Ja, eben, Zwurg, vieles von dem, was Du aufgezählt hast, hat nichts mit "kultureller Aneignung" zu tun. Manches ist eher eine "geographische Aneignung", wenn Menschen sich dort laut breit machen, wo Du es gewohnt bist, die Stille zu genießen. Kenne ich alles, seit dem in unserer Nachbarschaft ein Kindergarten eröffnet wurde. Welcher Religion die Kinder angehören, oder ob überhaupt einer, weiß ich nicht. Tut wohl auch wenig zur Sache. Am öftesten ärgere ich mich indes über Bauunternehmer und Bauherren, die Bäume fällen, die ich liebe, Häuser abreißen, die ich liebe und viel zu oft hässliche Klötze dahin bauen, die ich mir dann ansehen muss, wenn ich da vorbei gehe. Das empfinde ich auch als Heimatverlust.
Was jetzt die kulturelle Aneignung angeht, so kann man das wohl schlecht nachempfinden, wenn man nicht selbst etwas ähnliches erfahren hat oder wenn man nicht etwas hat, von dem man gerne hätte, dass es nicht missbraucht wird. Eigentlich denke ich dabei vor allem an die Gegenstände in Museen, die vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten gestohlen wurden, und über die jetzt Verhandlungen der Rückgabe geführt werden. Diesen Diebstahl in Kolonialzeiten empfinde ich am ehesten als kulturelle Aneignung in diesem negativen Sinn des Wortes.
Kilts und Dirndl? Wahrscheinlich müssten wir die fragen, die Kilts oder Dirndl aus Gründen der kulturellen Identität tragen, ob sie es als kulturelle Aneignung im negativen Sinn empfinden, wenn Menschen sie aus diesem konkreten kulturellen Kontext herausreißen und in einen anderen übertragen. Schotten könnten sich durch Engländer und Bayern durch Preußen (oder die, die sie als "Preußen" bezeichnen) dominiert fühlen und da empfindlich reagieren. Indes sind Kilts in ganz Großbritannien als als Symbol britischer Kultur und Dirndl in ganz Deutschland als Symbol deutscher Kultur angesehen. Da wird man innerhalb der Länder wenig solche Empfindungen der missbräuchlichen kulturellen Aneignung antreffen. Und was, wenn Chinesen Kilt oder Dirnd tragen? Wohl auch kaum. Wer regt sich über Oktoberfeste oder Highlandgames wo auch immer auf der Welt auf? Ich weiß es nicht, vermute aber, dass es wenige sind.
Und doch: Ich plädiere dafür, vorsichtig mit den kulturellen Empfindungen von Menschen vor allem kleiner Völker zu sein, die oft im Schatten großer Nachbarn oder auch weiter weg zu Hause seiender Völker stehen und ihnen mehr Empfindsamkeit zuzugestehen als den großen, mächtigen, dominanten Völkern.
Und Zwurg, hier off-topic, aber dennoch zu kurz, um einen eigenen Thread zu öffnen: Muslime mögen normalerweise nicht gerne als "Mohammedaner" bezeichnet werden, da sie Mohammed nicht als Mittelpunkt ihres Glaubens ansehen, sondern Gott. Auch wenn Muslime kein kleines Volk sind, sondern eine große Religionsgemeinschaft, wäre es höflich, das zu respektieren.

LG, Micha