Hallo John,
ich muss noch mal an meinen Beitrag von eben anknüpfen, weil der gestern noch ganz frisch geschrieben war und ich nur kurze Zeit später wieder an meine Worte sehr stark erinnert wurde.
Besonders bezogen auf jene zwei, drei Kernsätze:
Aber das {die Scheu mir nehmen} musste ich mir ja auch über viele Jahrzehnte erst antrainieren. Damals gab es noch sehr viel mehr Kommentare und Reaktionen, darunter auch durchaus bös gemeinte Kommentare oder Blicke. Im Vergleich zu heute ist das aber gar nicht mehr vorstellbar, so heftige und geballte Reaktionen zu bekommen.
Ich bin nämlich kurz nach diesem Beitrag gestern an einer Bushaltestelle vorbeigekommen mit einer Menschentraube von Schülern, die gerade den Heimweg nach Schulende antraten, die mir weitestgehend im Weg standen und wir weitestgehend uns arrangieren mussten, damit ich da durch kam.
Zudem war nach dieser Haltestelle einen kurzen Abschnitt weiter eine andere Haltestelle mein Ziel, an der eine noch größere Menschentraube von Schülern gestanden hat, alle so geschätzt etwa 7. oder 8. Klasse plusminus.
Im obigen Beitrag sprach ich von Reaktionen von heute im Vergleich zu früher.
'Früher' - ich habe es noch sehr präsent im Kopf - habe ich anfangs jede Gruppierung von zwei, drei Jugendlichen oder mehr gemieden. Ich wechselte oft die Seite des Platzes oder die Straßenseite, nur um eine direkte Begegnung zu vermeiden. Was nicht selten nicht sehr viel half, weil die Gruppe Jugendlicher sich trotzdem amüsierte und eventuell lautstark quer über den Platz/die Straße Kommentare abgab.
Ich merkte zwar im Laufe der Zeit, dass es deutlich glimpflicher ablief, wenn ich der direkten Konfrontation nicht aus dem Weg ging. Aber dennoch war eine Schülergruppe an einer Bushaltestelle ein regelmässiger Garant dafür, dass ein Raunen durch die Gruppe ging und wenigstens leichtes Gelächter und zwei, drei mindestens kurze Muckser aus der Menge kamen, die an mich eher diskreditierend gerichtet waren - früher.
Heute - genauer gesagt gestern bei der erwähnten Situation - war das vollkommen anders. Ich beobachte dies zwar schon seit längerem, aber weil gestern "die Tinte meines Beitrags" noch nicht trocken war, ist es mir wert, dies hier explizit zu erwähnen:
Die erste Schülergruppe (ca. 30), bei denen ich recht beengt vorbeilief, reagierte gar nicht. Nein, das ist nicht korrekt, wer mich kommen sah, versuchte mir Platz zu machen. Aber es gab keinerlei Raunen durch die Menge und keine drei, fünf oder gar 30 Schüler drehten sich zu mir um, um mich zu bestaunen oder zu belachen. Sicherlich gab es einige, die in ihr Smartphone vertieft waren, aber die Mehrzahl unterhielt sich miteinander, tollte miteinander altersgemäß rum oder machten sowieso Scherze untereinander, die aber mit mir nichts zu tun hatten, was man in diesem Alter halt so beim Warten auf den Bus unter Menschen macht, die eine teils vertraute Zwangsgemeinschaft bilden. Sie hätten meine Erscheinung im wehenden Faltenrock in ihre Scherze oder gesteigerte Aufmerksamkeit einbinden können - aber nichts dergleichen geschah.
Die zweite Schülertraube an der zweiten Haltestelle ähnliche Situation. Es waren ca. 40 oder 50, ähnliche Altersmischung. Aufgrund des weitläufigeren Geländes etwas lockerer verteilt. Die konnten mich schon etwa eine Minute ankommen sehen mit meinem wehenden Faltenrock. Reaktion: ebenso keine. Dann stand ich am Rand der Traube und wartete noch, bis der Bus vorfuhr:
Wir quetschten uns alle gemeinsam noch in den anschließend übervollen Bus, um etliche Minuten gemeinsam zu fahren, dicht gedrängt. Bei den nächsten Stationen musste ich aussteigen, um einige Schüler (und Schülerinnen, sorry, dass ich die Mischung der Einfachheit halber erst jetzt erwähne) rauszulassen, um dann mit anderen, die auch Platz gemacht hatten, wieder erneut in den Bus einzusteigen (und weiterhin teils mühsam zu stehen).
