Lustig finde ich aber, dass du nach belieben dein "jetzt" dehnst oder stauchst im Verhältnis zu deiner Uhr, die ja Unaufhörlich weitertickt, Sekunde um Sekunde. Immer Gleichlang.
Das finde ich auch lustig. Weil es mir weder aufgefallen ist, noch, dass es für mich nachvollziehbar ist, obwohl Du es ausführlich erklärt hast.
Irgendwer kam auf die geniale Idee, einen "Zeitmesser" zu bauen. Und als Nachweis, dass Zeit vergangen ist, diese in Tage, Stunden, Minuten und in die kleinste Einheit, in regelmäßige Sekunden einzuteilen. Nach diesem Prinzip funktionieren die allermeisten Zeitmesser, Uhren genannt.
Ich bin mir aber keineswegs sicher, dass aufgrund dieser irgendwann getroffenen Übereinkunft, mein Denken ebenso in Sekundentakt eingeteilt werden muss, und wieso ich nicht länger als eine Sekunde irgendeinem Gedanken nachhängen können sollte.
Ausserdem weiss ich ebenso nicht, ob ich "nach Belieben" die gefühlte Dauer einer Zeiteinheit beeinflussen kann. Im Gegenteil - denke ich -, denn meistens ist eine bestimmte Zeitspanne sehr viel schneller vorbei als es meinem Belieben entspricht.
Mein nun hier fast bis zum Exzess angebrachtes "Hier und Jetzt" ist alles andere als ein streng in immergleiche Zeiteinheiten zerhacktes Gebilde. Ich habe in Erinnerung (

!), dass irgendwelche Forscher dem aktuell erlebten Augenblick eine Zeitspanne von 300 Millisekunden zuschrieben. Andere bemühen das Bild eines "Kurzzeitgedächtnisses", dem sie auch eine recht kurze Zeitspanne von mehreren Sekunden, bis so etwa 20 Sekunden zubilligen.
Ich mag dieses Bild vom Kurzzeitgedächtnis. Macht es doch deutlich im Gegensatz zum Langzeitgedächtnis, dass eine ganze Reihe von Sinneseindrücken und Sinnesprodukten in sehr kurzer Zeit schon wieder abhanden kommen und nur ein kleiner Teil Gedächtnisspuren für eine deutlich längere Zeit hinterlässt, wenn nicht manche dann eben sogar lebenslang.
Mein Kurzzeitgedächtnis ist in meinem Erleben aber nichts, was zeitlich getaktet eng begrenzt ist, sondern aus einer ganzen Reihe von Inhalten besteht, die je nach Anforderung, die ich teilweise bewusst steuern kann, mal länger, mal kürzer vorhanden sind, bis sie eben nicht mehr gebraucht werden. Für mich ist mein Kurzzeitgedächtnis sowas wie die Aufmerksamkeit, oder zumindest ganz eng damit verknüpft. Und sowas wie mein Bewusstsein, entweder identisch mit dem Kurzzeitgedächtnis oder aber ebenso ganz eng damit verknüpft. Aufmerksamkeit und Bewusstsein sind ebenso ganz eng miteinander verknüpft, wenn nicht sogar vielleicht sogar exakt identisch. Vielleicht sind alle drei Merkmale (Aufmerksamkeit, Bewusstsein, Kurzzeitgedächtnis) letztlich identisch oder zumindest nahezu identisch. Und letztlich haben diese Dinge etwas mit dem zu tun, was wir beim Computer als Arbeitsspeicher bezeichnen.
Mein "Hier und Jetzt" hat mit meinem Erleben mithilfe Aufmerksamkeit, Bewusstsein und Kurzzeitgedächtnis zutun. Andere Dinge wie Wahrnehmung spielen da natürlich ebenso mit hinein. Auch die Kopplung an Inhalte aus dem Langzeitgedächtnis spielt da deutlich mit. Ein Teil davon steuert jedenfalls das "Bewusstsein" (mein Denken), vieles aber steuert auch das Unterbewusste, ebenso wie Ererbtes, Gelerntes und Trainiertes.
Das Empfinden meines "Hier und Jetzt", meines wachen Geistes, richtet sich mit dem Verarbeiten meines Ist-Zustandes in benennbare (vielleicht auch nicht benennbare) episodale Einheiten. Fliegt eine Fruchtfliege durch mein Gesichtsfeld, so ist dieser Vorbeiflug eine Episode, die andere parallell aufende Episoden vielleicht unbeeinflusst lässt, und deswegen vielleicht auch keine weiteren Spuren in meinem Langzeitgedächtnis hinterlässt. Fliegt ein Vogel durch mein Gesichtsfeld, so hinterlässt dieser vermutlich noch viel weniger Spuren in meinem Langzeitgedächtnis. Und diese Fruchtfliege vielleicht viel eher dann doch Spuren im Gedächtnis, denn in der Regel ist diese Fruchtfliege viel näher an meinem "Hier", und in meinem Wohnzimmer war dann wohl der Vogel irgendwo vor meinem Wohnzimmerfenster, in meinem Wohnzimmer war dann die Fruchtfliege aber irgendwo zwischen meinem Wohnzimmerfenster und mir.
Wenn ich es gewohnt bin, dass Fruchtfliegen in meinem Wohnzimmer umherschwirren, dann beeinflusst diese eine Fruchtfliege mit Sicherheit nicht meine parallel ablaufenden Episoden in meinem "Hier und Jetzt". Ist es aber die zweite im Ablauf meiner letzten Handvoll von Gedanken, und ich bin es nicht gewöhnt, dass dies in meinem Hier derzeit häufiger vorkommt, so weckt diese Begegnung mit der Fruchtfliege meinen Argwohn und meine Aufmerksamkeit wird dann ein Stück weit auf eben diese Fruchtfliege gelenkt.
Diese Begenung kann dann eine ganze Kaskade von Reaktionen meinerseits auslösen, bis hin zum Rauskramen von Insektenspray, dem Wegbringen des Mülls aus der Küche, dem Aufsuchen von angestossenem Obst, das Schließen von Fenstern und vieles mehr. Dann hat so ein dummes Ding von Fruchtfliege einen ganz gehörigen Ablauf von meinem "Hier und Jetzt" in Anspruch genommen.
Wie ausgedehnt mein "Jetzt" ist, hat immer etwas mit diesen Episoden zu tun. Meistens laufen mehrere parallel ab. Und je nach Episode kann eben das Jetzt die Dauer eines Blinzelns sein, oder die Dauer eines Räusperns betragen, eine Zeitspanne von mehreren Minuten umfassen oder sogar auch längere Zeitabschnitte betreffen, je nach dem, auf welche dieser Episoden ich mich nun gerade beziehe.
Mitnichten ist mein Jetzt im Sekundentakt begrenzt. Und mein Hier ist auch nicht auf die Ausdehnung meines Körpervolumens begrenzt. Dazu kann der Vogel vor meinem Wohnzimmerfenster gehören, dazu gehört auf jeden Fall mein Wohnzimmer, in dem ich "jetzt" sitze, dazu gehört die Fruchtfliege in meinem Gesichtsfeld. Sitze ich in einer vollen Straßenbahn, dann ist mein Hier vielleicht nicht so groß wie mein Hier in meinem Wohnzimmer. Mein Hier kann aber auch meine ganze Stadt umfassen, oder die Ebene vor mir und die Front des nächsten Mittelgebirges, auf das ich von einem schönen Platz mit Aussicht schaue.
Das "Hier" ist ebensowenig in starre Einheiten zerteilt wie das "Jetzt".
Damit ist jetzt hier aber mal genug!
Gute Nacht, Maria.