Micha,
das liegt an Deinen langen Armen, mit denen Du wohlwollend die ganze Welt umarmen möchtest.

Ich bin dieser Woche auf einem Schildermast einem Aufkleber begegnet, auf dem stand:
SCHWUL
FRAU
SCHWARZ
INDIVIDUUMIch musste lächeln.
Man muss nicht irgendeiner vermeintlich (oder auch nicht vermeintlich) einer zu begünstigten Gruppe - oder hervorzuhebenden Gruppe - angehören, um dennoch ein gleichberechtigtes Leben führen zu dürfen bzw. ein Individuum sein zu dürfen.
Dieser plakative Aufkleber grenzt zwar genau die da erwähnten Gruppen aus, was man als diskriminierend auffassen kann, gerade als 'Betroffene/r'. Aber selbst, wenn man sich einer der durchgestrichenen Gruppen zugehörig fühlt könnte man die Botschaft des Aufklebers als positiv auffassen, denn es spielt keine Rolle, ob Du schwul bist, eine Frau, oder schwarz, Du bist ein Individuum, so wie jeder, und hast die gleichen Rechte so wie jeder.
Insofern musste ich schmunzeln, weil der scheinbar ausgrenzende Aufkleber eigentlich ein inkludierender ist. Und die beispielhaft genannten Gruppen stehen eben nur exemplarisch dort, es hätte alles andere da genannt werden können.
Aber auch wenn es Dich nervt, solcherlei Betonungen wie von Dir oben angeführt, Du gibst Dir ja selbst die Antwort:
Ja gut, solche Betonungen sind wichtig, die normal sein wollenden Männer da abzuholen, wo sie sind und ihnen auch als normal sein wollenden Männern den Weg ins Röcketragen zu ermöglichen. Trotzdem finde ich diese Abgrenzungen überflüssig und letztlich kontraproduktiv, wenn man für eine Gesellschaft ohne geschlechtliche Diskriminierung ist.
Ja, trotz Deinem Empfinden empfinde ich eben genau aus Gründen des ersten zitierten Satzes es wichtig, dies zu betonen.
Denn in einer Gesellschaft, in der das Verständnis für Andersartigkeiten wächst, steigt der Druck, sich selbst ausdifferenzieren zu müssen, auch wenn man das gar nicht möchte.
Wer sich z.B. als 'herkömmlicher Mann' fühlt und herkömmlichen Mustern brechen will, für den ist eine solche Botschaft wichtig. Und in seinen Augen bestimmt auch wichtig für sein persönliches Umfeld, dass nicht immer nur er, sondern auch mal Medienerwähnungen ihn unterstützen, dass wirklich nichts weiteres damit verbunden ist als einfach nur mit vielleicht mal zu überdenkenden Mustern zu brechen.
Das arbeitet wider Vorurteilen. Gegen Vorurteile gegenüber Betroffenen alteingesessener Gruppen, aber auch gegen Vorurteile der immer präsenter werdenden Gruppen, die ein berechtigtes Interesse haben, wahrgenommen und betont zu werden. So allumfassend eben wie oben erwähnter Aufkleber.