Gestern waren wir in Heidelberg - Michael Mittermaier spielt "Wild" im Kongresshaus Stadthalle vor fast ausverkauftem Haus. Wir wollten erst direkt unter dem Kongresshaus parken, aber wer immer dieses Parkhaus geplant hat, hat offenbar nur Kleinwagen erwartet. Da ich die Spiegel am Auto noch brauche, haben wir dann ziemlich weit entfernt am Karlsplatz geparkt und sind die einigen ja wohlbekannte Hauptstrasse entlang gelaufen. Es waren sehr viele Studenten und praktisch keine Touristen unterwegs und obwohl ich jenseits von unauffällig gekleidet war, gab es keine Reaktionen außer natürlich den üblichen Blicken hin und wieder.
Ich hatte ein knielanges schwarzes Jersey-Kleid an, halbtransparente schwarze Leggings und darüber eine knallrote Jacke. An den Füßen wir immer nix außer Nagellack (blaumetallic), was halt auch wieder den einen oder anderen Blick auf sich zog, zumal es vorher geregnet hatte, es noch ziemlich nass war und ich munter durch die Pfützen patschte.
So machten meine Frau und ich erst einmal bei Hans im Glück Station, um vorher noch etwas zu essen (Beste Burger in Heidelberg, auch wenn das Restaurant sehr eng ist, man abends unbedingt reservieren muss und man drinnen ständig gegen Bäume rennt - ja, da sind tatsächlich jede Menge Bäume im Restaurant). Weder die anderen Gäste noch die Bedienung nahmen großartig Notiz von meiner ungewöhnlichen Kleidung, zumindest niemand in meinem direkten Umfeld.
Von dort ging es in die Stadthalle, ein sehr schönes Gebäude übrigens, und da noch kein Einlass war, gaben wir erst einmal unsere Jacken bei einer netten jungen Dame ab, die uns mit freundlicher Professionalität begrüßte und den Eindruck machte, als wären Männer in Kleidern das selbstverständlichste auf der Welt.

Die Kartenkontrolleure schauten zwar ein wenig überrascht, waren aber ebenfalls sehr freundlich und hatten auch kein Problem mit meinen fehlenden Schuhen. So problemlos Rock und Kleid sind, bei fehlenden Schuhen gibt es ja mitunter schon mal Probleme wegen Sicherheitsbedenken. Hier offenbar nicht - warum auch? Das Gebäude ist zwar alt, aber top renoviert.
Im Foyer standen dann auch schon an die hundert Leute herum, die sich mit Getränken versorgt hatten. Wir taten es ihnen gleich, gönnten uns einen Sekt und gesellten uns an einen Bistrotisch. Tja, und hier fiel ich dann doch ein wenig auf. Wenn jemand neugierig ist, dann sind es wartende Menschen. Und so konnten wir an jeder Ecke sich anstupsende Pärchen, tuschelnde Paare und erstaunt blickende Augen sehen. Unangenehm ist mir das nicht, denn Auffallen gehört eben dazu, wenn man die Leute zum nachdenken bringen will und ich gebe auch gerne zu, dass es mir die Aufmerksamkeit durchaus Spaß macht. Ob die Leute nun negativ oder positiv über mich dachten, konnte ich natürlich nicht erkennen, aber das ist mir auch nicht sonderlich wichtig. Auch meine Frau war entspannt - sie amüsiert sich mittlerweile mehr über die Reaktionen als dass sie sich ärgern würde. Und das in einem Kleid. Vor zwei Jahren, als ich den ersten Rock anzog, waren Kleider noch völlig utopisch - ich hätte nie gedacht, dass ich mal ein Kleid trage und schon gar nicht, zu solch einer Veranstaltung. Aber die Zeiten ändern sich und man entwickelt sich weiter.

Das Programm war erwartungsgemäß lustig und gut und in der Pause gab es dann natürlich auch noch einmal einige Blicke. Vor allem auf der Toilette. Ich benutze ja die Kabinen und vor der Tür warteten mittlerweile etliche Männer, dass die Tür aufgeht. Nun, die ging auf und ich war offenbar nicht ganz das, womit sie gerechnet hatten.

Der nächste in der Reihe vergaß für mehrere Sekunden, dass er ja eigentlich dran war und die anderen hatten auch etwas Mühe, ihre Kinnladen wieder in Normalposition zu bringen.

Kommentare gab es aber keine, sie benahmen sich alle mustergültig.

Dann noch ein Zwischenstop an der Bar und weiter ging es mit dem zweiten Teil ohne besondere Vorkommnisse. Der Rückweg gegen 23 Uhr zum Parkhaus war lang und im Halbdunkel ein besonderes Erlebnis. Die normalen Restaurants hatten schon geschlossen, nur einige Bars waren noch auf. Je leerer die wurden, umso voller wurden die Leute, die uns begegneten. Darunter auch einige recht zwielichtig erscheinende Gestalten mit einem Alkoholspiegel, der ihren IQ offenbar deutlich überholt hatte. Die waren allerdings eher mit sich selbst und ihren Kumpels beschäftigt und ließen uns in Ruhe. Vor uns wankte eine junge Dame in High Heels vorbei, um sich vor einem Schaufenster erst mal zu übergeben. Ihr geschniegelter Partner stand ein paar Meter entfernt und tat so, als ob ihn das nichts anginge. Armes Mädchen, in mehrfachr Hinsicht...
Der Eingang zum Parkhaus war von einer Gruppe leicht angetrunkener junger Damen blockiert, aber wir schoben uns einfach durch und ich denke, die haben nicht einmal bemerkt, dass ich etwas ungewöhnlich gekleidet war. Die Rückfahrt verlief dann auch ohne nennenswerte Ereignisse.
Unter dem Strich ein sehr schöner, lustiger Abend, der wieder mal bestätigte, das selbst größere Menschenmassen für einen Mann im Rock resp. Kleid kein Problem sind. Die Angst im eigenen Kopf kann man überwinden und dann macht dem Selbstbewußtsein Platz, einfach das anziehen zu können, was einem selbst gefällt und nicht das, was die vermeintlich zu erfüllenden Männerrolle erlaubt.
