Autor Thema: Kopftuch  (Gelesen 5431 mal)

Offline MAS

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Kopftuch
« am: 10.12.2003 09:33 »
Hi Folks,

hin und wider wird hier das Kopftuchthema mit dem Rockthema vergleichen und gesagt, eine Lehrerin dürfe kein Kopftuch tragen, da dieses ein religiösen Symbol sei und es mit der religiösen Neutrlität des Staates nciht vereinbar sei.

Zur Gedankenanregung gebe ich hier eine Mail aus dem Verteiler der Islamsichen Hochschulvereinigung Bonn wieder.

MrG

Michael

*
Hier die Mail, die ich aber teilen muss, da sie sonst wegen der Länge nicht akzeptiert wird:


Liebe Geschwister und liebe Freunde,
 
bitte lest diesen Artikel mit Sorgfalt durch und wenn Ihr, wie ich auch, der Meinung seid, diese Pressemitteilung weiterzumailen, dann tut dies. Ich finde, dass es ist z. Zt. sehr wichtig ist, die Bemühungen in der Frage des Kopftuchs seitens der Politik zu unterstützen, z.B. mit einem positivem Resonanzschreiben an die Unterzeichnenden etc...
 
Euch allen viel Standhaftigkeit und Geduld bei euren aufrichtigen Bemühungen Gottes Wohlgefallen zu erlangen.
 
