Lieber Holger,
wer sind Deine Ursulinen? Da habe ich wohl mal was nicht mitbekommen.
LG, Micha
Meine Ursulinen sind meine Chefs. Ihr Orden ist der Eigentümer unserer Bildungseinrichtung. Die haben lange den Hosengebrauch durch Frauen blockiert (obwohl sie selber, allerdings nur in inoffizieller Funktion, Hosen tragen). Nur an der Uni sieht man öfter Frauen in Hosen. Am College werden etwa zu 95% Röcke getragen.
Ah so, lieber Holger.
Tja, was soll ich da raten oder mutmaßen? Ich kenne den Orden nur dem Namen nach, weiß nicht, wie er drauf ist und so tickt. Es gibt sehr konservative Orden und eher liberale. Aber religiöse Institutionen neigen meistens mehr zum Konservatismus. Ich finde generell die Verbindung von Religiosität und Konservatismus weiter verbreitet als die von Religosität und Liberalismus, die es aber sehr wohl auch gibt.
Pass mal auf, ich kopiere hier mal einen kleinen Text rein, den ich neulich in der Bahn schrieb. Der hat zwar nicht direkt was mit Deiner Frage zu tun, aber mit einem größeren Rahmen von Einstellungen:
*
Eine Idee: Der weltweit zu beobachtende sog. Rechtsruck hin zu Nationalismus, Religionismus, Rassismus, Sexismus usw. oder zumindest zum Konservatismus ist evtl. auch eine Folge von Überforderung in einer immer komplexer werdenden Welt. Der Einzelne sieht sich einer unüberschaubar werdenden Anzahl an Weltbildern, Interpretationen, Lebensentwürfen, Alternativen usw. ausgesetzt, in der er die Orientierung verliert.
Gemäß der Psychologie der Persönlichen Konstrukte konstruieren wir unsere Weltbilder binär oder bipolar. Wenn das tatsächlich eine anthropologische Konstante ist, dass wir intuitiv binär denken, erfordern komplexe, multiple Weltbilder ein Mehr an Lernleistung oder Akkomodationsleistung, das nicht jeder gleich gut aufbringen kann. Dazu braucht man Muße, während man unter Stress leicht in einfachere, binäre Denkmuster zurückfällt. Wirtschaftliche Unsicherheit oder gar Gefühle des Bedrohtseins bringen Stress, genauer Distress, hervor. Die Unüberschaubarkeit der internationalen Wirtschaft und Politik, der modernen Wissenschaften und der Vielfalt an Religionen und Ethnien, erzeugt in vielen Menschen dieses Gefühl der Bedrohung und daher Distress.
So sind viele Menschen bereit, ihre Weltbilder auf überschaubare, binäre Muster zu reduzieren: wir – andere, vertraut – fremd, Inländer – Ausländer, gläubig – ungläubig, schwarz – weiß, männlich – weiblich, gut – böse usw. Zwischenstufen oder multiple Identitäten werden abgelehnt, da zu komplex und daher nicht kontrollierbar.
Konservatismus oder radikale Ideologien wie die oben genannten dienen also der Komplexitätsreduzierung, um so zu klaren, eindeutigen, binären Orientierungen zu gelangen. So sieht es zumindest aus der Sicht des einzelnen Menschen aus. Ob die ideologischen Wortführer auch so denken, oder ob sie den Drang zur Komplexitätsreduzierung nur ausnutzen, um Macht über die Menschen zu gewinnen, ist eine andere Frage.
Gleiches gilt freilich auch für sog. linke Ideologien. Diese Aufteilung in links und rechts ist ja auch nur eine binäre, reduzierte Sichtweise. Die Wirklichkeit ist komplexer.
Den Drang zur Komplexitätsreduzierung und damit zu konservativer oder radikaler Geisteshaltung einfach zu verurteilen wäre nun selber ein reduktiver, binärer Akt. Dieser Drang ist Teil unserer Natur, weil wir Komplexität immer wieder reduzieren müssen, um handlungsfähig zu bleiben. Wichtig wäre es aber, sich dieser Reduzierung bewusst zu sein, also zu wissen, dass wir Komplexität reduzieren und die Welt nicht wirklich binär ist. Letztlich muss Komplexitätsreduzierung eine Methode der Komplexitätstoleranz werden. Wir dürfen also nicht zu der Meinung kommen, „die Welt ist einfach a und b oder x und y“, sondern „ich weiß, dass die Welt komplexer ist, reduziere jetzt aus pragmatischen Gründen aber mal auf a und b oder x und y“.
Im Übrigen gibt es aber auch Menschen, die die Komplexität der Welt benutzen, um sich selber als Experten und andere als Nichtfachleute, denen man ein a für ein o vormachen kann, zu gerieren. Wer sich dermaßen als dumm oder unwissend hingestellt sieht, fühlt sich auch schnell verunsichert und unfähig, selber die Kontrolle in der Hand zu behalten und nihiliert das Expertentum derjenigen, die ihn so hinstellen. Das ist ja derzeit auch zu beobachten, dass von den „Rechten“ Wissenschaftlern, Journalisten und Politikern unterstellt wird, mit Absicht falsch zu informieren und in Wahrheit nur Macht ausüben zu wollen. Ganz sicher gibt es tatsächlich solche Experten, aber da wieder zu unterscheiden, wer mit Absicht in die Irre führt, wer nach bestem Wissen und Gewissen trotzdem falsche Fakten für richtige Fakten hält und wer tatsächlich die Wahrheit sagt, die aber wirklich so komplex ist, dass man sie als Nichtexperte nicht versteht, erfordert wiederum ein sehr differenziertes und komplexitätsdurchschauendes Denken.
Es ist halt nicht so einfach!
*
Ich weiß nicht, ob das jetzt weiterhilft. Guck doch mal einfach, wie Deine Ursulinen so reden und denken, mehr binär oder mehr multiperspektivisch.
LG, Micha