Spürbare Reaktion auf meine Erscheinung: Keine!
Früher wäre das anders gewesen. Da ich vorne in Fahrernähe stand, hätte die Info, dass da ein Mann mit Rock (oder was auch immer daraus für eine Info gemacht worden wäre) steht, spätestens nach 20 Sekunden die letzte Bank im langen übervollen Bus erreicht. Ein Raunen, Lachen und blöde Laute, verletzende Kommentare wären ständig aus der Menge gekommen. Nichts dergleichen geschieht heutzutage, nichts dergleichen geschah gestern.
Ich hätte mich extrem unwohl fühlen können, zumal ich weiss, wie schlimm wir damals in diesem Alter drauf waren. Nichts, aber auch gar nichts geschah, um sich unwohl zu fühlen (ausser die Enge, wo Zwangskuscheln mit dem einen oder der anderen Schüler/in nicht ausbleiben konnte, zumal der Fahrer einen sehr eckigen Fahrstil aufwies).
Eigentlich wollte ich die Busfahrt mit Dauer von etlichen Minuten nutzen, um was am Handy zu erledigen; war natürlich nicht denkbar, Drum musste ich die ganze Zeit an meinen frischen Beitrag hier im Thread denken und an die Tatsache, wie liberal und wie wenig unter gesellschaftlichem Druck wir doch heute leben. Das wäre vor 20 Jahren so noch längst nicht der Fall gewesen.
Mehr noch: Durch die Fußgängerzone musste ich einen längeren Streckenabschnitt im Bereich von vier männlichen Jugendlichen laufen, die sportlich gekleidet waren und recht lautstark miteinander alberten - über dies und jenes. Viererkette. Sie liefen ähnlich schnell wie ich, aber doch etwas langsam. Sie nervten mich, weil im Gegenverkehr der Passanten es etwas schwer war, sie zu überholen, was mir dann gelang. Gut 150 Meter liefen die dann hinter mir her - sie wählten auch immer jenen "Korridor", den ich durch die bewegten Passanten wählte. Eigentlich sass mir die ganze Zeit das potentielle Unbehagen im Nacken, dass ich Ziel ihrer Albereien sein könnte.
Insofern war ich froh, als ich kurz etwas auf der Seite erledigen musste. Nach diesem sehr kurzen Zwischenstopp setzte ich meinen Weg draussen durch die Menge fort.
HInter der nächsten Ecke lief die albernde Viererkette halbstarker Jugendlicher wieder vor mir her - wieder die selbe Situation: Ich wollte ein paar Zentimeter pro Sekunde schneller gehen und angestrengt sie überholen. Wie der Zufall so wollte, gabelte sich unser Weg erneut eins, zwei Minuten nicht - ich hatte sie wieder im Nacken...
Und was soll ich sagen: Nichts ist passiert! Keiner hat auch nur im Ansatz auf mich Bezug genommen. Einer machte mir sogar ein wenig Platz bei meinem zweiten Überholvorgang. Und die letzten 100, 200 Meter waren sehr viel übersichtlicher als zuvor - also musste ich ihnen umso mehr ins Auge fallen.
Und auch hier - mit der halbstarken Viererkette - wieder der Beweis: Du erlebst nichts, was Dich abhalten müsste, Rock zu tragen. Es kommt Dir vor, als sei Rocktragen normal. Und wenn so damit umgegangen wird, als sei es das normalste der Welt, dann braucht man sich auch nicht verunsichern lassen, dass man etwas unnormales machen würde. Ja - es ist vielleicht nicht üblich, als Mann Rock zu tragen, aber es ist nichts, was die Mehrzahl der Leute nicht ertragen könnte. Nichts, wovon die Leute Dich abhalten wollen.
Lass auch Du Dich nicht davon abhalten, John! Oder Du oder Du, die Ihr hier alle mitlest!