Wassalam
 
Haluk
 
Pressemitteilung 1.12.2003
in einem bundesweiten Aufruf mit dem Titel "Religiöse Vielfalt statt Zwangsemanzipation! - Aufruf wider eine Lex Kopftuch" haben sich über siebzig namhafte Frauen aus Politik und Gesellschaft für eine differenzierte Haltung im "Kopftuchstreit" ausgesprochen. Der Appell wurde initiiert von Marieluise Beck, Prof. Barbara John und Prof. Rita Süssmuth und heute in Berlin der Presse vorgestellt.
http://www.integrationsbeauftragte.de/aktuell/AufrufUnterzeichnerinnen.pdf
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"Religiöse Vielfalt statt Zwangsemanzipation!"
- Aufruf wider eine Lex Kopftuch -
Das Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat eine breite Diskussion ausgelöst. Bei allem Verständnis für diese Meinungsvielfalt sehen wir doch mit Sorge, welche Richtung diese Diskussion an vielen Stellen nimmt und wie Islam und Fundamentalismus oft undifferenziert gleichgesetzt werden. Letztendlich geht es bei der Debatte wiederum um die Frage, ob wir zu einem gleichberechtigten Miteinander der Religionen in unserer Einwanderungsgesellschaft bereit sind.
Sicherlich: Die Politisierung des Glaubens macht den Umgang mit dem Islam insgesamt und in Deutschland nicht einfach. Wir wissen um die demokratiefeindlichen, antisemitischen und frauenfeindlichen Strömungen im Islam, die nicht zu unserem Menschenbild und Verständnis von Emanzipation und Modernität passen. In Fragen der Werteordnung unserer Grundrechte gibt es keinen Spielraum. Wir alle verteidigen diese Rechte mit Entschiedenheit. Differenzen gibt es aber in der Frage, welches der bessere Weg ist.
Kopftuch, Schleier und Burka sind für islamische Fundamentalisten Instrumente zur Unterdrückung der Frau und unverzichtbare politische Symbole. Das Tuch auf dem Kopf einer Frau kann also ein politisches Symbol sein.
Klar ist daher: Sollte eine Kopftuchträgerin in eben dieser Weise in einer Schule agieren wollen, ist sie für den Beruf der Lehrerin nicht geeignet. Diesen Frauen sollte und kann mit Hilfe der individuellen Eignungsprüfung und dem Disziplinarrecht Einhalt geboten und sie so vom Schulunterricht ferngehalten werden.
Wir wissen allerdings auch: Nicht jede muslimische Frau, die sich für das Kopftuch entscheidet, vertritt den politischen Islam oder sympathisiert mit ihm. Gerade Frauen in der Diaspora greifen auf das Kopftuch zurück, um mit Selbstbewusstsein ihr Anderssein zu markieren oder eine Differenz im Verständnis von Sittsamkeit und Tugendhaftigkeit gegenüber der Aufnahmegesellschaft zu dokumentieren. Emanzipation und Kopftuch sind für viele Musliminnen eben kein Widerspruch.
Wenn wir ohne Prüfung der individuellen Motive generell Frauen mit Kopftuch vom öffentlichen Schulleben ausschließen, treffen wir gerade die Frauen, die mit ihrem Streben nach Berufstätigkeit einen emanzipatorischen Weg beschreiten wollen.
Da das Kopftuch ein geschlechtsspezifisches Merkmal ist, treffen wir zudem immer nur Frauen und nie den Mann – weder als Unterdrücker noch als politisch Agierenden. Um männliche islamische Fundamentalisten vom Schuldienst fernzuhalten, stehen uns die – wie wir finden auch für Frauen ausreichenden – Instrumente der individuellen Eignungsprüfung und des Disziplinarrechts zur Verfügung.
Es steht zu befürchten, dass das Verbot des Kopftuchs für Lehrerinnen die allgemeine gesellschaftliche
Stigmatisierung derjenigen Frauen, die es tragen, vorantreibt. Mit der Botschaft, das Kopftuch sei per se politisch und gehöre daher verboten, wird diese Einordnung auch die Frau in der Arztpraxis, die Verkäuferin und vielleicht bald auch die Schülerin treffen. Dies kann nicht in unserem Sinne sein. Es gilt, muslimische Frauen auf ihrem Berufsweg zu stärken und es ihnen damit möglich zu machen, einen selbstbewussten, frei gewählten Lebensentwurf zu verfolgen.
Durch ein Kopftuchverbot würden sich viele Muslime in der Einschätzung bestärkt fühlen, sie seien gesellschaftlich ausgegrenzt und chancenlos. Auf Ausgrenzungserfahrungen folgt häufig der Rückzug aus der Mehrheitsgesellschaft. Undemokratische islamische Organisationen wissen dies auszunutzen, dies ist der Nährboden für radikale Gesinnungen.
Nur wenn wir deutlich machen, dass wir nicht den Islam als Religion ablehnen, sondern uns gegen Fundamentalismus und antidemokratische Einstellungen verwahren, werden wir die Auseinandersetzung um den politischen Islam gemeinsam mit der muslimischen Bevölkerung führen können.
Jenseits der Frage, ob man für eine striktere Säkularisierung der Institution Schule eintritt oder auch dort die religiöse Pluralität unserer Gesellschaft sichtbar werden lassen will, ist die Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften verfassungsrechtlich geboten. Eine unterschiedliche Behandlung islamischer Symbole gegenüber den christlichen und jüdischen ist integrationspolitisch äußerst problematisch, verstärkt Konflikte statt sie zu reduzieren. Ein von einem generellen Verdachtsmoment abgeleitetes Kopftuchverbot, das zudem noch geschlechtsspezifisch wirkt, wäre eine religiös bedingte Diskriminierung mit praktischen Berufsausschluss.
Weil in vielen islamischen Ländern Frauen und Mädchen gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen, wollen wir sie zwingen, es abzusetzen. Fällt uns wirklich nichts Besseres ein, um ihnen zu mehr Bildung und Selbstbestimmung zu verhelfen? Oder wollen wir gar mit dem Kopftuchverbot alle religiösen Symbole in Bildungseinrichtungen verbieten?
Wir appellieren an Politik und Gesellschaft, die Gleichstellung von muslimischen Mädchen und Frauen nicht am Nein zum Kopftuch fest zu machen.


(Weiter geht es im nächsten Posting.)
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Offline MAS

