Hallo Jan Paul,
Herzlich willkommen!

An und für sich wollte ich ja vor vielen Jahren in dieses Forum rein und es klappte nicht. Habe mich vermutlich blöd angestellt - und dann die Lust verloren. Gestern dann funktionierte die Registrierung nach der alljährlichen Aufforderung auf einmal.
Es gab mal eine Zeit, da musste mal erst eine Jungfrau opfern und nach Finisterre pilgern, um ins Forum zu kommen. Ich hatte damals auch etliche Anläufe unternommen, bis der hohe Rat mich wohl aus Versehen in einer staubigen Ecke der Registrierungsanfragen entdeckte, Erbarmen zeigte und mich einließ...
Vor fünf Jahren habe ich begonnen, öffentlich Kleider und Röcke zu tragen. Dann ist es immer mehr geworden, weil ich so gut wie nur positive Erfahrungen machte. Alle Sorgen um Respektverlust und Ablehnung durch andere blieben unbegründet.
Das könnte fast von mir stammen - am 8.6.2015 hatte ich meinen allerersten selbstgekauften Rock an.

Meine Erfahrungen seitdem sind genau die gleichen: Durchweg positiv und keine Ablehnung. Eher im Gegenteil.

Inzwischen trage ich seit gut einem Jahr nirgendwo mehr Hosen - sie sind mir zu unbequem und mutlos. Mir persönlich gefallen Kleider besser als Röcke, aber auch die kommen vor.
Hosen? Hosen... ach, die zweiröhrigen, unbequemen Dinger? Die habe ich sehr schnell an den Nagel gehängt. Wenn ich nicht an ein paar Tagen im Jahr aus technischen Gründen Hosen tragen müsste, hätte ich seit Mitte 2016 keine mehr angehabt. Ich habe sehr viele Röcke, weil ein Kleid am Anfang noch ein zu großer Schritt in Richtung Femininität war. Nicht für mich, aber für meine Familie, die sich daran ja auch erst mal gewöhnen musste. Heute sind Kleider für mich auch ganz normal und mitunter sehr viel praktischer als Röcke, weil man da nicht über Kombinationen nachdenken muss.

Mein Ausgangspunkt war schlicht Neid: Neid auf diese Ausdrucksmöglichkeiten und die Vielfalt, die Frauen durch Bekleidung zur Verfügung stehen.
Das war es bei mir nie. Bei mir war es eher ein Freilassen meiner femininen Anteile und die wollten sich halt auch ausdrücken. Die Kleidung ist bei im Grunde einfach nur ein Spiegel meiner Identität. Natürlich habe ich sehr schnell Spaß am Kombinieren und Ausprobieren gefunden und bekomme jedesmal Zustände, wenn ich mich aus Versehen in die Einfallslosigkeit einer Herrenabteilung verirre.

Es ist auch eine Verbeugung vor der Emanzipationsgeschichte der Frau: Frauen mussten und müssen wirklich gegen äußere Widerstände kämpfen, bei Männern sind sie nur im eigenen Kopf.
So ein wenig, ja... Wobei ich das mehr als meine eigene Emanzipation sehe und das als Vorbild für andere Männer, nach dem Motto: Schaut her, das könntet ihr auch. Kommt raus aus eurem kleinen Modekäfig!
Ich habe mir einen eigenen Stil entwickelt: Das Kleid darf nicht zu weit und nie länger als bis zum Knie sein, ich kombiniere billige Damenkonfektion mit individuell geschneiderten oder angepassten Stücken, stehe auf mutige Farben und Accessoire-Kram wie Strumpfhosen und Stulpen.
Ich denke, das kommt bei jedem mit der Zeit. Bei mir hat sich zwar kein bestimmter Stil etabliert, aber ich weiß mittlerweile, was für mich funktioniert und was nicht. Stilmäßig bin ich hemmungslos. Das kann an einem Tag ein Ledermini sein und am nächsten Boho-Style mit Maxirock. Je nachdem, wie ich gerade drauf bin, wie das Wetter ist und wohin ich gehe. Accessoires spielen bei mir auch eine Rolle. Strumpfhosen sowieso (bei mir dann als Legging), aber ich trage auch immer Nagellack, Schmuck und MakeUp - je nach Situation.
Bei den Schuhen bin ich konservativ: Damenschuhe und erhöhte Absätze machen ein anderes Gehgefühl (was ich auch gut finde), sorgen aber für ein wackeliges Erscheinungsbild. Das geht für mich nicht.
Das Problem habe ich nicht, weil ich nie Schuhe trage.

Das Gehgefühl ist da aber ähnlich wie bei High-Heels, weil man barfuß mit dem Vorderfuß aufsetzt und genauso führt das dann auch zu mehr Hüfteinsatz beim Gehen.
Auch trage ich einen Bart - nicht zuletzt um zu vermeiden, dass man mich für eine abgeschminkte Transe hält. Ansonsten ist für mich alles möglich.
Bart trage ich auch, allerdings nicht aus diesen Gründen, sondern weil sich darüber meine männliche Seit ausdrückt. Die mag sich nämlich nicht verdrängen lassen und fordert auch ihre Rechte. Ich bin enby/genderqueer und hab's daher eh nicht mit Mann/Frau Rollenmodellen.
Weiterhin bin ich verheirateter Familienvater und habe ein ganz normales Leben mit Beruf und Privatleben.
Dito.

Was hat deine Familie denn zu deiner Entwicklung gesagt?
Das Outfit, mit dem ich Freitag Nachmittag noch im westdeutschen Industriebetrieb gearbeitet habe, kann ohne weiteres dasselbe sein, wie das, mit dem ich zwölf Stunden später in Berlin tanzen gehe. Was für ein riesiger Gewinn!
Du sagst es. Ich kann glücklicherweise im Job auch alles tragen und muss nicht ständig hin und her wechseln. Und die Freiheit, das anziehen zu können, was man wirklich will - und nicht das, was das Rollenmodell einem vorschreibt - ist etwas, das ich auch nie wieder hergeben würde. Wie viel das Wert ist, merkt man aber erst, wenn man den Schritt gewagt hat.
