alles so erlebt habe, aber zumindest erinnere ich mich an mehr Details als an das, was ich vor einer Woche erlebt habe. Und meine Erinnerung an das, was ich vor genau 10 Jahren erllebt habe, also am 22.11.2009, da müsste ich mein Tagebuch konsultieren.


Lieber Harry,

wir konstruieren räumliche und zeitliche "Landkarten" im Geist. Diese "Landkarten" schreiben oder zeichnen wir immer weiter, und wenn wir uns Erinnern, lesen wir diese von uns konstruierten "Landkarten". Wir bewegen uns nicht wirklich in andere Zeiten oder an andere Orte, wenn wir nur über sie nachdenken. Genauso wenig, wie ich ins Mittelalter reise, wenn ich ein Buch darüber lese oder nach Amerika, wenn ich in einem Atlas mit die Landkarte davon angucke.

Wir ordnen also Erinnerungen und Phantasien über Zeiten und Räume in uns. Oft genug täuschen uns unsere Erinnerungen. Zeugenaussagen zeigen ja oft genug, wie unterschiedlich Menschen sich erinnern. Würden sie tatsächlich in die Vergangenheit reisen, könnten sie ja objektiv sehen, was da passiert ist. Aber das geht eben nicht. Statt dessen schauen sich die Zeugen ihre mentalen Aufzeichnungen an und erzählen, was sie in ihnen sehen.

LG, Micha 
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Offline Skirtedman

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Re: Grundsätze
« Antwort #134 am: 25.11.2019 13:37 »
Ein sehr schönes Bild mit der Landkarte, Michael.

Mit verschiedenen Ländern und Regionen, die für verschiedene Gedächtniskategorien stehen, z.B. Essen, Trinken, Genuss, Geborgenheit, Ängste, Zugfahrten. Und dazwischen mit ganz vielen großen Straßen, Autobahnen und kleinen, zum Teil beschwerlichen Wegen zu den Oberzentren und zu abgelegenen Örtchen. Die häufig befahrenen Routen werden ausgebaut. Die selten benutzen Wege zerfallen im Laufe der Zeit.

Mit diesem Bild könnte man noch eine zweite Landkarte einführen, die man drüber legt, vielleich auch noch eine dritte, vierte Karte. Und zwischen all diesen Kartenebenen existieren ebenso große und kleine Wege.

Denn eine Erinnerung ans Essen gehört oftmals nicht nur zum Land "Essen", sondern, z.B. ein Gänsekeuleessen von letzter Woche auch zum Land "Genuss" und zum Land "Herbst". Oder die Erinnerung "Plätzchen" gehört auch zur Region "Weihnachten/Advent". Oder "Sekt" gehört nicht nur zum "Land" Trinken und "Genuss", sondern auch zum Land "Beförderung" oder "Silvester".

Unsere Landkarte ist also viel komplexer als eine schon kompliziert genug erscheinende Straßenkarte Europas.

Zu meinem Bild des Geschichtsbuchs:

Allerdings ist in unserm mentalen individuellen Geschichtsbuch nicht alles gespeichtert, denn manches vergessen wir einfach. Ich weiß zum Beispiel nicht, was ich gestern im Detail alles so erlebt habe, aber zumindest erinnere ich mich an mehr Details als an das, was ich vor einer Woche erlebt habe. Und meine Erinnerung an das, was ich vor genau 10 Jahren erllebt habe, also am 22.11.2009, da müsste ich mein Tagebuch konsultieren.

Gewiss ist mein Geschichtsbuch-Bild, das ich zeichnete, noch nicht ausreichend komplex beschrieben, um alle Grundzüge des Erinnerns an Vergangenes im Hier und Jetzt modellhaft zu erfassen.

Ich fabulierte ja schon, dass jedes Erinnern gleichzeitig auch ein Redigieren des Geschriebenen bedeutet, wir also auch stetig an dem bereits Geschriebenen Änderungen anfertigen aus verschiedenen Gründen, bewusst wie unbewusst.

Was ich nur schwach erwähnte ist das Verblassen. Alles, ja exakt alles, was unsere Wahrnehmung nicht bereits im jeweiligen, durchlebten Hier und Jetzt, also den schier unendlichen damaligen Dort´s und den damaligen Damals´s heraussiebte - also alles, was unsere Wahrnehmung jemals erreichte, stand auch in unserem Geschichtsbuch. Vor allen Dingen erstmal z.B. im jeweiligen Kapitel "Kurzzeitgedächtnis" mit allen Inputs und Outputs. Das, was aber länger nicht mehr gebraucht wurde, verblasst halt. Schauen wir rechtzeitig noch hin, können wir es noch entziffern. Warten wir zu lange, dann existiert allenfalls noch eine blasse Ahnung daran oder wir verlieren den kompletten Zugang dazu.

Drum füge ich meinem Bild des Geschichtsbuchs am besten noch die Funktion der strarken Verlinkung der Ereignisse untereinander hinzu. Ganz so wie man es in Wikipedia findet. Wann immer wir auf eine Erzählung in unserem Geschichtbuch schauen (indem wir uns an etwas erinnern), aktivieren wir auch die Erzählungen, die von dort aus unmittelbar verlinkt sind, unbewusst. Oder wir folgen bewusst einiger dieser Links (wir assozieren bzw. erinnern uns weiter) und wir aktivieren wiederum auch dort die jeweiligen Verlinkungen. So erfrischen und bestätigen wir all diese Links.

Demgegenüber stehen etliche Links, die schon so lange nicht mehr aktiviert wurden, dass sie irgendwann nicht mehr funktionieren. Vielleicht finden wir zu den alten Zielen über Umwege irgendwann mal durch andere Geschichtsbucheinträge ("Heureka! Jetzt weiss, ich, was ich damals meinte!) oder wir erreichen sie nie wieder, weil sie inzwischen so verblasst sind, dass sie unleserlich sind und wir deshalb effektiv nicht mehr wissen können, was da mal stand. Oder am Ende weil wir einfach keinen Link mehr finden, der uns daran erinnert, dass da überhaupt mal was gestanden hat.


 

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