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Re:Kopftuch
« Antwort #1 am: 10.12.2003 09:33 »
Hier die Fortsetzung:
Unterzeichnerinnen:
• Marieluise Beck MdB, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration
• Prof. Dr. Barbara John, Koordinatorin für Sprachförderung, Ausländerbeauftragte des Berliner Senats a.D.
• Prof. Dr. Rita Süssmuth, Vorsitzende des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration, Präsidentin des Deutschen Bundestages a.D.
• Sabine Bätzing MdB, SPD
• Almuth Berger, Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg
• Grietje Bettin MdB, Bündnis 90/Die Grünen
• Marianne Birthler, Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik
• Maren Bock, Geschäftsführerin belladonna, Kultur- und Bildungszentrum für Frauen e.V., Bremen
• Prof. Dr. Ursula Boos-Nünning, Universität Duisburg/Essen, Fachbereich Migrationspädagogik
• Karin Bräuer, Pädagogikreferentin im Ev. Missionswerk in Deutschland
• Nicola Bramigk, Designerin, Berlin
• Renan Demirkan, Schauspielerin und Autorin
• Fanny Dethloff, Pastorin, Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche
• Dr. Havva Engin, Technische Universität Berlin, Fachbereich Erziehungswissenschaften
• Gisela Erler, Geschäftsführerin pme Familienservice GmbH
• Ursula Ernst, AWO, Region Hannover, Leiterin Wohnheim für Flüchtlinge und Asylbewerber
• Gabriele Erpenbeck, Ausländerbeauftragte des Landes Niedersachsen
• Bärbel Fünfsinn, Theologische Referentin im Nordelbischen Missionszentrum, Referat Lateinamerika/Gender und Ökumenische Beziehungen, Hamburg
• Dr. h.c. Liselotte Funcke, Staatsministerin a.D., Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen a.D.
• Prof. Dr. Ute Gerhard, Universität Frankfurt, Schwerpunkt Frauenarbeit/Frauenbewegung
• Adrienne Goehler, Kuratorin beim Hauptstadtkulturfond, Wissenschafts- und Kultursenatorin a.D.
• Prof. Dr. Ingrid Gogolin, Universität Hamburg, Institut für Schulpädagogik
• Angelika Graf MdB, SPD
• Angelika Gramkow MdL, Fraktionsvorsitzende der PDS im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern
• Prof. Dr. Carol Hagemann-White, Universität Osnabrück, Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften
• Anja Hajduk MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Landesvorsitzende Hamburg
• Josefine Hallmann, Vorsitzende der ev. Frauenarbeit in Deutschland e.V.
• Christine Hoffmann, Referentin für Jugend- und Frauenpolitik des Bundes der deutschen katholischen Jugend Bundesvorstandes
• Marianne Hürten MdL, Bündnis 90/Die Grünen NRW, Frauenpolitische Sprecherin
• Maria Jepsen, Bischöfin, Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, Bischofskanzlei im Sprengel Hamburg
• Dr. Gerdien Jonker, Ph.D., Religionswissenschaftlerin
• Dr. Yasemin Karakasoglu, Universität Duisburg/Essen, Fachbereich Migrationspädagogik
• Ingeborg Kerssenfischer, Leiterin des Frauenreferates der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche
• Elisa Klapheck, Chefredakteurin jüdisches berlin
• Dr. Heidi Knake-Werner, Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz in Berlin, PDS
• Irmgard Koll, Dipl.-Dolmetscherin, Bundesvorstand Humanistische Union
• Dr. Dorothea Kolland, Kulturamtsleiterin Berlin/Neukölln, Mitglied im Vorstand der Kulturpolitischen Gesellschaft
• Phuong Kollath, Vorstandsmitglied Dien Hong – Unter einem Dach e.V.
• Renate Künast MdB, Bündnis 90/Die Grünen
• Ingrid Lange, Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Hannover, Bündnis 90/Die Grünen
• Dr. Silke Ruth Laskowski, Universität Hamburg, Geschäftsführerin der Forschungsstelle
für Rechtsfragen der Internationalen Migration
• Christine Lehder MdB, SPD
• Sabine Leutheusser-Schnarrenberger MdB, FDP, Bundesjustizministerin a.D., Landesvorsitzende der FDP Bayern
• Prof. Dr. Hanna Liss, Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg
• Sylvia Löhrmann MdL, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen
• Dr. Christine Lucyga MdB, SPD
• Anna Lührmann MdB, Bündnis 90/Die Grünen
• Coletta Manemann, Landesgeschäftsführerin des Verbandes binationaler Familien
und Partnerschaften, iaf e.V./NRW
• Margret Mönig-Raane, Stellvertretende Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft
(Ver.di)
• Schwester Barbara Müller, Dipl. Psychologin und Dipl. Theologin, Oberstudienrätin i.R.
• Prof. Dr. Ursula Neumann, Universität Hamburg, Fachbereich Erziehungswissenschaft
• Laila Noor, Modedesignerin, Bremen
• Brunhilde Raiser, Vorsitzende der Evangelischen Frauenhilfe in Deutschland e.V.
• Friedericke Raum-Blöcher, Pastorin für Verständigungsarbeit, Hamburg-Wilhelmsburg
• Katja Riemann, Schauspielerin und Sängerin
• Prof. Dr. Birgit Rommelspacher, Alice Salomon Hochschule Berlin
• Claudia Roth MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt
• Katharina Rutschky, Publizistin
• Krista Sager MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Wissenschaftssenatorin a.D.
• Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin a.D., FDP
• Ulrike Seemann-Katz, Landesgeschäftsführerin Bündnis 90/Die Grünen, Mecklenburg-
Vorpommern
• Anna Siegismund, internationales Model, vivamodels Berlin
• Maria Siegismund, internationales Model, vivamodels Berlin
• Cornelia Spohn, Bundesgeschäftsführerin des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V.
• Dr. Eva-Maria Stange, Vorstandsvorsitzende der GEW
• Marianne Theil, Vorstandsmitglied Aktion Courage e.V.
• Angelika Voland MdL, SPD Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern
• Sybille Volkholz, Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung
• Bärbel Wartenberg-Potter, Bischöfin für den Sprengel Holstein-Lübeck
• Beate Weber, Oberbürgermeisterin der Stadt Heidelberg, SPD
• Prof. Dr. Rosemarie Will, Stellvertretende Vorsitzende des Bundesvorstandes Humanistische
Union
• Rosi Wolf-Almanasreh de C. Esteves, Gründerin Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V., ehemalige Leiterin des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt am Main





