Bei jungen Leuten erlebe ich eine weit verbreitete Toleranz. Und mit dem Verständnis meiner Rockambitionen ist bei meinen Studenten auch die Akzeptanz gestiegen. Erst habe ich gedacht, dass es nur an meinen Motiven liegt, und dass die verstanden werden. Nur, Nachahmer gibt es trotzdem nicht. Durch nachfragen stellte ich fest, dass meine Motive zwar verstanden und verinnerlicht wurden, dass aber die Gewöhnung an meine regelmäßige Rockerscheinung einen deutlich größeren Effekt auf die Akzeptanz hatte.
Die Studenten empfinden mein Verhalten weiterhin als mutig. Sie möchten es auch angesichts praktischer Vorteile bei heißem Wetter nicht übernehmen. Sie fürchten, wie sie sagen, dass sie den Respekt der Kumpels verlieren. Ein Student hat das so formuliert: „Ich kann mich doch nicht auf eine Stufe mit den Chicks (Frauen) stellen und glauben, dass meine Freunde mich weiterhin in der alten Art und Weise behandeln“. Obwohl sie den Unsinn mit der femininen Konnotation des Rocks erkennen, geht ihnen die Erkenntnis nicht tiefer als ihre sozialen Prägungen. Die sind stärker und mit der Angst verbunden vor sozialer Ächtung.
Daneben können sie Rockträger auch akzeptieren, weil es bei der Bekleidungswahl um eine allgemeine Freiheit geht. Umfangreiche Persönlichkeitsrechte und individuelle Freiheiten werden sehr hochgeschätzt. Praktische Argumente belegen somit nach der Gewöhnung an mein Rockaussehen, sozialen Prägungen und einer hohen Priorität für persönliche Freiheiten erst den vierten Platz.
Einen kernigen Kontrast dazu bildet die alte Generation, die schon lange im Ruhestand ist. Das habe ich bei einem Arztbesuch deutlich erlebt. Das Durchschnittsalter lag etwa zwischen 60 und 80 Jahren als ich den Wartesaal betrat. Mein Auftreten in einem kniebedeckenden Plisseerock zog enorme Aufmerksamkeit auf mich. Einige Mienen waren erstarrt wie im Schock. Man wollte nicht glauben, was man da sah. Ein Mann umkreiste mehrmals die Stuhlreihen und konnte den Blick auch nicht abwenden, wenn ich ihn bei jeder Runde anlächelte. Auffällig war auch, dass die Männer intensiver und offener glotzten als die Frauen. Nach etwa 20 Minuten war ich immer noch die Attraktion.
Ein tibetischer Mönch, der mit dunkelgelbem Poloshirt und einem weiten Maxirock in einem sehr dunklen Rot hereinkam, zog keine Blicke auf sich. Und diesmal habe ich sehr genau hingesehen. Wo kam das Desinteresse her? Ich musste schmunzeln. So oder ähnlich bekleidete Mönche sieht man häufiger. Daran ist man hier gewöhnt. Die Röcke und Kleider religiöser Würdenträger werden in einem kulturell akzeptierten Kontext gesehen. Diesen Rockträgern begegnet man somit mit einer positiven Voreingenommenheit. Schon krass wie stark die alte Generation zwischen einer eingeführten Rocktradition und etwas Neuem unterscheidet.
Als ich einigen Studenten von dem Erlebnis erzähle, sind die überzeugt, dass die Männer schockiert waren von der Dreistigkeit mit der sich ihnen ein vermeintlich Schwuler zeigte. Wirklich interessant, wie stark ein kultureller Kontext die Wirkung eines Rocks bestimmt. Da wurde mir nochmal deutlich, warum ein Kilt das Rock tragen leichter und akzeptierter machen kann.
Im Generationenvergleich schneiden mir die jungen Leute besser ab. Zu viel Fortschritt darf man aber nicht erwarten. Prägungen sind konservativ und zäh. Sie verändern sich nur langsam. Schön, dass junge Menschen heute deutlich mehr ihre Freiheit lieben und auch Minderheiten ihre Freiheiten zubilligen. Die allgemeine Toleranz ist deutlich gewachsen. Mir ist klargeworden, dass ich mit meiner Rockidee im Fahrwasser einer liberalen, freiheitsliebenden Gesellschaft schwimme, in der meine sorgfältig ausgearbeiteten Rockargumente über die Rockhistorie und praktische Vorteile eine untergeordnete Rolle spielen. Kleidung und Mode sind eben ganz überwiegend kultureller Ausdruck.