Hallo Dr Heizer,
Das Hauptproblem, beim Röcke tragen hast Du richtig benannt:
"Was könnten die Leute von Dir denken?"
und ich ergänze: "und wie werden sie mich aus diesen Gedanken heraus behandeln?" Die Gedanken allein könnten einem noch gleichgültig sein, aber wenn daraus Handlungen entstehen, kann man sie nicht mehr so einfach ignorieren. Außer dem, was sich in den Köpfen abspielt, und wie Menschen aus diesen Gedanken reagieren, gibt es kein Problem mit dem Rock am Mann. Dieses Problem muß aber bearbeitet werden. Diese Sorgen lassen sich nur durch positive Erfahrungen wirklich abbauen, aber dazu muß man den Mut finden, es trotz dieser Sorgen zu wagen. Die beispielhaften Ansätze, die Du genannt hast, sind gut hierfür.
Gruß,
Jo
Die Ge-dan-ken si-ind frei... , das heißt, es steht jeden frei, das zu denken, was er möchte. Ich weiß auch nicht, was andere denken, doch ich habe in dem einen Jahr viele Menschen erlebt, die
sich nicht nur ihren Teil zum Rock denken, sondern auch handeln. Handeln, in dem sie auch mit mir ins Gespräch kamen. Die meisten Gespräche ergaben sich, wenn ich allein unterwegs war. Es war kein einziges Gespräch dabei, bei dem ich gefragt wurde, ob ich es tue wegen sexueller Orientierung. Ich bin bisher wegen des Rockes noch nicht als "schwul", "Idiot" oder "Spinner" bezeichnet worden. Auch von Halbstarken kam bisher nicht einmal auf der Straße etwas in diese Richtung. Die rufen eher "Guck mal, der hat einen Rock an!" Ach, es ist also den anderen gar nicht aufgefallen oder sie fanden es nicht erwähnenswert. Damit kann ich gut leben!
Vielleicht wurde ich von bösen Verbalatacken
zufällig verschont

vielleicht war auch mein Aufttreten und meine Wirkung ausschlaggebend? Ich bin nicht besonders groß, doch ich trete entschlossen auf, verstecke mich nicht. Ich tue ja niemandem was böses, ich lebe und das gerne.
Das sieht man mir auch (meistens) an.
Was uns Sorge bereitet, ist die Angst davor, dass es doch einmal geschehen könnte? Dass jemand eine Behauptung aufstellt und ausspricht, die nicht zutrifft? Tröstet Euch, anderen geht es genau so. Was hat der Koch oft Sorge, dass es den bewirteten Gästen nicht schmeckt. Meist unbegründet, wenn er es eben wirklich kann. Doch es ist und bleibt eine
Geschmacksfrage, nicht nur des Könnens.
Was kann also der Koch dafür, wenn jemand ein anderes Geschmacksempfinden hat und trotz perfekter Zubereitung und Anrichtung die Speise nicht mag? Nichts. Genau wie bei uns. Wenn ich Rock trage, tue ich es, weil ich weiß, dass ich es kann. Ob es allen anderen
schmeckt? Weiß ich vorher nicht, doch ich weiß, dass ich es gut kann. Ich trage den Rock genau da, wo er hingehört, nicht unterhalb der Achseln, nicht an den Kniekehlen. Dazwischen, so wie eine Hose. Damit weiß ich, wie es geht. Also kann ich es!
Man kann also lernen, wie man ihn anzieht und trägt, dazu braucht es keine Ausbildung von mehreren Jahren oder langjährige Erfahrung: Rock so wie eine Hose anziehen, fertig (Hose anziehen kann ja jeder, daher kann er auch Rock).
Wenn also jemand sagt,
es schmeckt nicht, ist es so nicht richtig, denn es "schmeckt"
nur ihm nicht. Andere können es toll finden. So ist es mit den Speisen genau so, wie mit einem Rock.
Was wäre, wenn jemand so etwas zu mir sagen würde? Problematisch? Nein, der Grund ist: ich entspreche nicht
seinem Bild von einem Mann (Mann trägt Hosen, naja zumindest die meisten hierzulande).
Und er? Er entspricht vielleicht nicht
meinen Bild von einem ordentlich gekleideten Menschen. Von ihm zu behaupten,
er wäre ein Affe, weil er nicht wisse, wie man sich ordentlich kleide, wäre also auch falsch. Genau so falsch, wie allein von einem Kleidungsstück an einem Menschen auf dessen auf sexuelle Orientierung oder politische Gesinnung zu schließen.
So lasse ich ihm seinen Stil, auch seine Gedanken. Wenn wir ins Gespräch kommen, können wir uns darüber austauschen. Fragen nach dem
Warum - ganz ruhig, nett und so erfahren wir vielleicht, was ihn zu diesen Stil bewegt. Oft sind es ähnliche Gründe wie bei uns: er möchte nicht so rumlaufen wie alle anderen. Er findet es toll oder bequem so. Ihn vorher als "Affe" bezeichnet zu haben, täte uns dann vielleicht Leid, es hätte jeden netten und aufschlussreichen Gesprächsansatz zerstört. Das hilt also nicht weiter.
Es wäre also richtig, sich damit zu beschäftigen um aus
Erster Hand etwas zu erfahren, also
von dem Menschen selbst.
So zerstören andere auch oft durch ausgesprochene Vorurteile jeden positiven Gesprächsansatz. Aus
Angst vor bisher Unbekanntem oder Unwillen, sich mit dem Thema weiter zu beschäftigen. Sie gehen durch solche Äußerungen erstmal "auf Distanz", wollen nicht dazugehören - abwarten, was sich tut. Viele haben nicht den Mut dazu, jemanden wirklich anzusprechen und blocken mit einer verbalen Äußerung oder einen abfälligen Blick das Ganze ab. Verkriechen sich in Ihre gewohnte Sicherheitszone. Sie haben mehr Angst, vor neuen Dingen und Situationen, als wir! Und so haben sie auch Ängste davor, was geschehen könnte, doch ihnen fehlt das Bewusstein, es zuzugeben und der Mut, es zu ändern. Sie sind schwach, doch sie könnten es ändern, in dem Sie ihre Angst überwinden:
"Hallo, mir ist aufgefallen, sie tragen einen Rock. Warum tun sie das?" Und keiner von uns würde entgegnen, dass es den Fragesteller nichts anginge, sondern wir würden darlegen, warum wir es tun - jeder aus seinem individuellen Grunde.
Ich weiß mittlerweile, dass es und wie es geht