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Offline cephalus

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Re:Kopftuch
« Antwort #2 am: 10.12.2003 11:27 »
Hallo MAS,
das ist ein interessanter Artikel der in der derzeitigen gesellschaftlichen und politischen Situation allerdings zu starken Kontroversen, ebenso wie das Kopftuchverbot, beitragen kann.
In unserem Grundgesetz wird ebenso wie in der öffentlichen Diskussion immer die Religionsfreiheit und die Gleichstellung der verschiedenen Religionen betont.
Die Emotionen kochen meiner Meinung nach aber genau deswegen hoch, weil diese Grundsätze sich in der Gesellschaft nicht abbilden. Wir sind ein Volk das fast ausschließlich seine Wurzeln im christlichen glauben hat. Das Grundgesetz vertritt aber aufgrund der deutschen Geschichte Werte, die in der realen Gesellschaft nicht wirklich existieren. Ich denke, Verständnis oder Toleranz mittels gesetzlicher Regelungen „erzwingen“ zu wollen leistet beiden Parteien einen Bärendienst.
Für betroffene Muslime und deren Umgebung ist es sicherlich, nicht nur was die Akzeptanz der eigenen Religion anbelangt, zuträglicher sich nicht demonstrativ durch Verhalten oder Erscheinung von der restlichen Bevölkerung abzugrenzen.
Wer so eine Distanz schafft wird sie auch erfahren und Ablehnung auslösen.
Natürlich wäre es schöner, Eine Ausgrenzung würde nicht erfolgen und Resantiments gegen andere Kulturen und Religionen wären nicht vorhanden, aber die Gesellschaft braucht zu solchen Entwicklungen lange und ist derzeit dazu noch nicht in der Lage.
Cephalus

Offline MAS

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Re:Kopftuch
« Antwort #3 am: 10.12.2003 13:53 »
Hi Cephalus,

klar, wenn man sich willentlich abgrenzt, muss man sich cnith wundern, wenn man ausgegrenzt wird. Aber manchmal ist die Abgrenzung eine Folge vorausgehender Abgrenzung.

