Na ja, Matthias, "meine" Kultur mag ein wenig anders sein als "unsere" Kultur. Dabei sind mir zwei Aspekte wichtig: meine Lust und meine Freiheit: meine Freiheit, das Leben so zu leben wie ich Lust habe. Ich habe zum Beispiel Lust, Röcke zu tragen. Und dazu muß ich mir die Freiheit nehmen.
Wo kommt diese besondere Lust her? Das weiß ich nicht, besteht jedenfalls schon seit frühester Kindheit, aber ich weiß, so ergeht es vielen Menschen, da bin ich nicht allein. Ich habe von einem 8-jährigen Jungen in München gehört, der darauf bestand, in der Steiner-Schule, in die er ging, Rock zu tragen, doch die Lehrer waren dagegen, weil er gesellschaftsimmanente Muster durchbrach, doch da seine Eltern hinter ihm standen, ging es schließlich. Wahrscheinlich hatte er Lust an diesem Spiel: mit wehendem Rock tanzen und so weiter.
Was ist eigentlich diese besondere Lust? Hosen schließen den Körper gegen Einflüsse von außen eher ab, unten offene Kleidung öffnen (oben und seitlich offene natürlich auch, aber das ist hier nicht das Thema). Besonders die Empfindungen für die Umwelt werden feiner, Rockträger/innen sind auch mehr gefährdet, und solche Risiken machen auch Lust, nicht nur Angst. Diese feinen Erfahrungen lassen einen die Dinge der Umwelt besser erspüren - deswegen bin ich den Energien und Austrahlungen, auch den Problemen der Umwelt näher im Rock als in Hosen, empfinde diese Kräfte also feiner - kurz gefasst.
Und das sind auch Erfahrungen meiner selbst. Vielleicht ist es auch eine weibliche Seite in meiner Seele?
Freiheit heißt doch, sich nicht mit gewissen gesellschaftlichen Mustern oder Regeln zu identifizieren: ich erkenne sie an und benutze sie, aber ich bin sie nicht. So auch unsere Kleidung: als Mann unterwerfe ich mich zwar dem Zwang, Hosen im Dienst zu tragen, aber es ist tief innen nicht mein Ding. Und ich benutze diesen Zwang, um in der Behörde angestellt zu bleiben und Geld verdienen zu können und mit meinen Argumenten gehört zu werden (das war einmal, nun bin ich ja Rentner).
Wie komme ich dazu, wo wir doch alle mehr oder weniger in diesen Zwängen drinstecken und es uns schwer fällt, sie zu verlassen? Irgendwann (ich war 54), als diese Zwänge mich zu sehr einengten, explodierte etwas in mir, übrigens ebenso in meiner damaligen Frau, die schließlich die Explosion mit einem enormen Knall erst voll in Gang brachte. Das war der Fußtritt, der mich in einen großen inneren Wandel katapultierte - ich hoffe, daß es ihr ebenso erging (wir sehen uns seitdem zu selten als daß ich sie auf Herz und Nieren danach fragen könnte, aber ist ja auch ihre Sache). Für diese Aktion damals bin ich ihr sehr dankbar, wenn auch die Ehe dabei in 1000 Stücke zerbrach.
Bald fand ich den Weg zu einem spirituellen Meister, einem Mystiker (in meinem Fall war es der Inder Osho, auch als Bhagwan bekannt). Das bedeutet, daß ab dem Moment alle meine Muster infrage gestellt wurden, und er mir den Weg wies, ganz meinen eigenen angeborenen Eigenschaften zu leben, und wie das geht - und ich fand den Weg zu mir. Er weist den Weg ins Hier und Jetzt.
Das ging so: in einer Reihe von Selbsterfahrungsgruppen, die von ihm gestaltet waren, aber von seinen Schülern geleitet wurden, ließ ich willentlich und mit Fleiß alle meine alten nutzlosen und lästigen Muster zerstören: nicht ohne Gegenwehr und schreien und weinen. Schließlich kam ich mir vor wie der berühmte Phönix, der aus der Asche hervorsteigt: ziemlich rein und klar und nicht mehr allzu sehr von den alten Mustern geleitet.
So bin ich nun "Sannyasin" geworden, ein altes indisches Wort, das bedeutet: nun setze ich alles dran, um mein Ego verfließen zu lassen, zurück zu lassen, und endlich mein authentisches Wesen hervorkommen zu lassen, damit es mein Leben in allen Dingen bestimmt. Das bin nun ich (wenn auch dieser Prozess nie abgeschlossen ist und der Sannyasin immer weiter daran arbeitet), das ist meine Kultur.
Und seitdem ist es kein Problem mehr, mich so zu kleiden, wie es mir Spß macht, - wenn ich nur nicht lästigen Widerstände hervorrufe. Und ich begann mich bunt zu kleiden und Röcke zu tragen: lang und bunt. Doch noch viele andere Dinge: Freundinnen und Freunden in ihren Problemen zu helfen, indem ich mit ihnen auf die Ur-Gründe der Probleme gehe, auch das ist für alle manchmal nicht ohne Weinen und Klagen, für mich auch: mich voll hineingeben in deren Schmerzen. Offene und freie Kleidung gehört dazu. Diese Dinge habe ich auch im Umkreis von Osho gelernt.
Auch meine Beziehungen zum Natur- und Umweltschutz oder Friedensbewegung sind stark von meiner Arbeit mit Osho beeinflusst und sie sind ziemlich viel anders als bei den anderen ...-schützern, sie sind auch weiblicher.
Grüße von Aryaman Stefan