Lieber Holger,
ich lese gerade ein Heft (Philosophie Magazin) über das Böse. In einem Artikel wird darin ganz gut dargegelgt, dass oft gar keine Absicht dahinter stehe,etwas Böses zu tun, und doch tut man es, z.B. als Mitäufer oder als Teil eines Systems, in dem etwas als gut gilt, was aus anderer Perspektive als böse gilt, z.B. Sklaverei oder eben - ja das Beispiel kommt darnin - Genitalverstümmelung. Die Frauen, die kleinen Mädchen die Vagina verstümmeln, tun das nicht aus Willkür und auch nicht in böser Absicht, sondern aus Treue zur Tradition und vielleicht auch, weil es ihnen auch angetan wurde. Sie verfügen aber nicht über die innere Freiheit, es anders zu wollen. Deswegen nenne ich so etwas nicht "Willkür".
Und Dekonstruktion und Gehirnwäsche kann nur stattfinden, wo schon vorhandene Konstrukte beseitigt werden, um dann neue an ihre Stelle zu setzen. Bei Kindern, die pimär sozialisiert werden, sind aber noch keine Konstrukte vorhanden, können also auch nicht weggewschen werden. Deswegen spreche ich da nicht von Gehirnwäsche.
Gehirnwäsche wäre es z.B., wenn ich einem Jungen, der es gewahnt ist, frei zwischen Röcken und Hosen zu unterscheiden, diese Entscheidungsfreiheit nähme und ihm bebrächte, nur noch Hosen tragen zu wollen und das als normal zu empfinden. Umgekehrt aber auch: Das Nur-Hosen-tragen-als-normal-Empfinden wegzuwaschen und dem Jungen die Überzeugung einzuimpfen, die freie Wahl zu haben, sei normal auch für Jungs, ist auch eine Gehirnwäsche. So gesehen muss Gehirnwäsche nicht unbedingt schlecht sein. Im grunde funktioniert echtes Lernen im Sinne von Akkomodation immer so. Es besteht aber ein Unterschied darin, ob es dem Betroffenen bewusst ist, dass da eine De- und Neukonstruktion stattfindet und ob er sie aktiv unterstützt oder ob es ihm manipulativ, ohne dass er es merkt, aufgezwungen wird.
Verstehst Du, was ich meine?
LG, Micha