Hallo Matthias,
Warum ist das gerade bei Kleidungsstücken wie dem Rock oder Kleid anders?
Weil das große Veränderungen sind und diese Kleidungsstücke extrem feminin besetzt sind.
Der Mann an sich hat ein psychologisches Problem: Er will unbedingt als Mann gesehen werden, denn darüber definiert er sich, seine Identität und seine Existenz. Vor allem will er von Frauen als Mann gesehen werden. Da er im Lauf der Zeit die Möglichkeiten verloren hat, sich typisch männlich zu verhalten - Kriege, Aggression, Gewalt sind ebenso verpönt, wie Frauen zu beschützen oder Drachen zu töten - bleibt ihm nur die Präsentation. Daher auch der Muskelwahn einiger Zeitgenossen. Wenn man schon den bösen Lindwurm nicht mehr töten kann, so kann man doch zumindest so aussehen, als ob man es jederzeit könnte.
Als Mann wahrgenommen zu werden, ist in einer Gesellschaft, in der Frauen alles tragen, gar nicht so einfach - da bleibt nicht viel übrig. Da bleiben dann eben nur die kratzigen Klamotten übrig, die mit männlichen Eigenschaften assoziiert werden, wie Outdoor Klamotten, die harten Jeans, der Lederkombi, das Muscle-Shirt. Neue Aspekte zu integrieren ist dem Mann nur dann möglich, wenn es genügend männliche Identifikationsträger gibt, auf die er sich berufen kann. Ohrringe bei Männern waren da einfach - die kannte man von Seeräubern und einige Rebellen trugen gerne mal Ohrringe und so schlich sich das sehr langsam und vorsichtig ein - immer unter der Gefahr, dadurch unmännlich zu wirken, was den Ausschluß aus der Männergemeinschaft durch das Etikett schwul bedeuten würde. Erst galt man mit einem Stecker als schwul, dann galt man als schwul auf einer bestimmten Ohrseite, dann als schwul mit zwei Ohrringen, heute als schwul mit langen oder Glitzer-Ohrringen. Der Adaptionsprozess ist hier also noch lange nicht abgeschlossen.
Der Dutt - ursprüngllich wie alles andere auch eine Männertracht - war von den Frauen praktisch seit zwei Generationen aufgegeben, er starb mit unseren Großeltern und der Nachkriegszeit aus und war damit quasi frei. Er war nicht mehr primär feminin besetzt und wurde 2013 zuerst als kleiner Zopf von Hipstern aufgegriffen. 2014 traten dann "echte" männliche Identifikationsfiguren wie Jared Leto, Joaquin Phoenix oder Harry Styles damit in die Öffentlichkeit und daraufhin verbreitete sich der Dutt sehr schnell.
Bei Röcken und Kleidern funktioniert das nicht. Sie sind nicht frei, sondern stark feminin besetzt und damit können sie nicht in das männliche Rollenmodell integriert werden, ohne auch Femininität mit zu präsentieren, was zur sofortigen Exkommunikation aus der Männergemeinschaft per "schwul" führt. Im Gegensatz zu Ohrringen und Dutt ist es auch keine kleine optische Änderung, bei der 99% der Männeroptik erhalten bleibt, sondern es ist ein brachialer Bruch mit der Männlichkeit. 50% und mehr des Mannes wirken plötzlich feminin und dafür gibt es nicht mal eine Ausrede - die zudem verdammt gut sein müsste, um eine solch heftige feminine Abweichung vor anderen zu rechtfertigen.
Röcke und Kleider funktionieren nur dann, wenn dem Mann es entweder egal ist, ob er als Mann gesehen wird, oder wenn sie irgendwie (und sei es vor sich selbst) männlich besetzt werden können - wie eben beim Kilt oder Cargorock. Im Grunde spiegeln sich diese zwei Fraktionen ja auch sehr schön hier im Forum wider.
