Gude zusammen!
Wenn ich so über die Wörter nachdenke, die wir verwenden, denke ich, dass es einen Unterschied macht, ob ich mich mit Gruppe xyz nicht identifiziere oder ob ich mich von ihr distanziere.
Ich identifiziere mich z.B. nicht mit den Schotten. Das heißt, ich bin kein Schotte. Manchmal werde ich gefragt, ob ich Schotte bin. Das verneine ich dann immer. Aber ich distanziere mich nicht von den Schotten. Manchmal sage ich direkt, dass ich Schotten und Schottland mag.
Warum sollte ich mich also von LGBTQ+ distanzieren, nur weil ich nicht dazugehöre? Warum sollte sonst jemand das tun?
Sich von einer Gruppe zu distanzieren, geschieht doch eher, wenn man etwas gegen diese Gruppe hat, wenn man sie nicht mag. Oder wenn man Angst vor anderen hat, die sie nicht mögen. Es kommt sogar vor, dass Mitglieder einer Gruppe sich von ihr distanzieren, weil sie Angst haben, mit ihr zusammen diskriminiert zu werden. So mancher Homosexueller gibt es deshalb nicht zu, homosexuell zu sein, wenn er Homophobe in seinem Lebensumfeld hat. Oder wenn politische Kräfte sich homophob geben. Homo- und Transphobie ist ja in vielen Gesellschaften der Menschheit noch Mainstream, also voll normal. Und wo Gesellschaften schon darüber hinaus waren und diese Art der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit überwunden haben, werden plötzlich Stimmen laut, die die Entwicklung wieder stoppen und umkehren wollen und sogar viele Menschen davon überzeugen. Wobei mir ein Kollege, der sich schon viel intensiver mit Extremismus und Fundamentalismus beschäftigt hat als ich, mit Verweis auf Hanna Arendt und Theodor W. Adorno sagt, dass es diesen Anhängern extremistischer Haltungen nicht auf Wahrheit, sondern auf Macht ankomme. Sie wissen, dass sie belogen werden, werden aber lieber von Mächtigen belogen, also von Machtlosen mit der Wahrheit konfrontiert. Darüber hinaus - ich schrieb es ja oben schon, dass auch mir es manchmal immer noch peinlich ist, für LGBTQ+ gehalten zu werden - ist unsere Sozialisation immer noch von Homo- und Transphobie beeinflusst. Wichtig ist, das in sich wahrzunehmen, genau wie tendenziellen Rassismus, denn nur so können wir dem in uns selbst entgegnen. Es ignorieren und noch wahrhaben wollen, löst das Problem nicht.
Viele Menschen identifizieren sich aber mit diesen Anteilen ihrer Sozialisation unkritisch. Und sie nehmen die Entwicklung der Gesellschaft zu mehr Toleranz, Respekt und Offenheit als etwas wahr, was ihren Gefühlen widerspricht. Sie meinen, man wolle ihnen etwas vorschreiben, was ihrer Natur widerspreche. Und Selbstbehauptungen diskriminierter Gruppen, vor allem wenn sie Erfolg haben und allmählich damit durchkommen, respektiert zu werden, werden von diesen Menschen, die ihre homo- und transphobe Sozialisation nicht selbstkritisch betrachten, als aggressiv wahrgenommen.
Und so kommt es, dass sie sich von dieser Gruppe distanzieren und meinen, eigentlich doch nichts gegen diese Menschen zu haben - solange sie sich bitte nicht öffentlich als das zu erkennen geben, was sie sind oder auch noch die Frechheit besitzen, Rechte für sich einzufordern. Ich kannte mal eine evangelikale islamophobe Frau, die meinte, sie habe ja nichts gegen Muslime als Menschen.
In den USA sieht man, was dabei herauskommen kann. Jetzt haben wir einen Menschen, der vor gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nur so strotzt zum mächtigsten Mann der Welt. Aber davon möchte ich jetzt nicht schreiben. Ich habe nichts gegen Amerikaner als Menschen!

LG, Micha