Flashback
Wie es sich für einen Münchner zu dieser Jahreszeit gehört, war ich bis vorgestern am Gardasee. Ja, tatsächlich das erste Mal in meinem Leben, um dort Urlaub zu machen.
Beim Einpacken von Kleidung war ich, mangels Platzmangels, nicht besonders zurückhaltend und habe tief in meinen Schrank gegriffen und dabei auch ein Teil erwischt, dessen designiertes Amt eigentlich die lebenslange Schrankwache ist.
Gekauft mit der festen Überzeugung, dass ich es brauche, weil es einfach schön ist, angenehm zu tragen und ich mir darin gefalle – aber bestimmt nicht dafür, es mal öffentlich zu tragen.
Jedenfalls hat es doch meinen Schrank verlassen und ist mit nach Italien gereist.
Vor ein paar Tagen war Zeit für ein schickes Abschlussessen mit der Familie.
Wir haben uns alle fertig gemacht, nach einem Tag mit Bootfahren und Pool während mir der Schalk im Nacken saß:
Ich habe
dieses Kleid übergezogen und bin ganz scheinheilig aus dem Bad gekommen, als ob nichts wäre, und wollte sehen, wie meine Familie, insbesondere meine Frau reagiert, währen im Bad noch mein geplantes Abendoutfit, ein schlichter knielanger schwarzer Rock in ein weißes Herrenhemd, auf mich wartete.
Meine Frau sieht mich, schaut kurz: „Gut, du bist auch fertig, dann können wir los.“

Das war nicht was ich erwartet hatte: „Ja, gleich, ich ziehe mich noch schnell an!“
Ich habe einen totalen Overflow im Kopf:
Natürlich kann ich mich noch schnell umziehen, meine Frau wird dann die Augen verdrehen - Egal.
Natürlich würde ich das Kleid schon gerne mal öffentlich tragen, aber ich traue mich nicht.
Am Abend in Lazise sind unendliche Massen an Menschen, manche schick, manche schlampig und alle haben Zeit um ihre Mitmenschen – eigentlich nur die Frauen, die Männer sehen alle gleich aus -zu mustern – das ist die Hauptbeschäftigung.
Es ist definitiv nicht wie an einem Arbeitsmorgen in der Münchner U-Bahn.Das „Stell dich nicht an, sieht doch gut aus und mach jetzt!“
stoppt meinen Gedankenwirbel und ich ziehe wie in Trance meine weißen Sneakers an und wir fahren los.
Unterwegs verpasse ich in zwei Kreisverkehren die richtige Ausfahrt, so abgelenkt bin ich.
Als es ans Aussteigen geht habe ich einen kompletten Flashback der Zeiten, in denen ich im Rock irgendwo hingefahren bin, aber nicht aussteigen konnte und wieder frustriert zuhause ankam.
Ja, wäre ich alleine unterwegs gewesen, wäre ich wieder am Ausgangsort angekommen, ohne ausgestiegen zu sein.
Aber es half nichts, ich stieg aus und habe mich im "Schutz" meiner Familie zu Restaurant geschlichen.
Unterwegs merke ich, dass ich bemerkt werde, anders als sonst:
Ich werde intensiver angesehen als ich es gewohnt bin, manch Hals verdreht sich und die eine oder andere macht ihre Begleitung auf mich aufmerksam.

Im Restaurant ist wieder alles normal und gut, ich entspanne mich.
Als ich, wie in Italien üblich, an der Kasse stehe, um zu zahlen, kommt von hinten eine sehr gepflegte und gut aussehende Dame in meinem Alter, wohl die Chefin, und textet mich wild gestikulierend auf Italienisch zu.
Ich verstehe fast nichts, nur wirkt alles sehr freundlich und positiv. Mit einem Dank, lächelnd packe ich meine Kreditkarte ein und ziehe, schon lange nicht mehr so angespannt, mit meiner Familie weiter zum Bummeln und Eisessen.
Meine Frau, die ganz brauchbar Italienisch spricht, meint nur, sie wäre fast eifersüchtig geworden, vorhin…

In den Gassen merke ich, wie ich begutachtet werde, genau in derselben Art, wie Frauen andere taxieren, die ein schönes Kleid tragen, so jedenfalls bewertet es meine Frau – grundsätzlich nichts Verstörendes.
Mann ist es nur schlicht nicht gewohnt so genau angesehen zu werden.
Einige Männer schauen mich irgendwie irritiert grimmig und leicht kopfschüttelnd an, tendenziell die ab 40 aufwärts.
Fast zwei Stunden ziehen wir durch Lazise und ich erhalte den einen oder anderen nach oben gestreckten Daumen oder ein anerkennendes Lächeln und Nicken, bis ich meine Frau in einen Schmuckladen begleite:
Die Verkäuferin mustert mich auffallend auf-ab-auf-von allen Seiten bis sie nach einer Weile zu mir kommt und auch auf-ab gestikulierend ein Wortlawine lostritt.
Ich kann nicht einschätzen, was sie sagt, aber es klingt irgendwie aufgeregt.
Ich fühle mich gerade nicht sehr wohl.
Sie bemerkt, dass ich nichts verstehe und mischt noch Englisch, Niederländisch und Deutsch dazu: Für mich absolut unverständliches Kauderwelsch.
Ich bin ratlos, solange bis sie mich packt, halb zerdrückt und versucht mich abzuknutschen.
Ok, so war das gemeint…
Meine Frau rettet mich kopfschüttelnd lachend, nimmt mich an der Hand und wir verlassen Geschäft und Stadt.
Puh...
Ja, das war Schaulaufen, das Kleid hat in seiner Art vorzüglich in die Umgebung gepasst, wenn man es mit der sonst getragenen Kleidung abgleicht, aber der Inhalt war natürlich falsch.
Viel Aufmerksamkeit kann ich grundsätzlich nicht genießen, dafür bin ich nicht der Typ, auch wenn das Erlebte rein positiv war, hat es mich danach doch sehr beschäftigt.
Die Besonderheit war in dieser Umgebung, dass die Leute hier nur drei Gründe haben hier zu sein: Essen, Leute ansehen und gesehen werden, sowie etwas Bummeln.
Das Kleid ist jetzt wieder in seinem Schrank und wird des weiterem seinen Job nachkommen.
Wenn sich auf den Handys meiner Frau und Kinder noch ein geeignetes Livefoto findet reiche ich es nach.
Der um eine Erfahrung reichere
Cephalus