Wenn Ihr nichts dagegen habt, komme ich auf den Ursprung dieses Threads zurück, den ich hochinteressant finde.
Dieter Hildebrandt bemerkte vor rund 15 Jahren einmal, daß wir nicht in einer Demokratie, sondern in einer Demoskopie leben.
Alles — um seine Aussage sehr grob zusammen zu fassen — orientiere sich an Umfragen, nach denen sich die gerade amtierende Regierung irgendwie zu halten habe. Da kommt dann eben auch so etwas raus, daß 30% der Bevölkerung in Zukunft große Ansammlungen (Bezug nehmend auf #koelnhbf) vermeiden will. Und ich denke mir nur: Wow, fahren diese 30% zukünftig nur noch Nachts zur Arbeit (oder beamen die sich dorthin)?
Eine Aussage ohne Wert.
Genauso wie die sog. Sonntagsumfrage, die uns Auskunft darüber gibt, wie wer z.B. morgen wählen würde. Dummerweise hat sich die Demoskopie schon an Wahlsonntagen dermaßen geirrt, daß es sehr böse Überraschungen gab.
Aber man suggeriert dem Volk am Zahn der Zeit zu sein, was nicht stimmt und tatsächlich irrelevant ist. Gewählt wird halt eben nur alle vier Jahre; wer davon absieht, hat Pech gehabt. Aber so ist das eben in der repräsentativen Demokratie.
Bei Russland — um auf den Ursprung zurück zu kommen — und anderen Staaten, die noch noch nicht die demokratische Erfahrung wie die BRD dank der Allierten haben, kommt noch etwas anderes hinzu.
Sie sollen demokratisch sein und so funktionieren, wie wir uns das vorstellen, bzw. wie wir damit groß wurden.
Ja, nun.
Boris Jelzin hat versucht, auch auf Druck von außen wie ein westlicher Demokrat zu funktionieren, ist aber gescheitert, was nicht nur an ihm lag. Der Spagat, Russland und dem Westen zu gefallen, konnte ihm nicht gelingen. Dafür waren (und sind) die Unterschiede (Sozialisationen!) zu groß. Das braucht Zeit, wie wir auch im Großteil der neuen Bundesländer erkennen müssen. Lothar Späth, ehem. baden-württem. Ministerpräsident und später Chef von Jenoptik, mit dem ich (partei)politisch nichts gemein habe, nannte die Wiedervereinigung ein Generationenwerk — also einen Weg, der noch nicht beendet ist.
Extremer, wenn auch ähnlich, verhält es sich im Nahen Osten, wo der Arabische Frühling (noch) nicht in der Demokratie mündete, wie wir sie kennen und uns vorstellen.
Wir können uns natürlich anmaßen, russische Demoskopie und Demokratie mit unseren Maßstäben zu vergleichen.
Hilfreich ist es nicht.
Unabhängig jeder noch so absurden Umfrage von ARD und ZDF haben wir immer noch mehr Freiheiten (und wenn es nur die ist, so zu antworten, wie wir wollen), als die Russen.
Und in Deutschland stehen öffentliche Küsse Homosexueller nicht unter Strafe, auch wenn das noch nicht überall angekommen ist.
Aber vielleicht beginnen wir erst dort, bevor wir andere Länder nach unseren Vorstellungen bekehren.
[Nicht Korrektur gelesen, da vom Wischtelefon geschrieben.]