Dazu hier nich ein Text eines Muslims an Herrn Aust vom Spiegel:

Feindliche Ãœbernahme
Natürlich gibt es anständige Muslime, nur sind sie die Ausnahme. Das
zumindest suggerieren Medien wie etwa "Der Spiegel". Ein offener Brief an
den Herausgeber
Sehr geehrter Herr Aust,

leider schreibe ich Ihnen erst jetzt, da Sie bereits das nächste Heft
herausgebracht haben. Als ich das Kopftuch auf dem Titelbild der letzten
Ausgabe sah, wusste ich schon, dass ich sie besser nicht kaufen sollte. Aber
dann kaufte meine Frau das Heft. Ein paar Tage lag es auf der Fensterbank
neben dem Esstisch, ohne dass ich es nahm, aber als dann heute Morgen die
Zeitung nicht kam, nahm ich es doch und schlug wie zufällig die Seite auf,
auf der Sie die betenden Muslime unter anderem neben verblutenden Hammeln
abgebildet haben. Ich habe den Artikel nur überflogen. Schon bei Ihrem
letzten Islamheft, das die Schiiten zum Titelthema hatte, beging ich den
Fehler, es zu lesen, und wo ich mich unter normalen Umständen nur darüber
gewundert hätte, wie gut ausgebildete, intelligente Journalisten so viele
falsche - nein, nicht tendenziöse oder einseitige, sondern schlicht falsche,
von jedem Fachbuch, jedem seriösen Islamwissenschaftler zu widerlegende -
Informationen in einem Artikel unterbringen können, wo ich mich also
normalerweise nur gefragt hätte, warum sich Ihr Haus kein anständiges
Redigat leistet, da habe ich mich erschrocken.

Ich kenne natürlich den Stil Ihres Magazins, ich weiß, wie Sie Zitate
aneinander reihen, die ursprünglich nichts miteinander zu tun haben, wie Sie
in die Nachrichten vieldeutige Bemerkungen einflechten und bei der Auswahl
der Bilder und ihrer Unterschriften genau darauf achten, dass sie die
Suggestion verstärken. Darüber ist oft geschrieben worden, und man kann
Ihnen viel vorwerfen, aber nicht, dass Sie die Opfer Ihrer Investigationen
nicht mit stets gleicher Lust vorführen. Wenn es die Richtigen traf, Herrn
Flick, Herrn Kohl oder in letzter Zeit Herrn Bush, habe ich mich auch
keineswegs darüber empört, im Gegenteil. Ich weiß schon, es ist kein
Ressentiment, wenn Sie bei einem Aufmacher über die Schiiten, den Islam oder
jetzt über die Muslime in Deutschland auf die gleiche Weise verfahren. Es
ist einfach Ihre Art. Ich habe immer schon gedacht, wie unangenehm es sein
muss, so vorgeführt zu werden, und dass ich schon deshalb froh bin, kein
Politiker zu sein, weil der Montagspranger dann gewissermaßen zum
Berufsrisiko gehören würde. Aber dann stand ich doch da, am Pranger, obwohl
ich nirgends eingetreten bin, nichts unterschrieben habe und der
Verfassungsschutz mir gewiss jede Unbedenklichkeitsbescheinigun g ausstellen
würde, bloß aufgrund meiner Herkunft: als schiitischer Muslim in
Deutschland. Dabei trägt seit zwei Generationen niemand bei uns ein
Kopftuch; nicht einmal einen Bart haben wir uns in den letzten Jahren
zuschulden kommen lassen, es sei denn, ich war wieder mal zu verkatert, um
mich zu rasieren.

Gewiss, Sie werden sagen, dass Sie doch gar nicht die Muslime an sich
angegriffen haben, sondern nur die bösen Fundamentalisten. Das sagt man
immer. Gegen die Juden an sich hatte man auch nichts, und wenn Sie läsen,
wie viele anständige Armenier es Anfang des vergangenen Jahrhunderts in der
Türkei gab, würden Sie staunen. Auch Der Spiegel kennt anständige Muslime,
diese junge Frau etwa am Ende Ihres Artikels, die früher so verbohrt war,
ein Kopftuch zu tragen, und sich endlich befreit hat. Es ist nur gerecht,
dass sie nun auch eine Arbeit findet oder eine neue Wohnung. Schließlich
geht sie neuerdings in die Disco.

