Hallo Holger,
was genetisch und was sozialisiert ist, kann keiner genau sagen. Es gibt genügend Eltern, die versuchen ihre Kinder neutral zu erziehen und trotzdem zieht es Mädchen zu rosa Spielzeug und Puppen.
Zu 4. sagtest du vorher noch "denn die menschliche Festplatte ist ja noch unbeschrieben"
Viele Grüße
Jule
Danke der Nachfrage,
die menschliche Festplatte ist nicht das gesamte Hirn. Das ist so wie beim PC, wo die CPU Teil des Rechners aber nicht Teil der Festplatte ist.
Als menschliche Festplatte wird der Bereich des Neocortex bezeichnet. Der ist weitgehend unbeschrieben (bis auf das Betriebssystem). Und diese Festplatte ist im Vergleich zu anderen Säugetieren riesig. Alles was wir lernen, kommt da drauf. Und menschliche Babies wissen im Vergleich zu anderen Tieren verdammt wenig, haben aber viel Speicherkapazitaet um dazu zulernen.
Die beiden anderen Hirnteile, Hirnstamm und limbisches System, spielen natürlich auch eine wichtige Rolle. Ohne Hirnstamm hättest du keinen Taktgeber für den Herzschlag. Und die ganzen Emotionen und Triebe liegen im limbischen System.
Alles spielt grundsätzlich eine unverzichtbare Rolle. Aber deine Bärenkinder verhalten sich schon "menschlicher" als ein Rehkitz, weil das Bärenhirn komplexer aufgebaut ist als ein Rehhirn. Diese Tendenz nimmt zum Schimpansen und Menschen weiter zu.
Die Konsequenz ist, das Umweltfaktoren und Sozialisation einen wachsenden Einfluss auf unsere Genese haben. Genetische Einflüsse nehmen ab, verlieren sich aber nicht.
Der große Vorteil einer großen Festplatte ist eine erhöhte Anpassungsfähigkeit an verändernde Lebensbedingungen. Koalas fressen nur Eukalyptusblätter. In einer Umwelt ohne Eukalyptusbaeume verhungern sie leider. Sie können sich nicht auf andere Blätter umstellen.
Was bedeutet das für unser Thema. Geschlechtsidentität hat genetische (limbische) und kulturelle (Neokortex) Merkmale. Niemand entscheidet sich beispielsweise schwul zu sein oder zu werden. Das ist angelegt wegen der genetischen Prädisposition, die im limbischen Sytem.
Daneben haben Menschen ein gesellschaftliches System (Kultur) aufgebaut, dass das Zusammenleben regelt. Die Kultur folgt eigenen Regeln, die den biologischen Regeln folgen können aber nicht müssen. Und das gilt auch für Geschlechterrollen. Judith Butler ist die Koryphäe auf dem Gebiet (Pflichtlektuere

für alle LGBTQler).
Mit dem Neocortex haben wir über die rationale Schiene die Möglichkeit uns die Welt so zu machen, wie wir sie gern hätten. Homo-, hetero-, bi-, pan-, trans- oder asexuell, dass ist ganz in unserer Hand, weil unsere Festplatte uns Möglichkeiten gibt, die das Rehkitz nicht hat und der Baer ein bisschen mehr. Das Kitz ist sozusagen ein Opfer seiner Genetik. Es kann nicht anders handeln. Da haben Bären und Menschen schon mehr Freiheitsgrade.
Aber auch wir können uns nicht so einfach über unsere Gene erheben. Emotionale Festschreibungen im limbischen System können hartnäckig sein, besonders wenn sie hormonell verstärkt werden. Ich brauche manchmal schon einen starken Willen, um meine Vernunft gegen mein Bauchgefühl durchzusetzen.
Eltern, die ihre Kinder geschlechtsneutral erziehen, wirken primär ein auf die Festplatte und nicht auf das limbische System. Wenn rosa genetisch präferiert wird, dann bleibt diese Erziehung wirkungslos.
Wenn aber rosa nicht genetisch präferiert wird, dann kann ein Kind bei diesem Erziehungsmodell unabhängig von Rollenzuweisungen frei entscheiden was es will. Mit Hilfe von Untersuchungen eineiiger Zwillinge versucht man herauszufinden was genetisch und was rational ist. Für einige Verhaltensmuster kann man das mittlerweile klar definieren für andere noch nicht.