Hallo Jürgen,
Kleidung hat kein Geschlecht. Abgesehen von der Schutz- und Schmuckfunktion dient Kleidung dazu, die Unterschiede zwischen den Geschlechter heraus zu stellen. Bekleidung für Frauen wird in der Regel figurnah geschnitten und zeigt mehr Haut. Beispiele dafür sind 3/4-Armlänge, tiefe Front- oder Rückenausschnitte und kurze Rumpflängen. Männerschnitte sind weiter, länger, breiter. Ideales Beispiel hierfür ist das Sakko: Breite Schultern, V-förmig und langer Arm.
Kleidung ist ungeschlechtlich, aber Form und Material werden entsprechend dem Geschlecht, für die sie gedacht ist, differenziert. Für Frauen werden weiche Materialien verwendet, für Männer grobe. Das wird von den Modeschaffenden so vorgegeben, die meinen, dass ihre Kunden es so wollen. Die Kunden nehmen die Entwürfe so an, weil sie glauben, dass die Modemacher es besser wissen, als sie selbst.
Die Problematik ist eine Folge unserer Kulturgeschichte. Hier wirken christlich, preussiche Einflüsse nach. Der Mann wird immer noch als strammer Offizier gesehen (das ist der Ursprung unseres heutigen Anzugs). Der Mann hat Härte zu ertragen und zu zeigen. Das muß auch sein Bekleidung zum Ausdruck bringen. Dafür stehen Schurwolle, Baumwolle oder Leinen. Samt, Seide und Taft stehen für Weichheit und Geschmeidigkeit, die ein Mann nicht zeigen soll. Mann ist zackig und kantig.
Der Mann das feige Geschlecht. Frauen spielen mit Kleidung. Sie bedienen sich problemlos in der Männergarderobe. Hose, Sakko und Schlipps sind kokett, die Jeans selbstverständlich. Frauen spielen mit der Erotik der Kleidung und Materialien und auch mit der Homoerotik der Männern. Frauen in Männerkleidung (für Männer geschneiderte Kleidung) sind für Männer und Frauen gleichermaßen attraktiv. Männer sollen ihre Erotik bitte schön im ehelichen Bett ausleben, aber nicht mit ihrer Kleidung öffentlich zur Schau stellen. Ein Mann in Seide oder Taft ist nicht etwa sinnlich, sondern will eine Frau sein, ist die übliche dumpfe Denke. Das Schlimme ist, die Männer, die es eigendlich besser wissen müssten, haben die gleichen Denkblockaden, wie die Frauen.
Die Gesellin auf der Walz braucht keine Frauenkluft. Ganz selbstverständlich trägt sie die selbe Kleidung, wie ihre Kollegen. Ein Kellner mit Rock und Spitzenschürze dürfte sich kaum der Akzeptanz am Arbeitsplatz erfreuen, es sei denn, er schafft eine glaubhafte Travestie. Damit komme ich auf den Unterschied, den ich sehe. Frauen erlaubt man die Travestie, solange sie als Frau erkennbar bleibt. Männern erlaubt man die Travestie nur, wenn sie nicht mehr als Mann erkennbar bleiben. Es geht anscheinend um den Schutz eines Männerbildes, dass seinen Ursprung in Soldatentum hat. Es geht um Homophobie und um die Aufrechterhaltung von Unterschieden zwischen Männern und Frauen. Dabei geht es trotz Emanzipation der Frauen immer noch die Aufrechtherhaltung männlicher Macht und Vorrechtstellung. Frauen erarbeiten sich fleißig und subversiv ihre Freiheitenund Rechte. Männer halten an ungeprüft übernommenen Vorurteilen fest und verteidigen einen Status, der ihnen nur Frust, Übergewicht und Herzinfakt einträgt. Männer werden heute nicht mehr reif, bleiben ihr Leben lang als kleine Jungs an Mutter Rockzipfel hängen. Wenn Mami sagt, Männer tragen keine Röcke, dann trägt der brave Sohn sowas eben nicht. Weil Papi auch nur ein in die Jahre gekommener braver Sohn einer Mutter ist, brauch Sohnemann bei im keine Rückendeckung suchen.
Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind verschwindend gering. Die meissten Verhaltensunterschiede sind anerzogen. Bezogen auf die Kleidung bedeutet das: Männer brauchen in der Bekleidung mehr Platz im Schritt (daher sind Röcke ja ideal für Männer), Fauen mehr Platz im Brustbereich. Es gibt keinen rationalen Grund warum Männer sich nicht Schminken, nicht weiche Materialien oder figurbetonende, sinnliche Kleidung tragen sollten. Das hat es in vergangenen Jahrunderten alles gegeben.
Es wird aber wohl immer Unterschiede zwischen Kleidung für Männer und Frauen geben, wie die Differenzierung der Geschlechter generell. In wirtschaftlich und politisch unsicheren Zeiten wird das Bedürfnis nach Unterscheidung sogar wieder verstärkt. Dadruch, dass immer öfter Männer im Wettbewerb mit Frauen am Arbeitsmarkt unterliegen, wächst aber der Druck auf die Männer, neue Lebensmodelle und Entwürfe für sich zu suchen. Deshalb sehe ich in den aus der Globalisierung erwachsenen Problemen durchaus Chancen für die Männer, sich von einem überkommenen Männerbild zu befreien. Ich denke, das wird auch in der Kleidung für Männer Niederschlag finden.