Wenn Sie mich kennen lernten, würden Sie sagen, ich gehöre doch auch zu den
so genannten "gemäßigten" Muslimen, und meine Frau, meine Eltern, meine
gesamte Familie ebenso. Ja, wahrscheinlich würden Sie einen Skandal daraus
machen, wenn Leute wie wir keine Arbeit oder keine Wohnung mehr in
Deutschland fänden, schließlich sind Sie kein Rassist. Aber dann würde ich
sagen: Ich bin nicht Onkel Tom. Ich würde sagen, dass ich zu denen gehöre,
nicht zu Ihnen. Ich würde mich in einem "Wir" wiederfinden, das ich zuvor
nicht reflektiert habe, nämlich einem "Wir Muslime". Das ist schrecklich.
Ich will keinem öffentlichen "Wir" angehören; einem Fußballverein
vielleicht, aber doch keiner gesellschaftlichen Randgruppe. Aber Ihr Artikel
zwingt mich in dieses "Wir", indem er Einzelne von uns bewusst ausnimmt,
gewissermaßen adoptiert, nur um den Rest zu Fanatikern zu erklären, zu
Barbaren und Frauenhassern. Da gehöre ich lieber zu den Barbaren als zu
Ihnen. Da beharre ich lieber darauf, dass ich zu einer Kultur gehöre, in der
manche Frauen Kopftuch tragen. Genau das, was Sie heuchlerisch beklagen,
befördern Sie: dass gerade Migrantenkinder der zweiten und dritten
Generation sich - statt sich zu integrieren - immer häufiger in die
Imagination ihrer Elternkultur zurückziehen.

Man kann unterschiedlicher Meinung sein, ob religiöse Symbole wie das
Kopftuch in der Schule einen Platz haben, aber wenn Sie jeder Frau, die es
trägt, schon deshalb Umsturzpläne für Deutschland unterstellen und dass sie
sich in die Unterdrückung ergeben hätte, ist das mehr als nur eine
Verleumdung: Sie heizen jenes Klima noch an, in dem Musliminnen in
Deutschland auf der Straße angespuckt oder aufgefordert werden, zu den
Mullahs zurückzukehren. Das eben ist der Unterschied, ob Sie Ihre Kampagne
gegen eine Partei oder eine gesellschaftliche Gruppe richten: Die Empörung
gegen Letztere entlädt sich nicht bloß auf Wahlzetteln. Indem Sie implizit
gutheißen, dass Frauen mit Kopftuch keine Arbeit mehr finden in Deutschland
oder keine neue Wohnung, gehen Sie viel weiter als Herr Beckstein oder die
Bild-Zeitung - Sie wollen diese Frauen nicht bloß aus den Schulen, sondern
aus dem Land haben. Sie wären nicht die Einzigen, die gehen würden.

Zum Glück aber ist die notwendige, überfällige Diskussion um den Islam in
Deutschland weit differenzierter als in Ihrem aufklärerischen Magazin.

Mit freundlichen Grüßen bin ich Ihr Navid Kermani


P.S.: Die taz bat mich, dem Brief 1.200 Zeichen hinzuzufügen, damit er die
Seite ausfüllt. Das nutze ich, um nachzutragen, wie unwohl mir dabei ist,
den Islam oder die Muslime gewissermaßen zu verteidigen (so jedenfalls muss
es wirken). Ich sehe die Aufgabe des Intellektuellen wie des Literaten
darin, die jeweils eigenen Kulturen in ihrer Abscheulichkeit zu sezieren.
Ich gehe sogar so weit, zu behaupten, dass ich den erbärmlichen Zustand, in
dem sich viele muslimische Länder, ja der Islam als Zivilisation heute
befindet, weit präziser beschrieben habe, als es je in den Floskeln möglich
wäre, auf die Sie den Intellekt Ihrer Autoren wie Leser zurechtstutzen. Um
gar nicht erst der Gefahr des Apologetischen ausgesetzt zu sein, will ich
instinktiv die Augen schließen vor Spiegel-Ausgaben oder Talksendungen zum
Islam. Aber wenn der Nachbar im Kiosk und der Landesverfassungsrichter in
der FAZ, der Historiker aus Bielefeld und der Bischof aus Berlin nach der
Lektüre Ihres Heftes und ähnlich gedankenarmer Publikationen sich mit
genügend Informationen ausgestattet sehen, Fatwas zum Islam abzugeben,
platzt mir gelegentlich der Kragen. Mehr nicht.

**

Auch interessant. Oder?

MrG

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Offline Ben

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Re:Kopftuch
« Antwort #4 am: 11.12.2003 02:54 »
Hallo Michael,

das sind auf alle Fälle interessante Beiträge, die zum Nachdenken anregen.

Gruß

Collantix


 

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