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In früheren Jahren hatte ich mich auch mal eine Zeit lang so verhalten: Alles, was ich nicht kannte oder von dem ich dachte, es nie zu wollen, habe kategorisch abgeblockt, teils auch vorschnelle verbale Äußerungen getätigt. Doch erfahrene Menschen öffneten mir die Augen und mein Denken wurde offener.
Es ist heute eine Bereicherung, zu wissen, dass man viel erfahren kann, wenn man sich mit anderen unterhält. Es baut auch das Gefühl von Einsamkeit und Unzufriedenheit ab. Man findet überall auf der Welt Menschen, die einen so mögen, wie man ist und die es einfach akzeptieren, dass auch ein Mann einen Rock trägt, so wie anderer eben gerne eine Mütze oder am liebsten keine Schuhe (einen solchen kenne ich auch, er ist ein angesehener Physiotherapeut).
Ich weiß eben, dass niemals Millionen Menschen auf dieser Welt meine Freunde sein werden. Müssen sie auch nicht. Mir genügen meine wirklichen Freunde, bei anderen reicht mir, wenn ich einfach respektiert und akzeptiert werde.
Ich weiß einiges über Menschen, habe vieles erlebt. Daher weiß ich auch, dass ich einen Rock tragen kann, ich habe es schon oft genug getan und erlebt, wie Menschen sich mir gegenüber verhalten.
Auch wenn ich bei den ersten öffentlichen Spaziergängen eine gewisse Angst verspürte, es ist gut, dass ich es gewagt habe. Auch
der stärkste Wikinger hat irgend eine Angst (gibt es nur nicht zu). Heute brüllen auch die Wikinger nicht mehr herum, sind ganz nett. Viele Wikinger haben auch heute Ängste, genau wie wir alle.
Und so blieb auch ich trotz anfänglicher Angst einfach nett zu jedem, der mir begenete und grüßte freundlich die anderen Spaziergänger oder auch in der Stadt die Menschen, die mich bewust ansahen. Meist wurde ich freundlich - überrascht - zurückgegrüßt und die Angst vor dem, was andere sagen könnten, schwand - denn nun wusste ich es: Sie grüßen und gehen weiter - oder wir kommen anschließend ins Gespräch. Ja, ein Mann im Rock.
Das Eis ist gebrochen, der Dampfer nimmt Fahrt auf. Alles gut

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